Orbáns Vision von der eigenen Rolle in der Weltpolitik
Dem dienstältesten Ministerpräsidenten Europas erscheint sein Land als zu klein. Viktor Orbán strebt nach Höherem, was aber Ungarn mit zwei Prozent der Fläche und Bevölkerung der EU nicht bietet. Erst kürzlich erklärte er, dass Ungarn und vor allem er die Russen am besten verstehen würden.
Orbán überlässt seine Vision von der eigenen Rolle nicht allein dem Lauf der Geschichte. Vor fast 30 Jahren wähnte er sich bei der Etablierung der Visegrád-Gruppe (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) innerhalb der EU als treibende Kraft, bis die Formation nicht zuletzt wegen seiner Politik keine Rolle mehr spielte. Gern sah er sich in der Rolle des einsamen Mahners, der in der Kritik der anderen stand, um dann zu dem Ergebnis zu kommen, das er angeblich von Anfang an vorhergesehen hatte.
Mit den heutigen Aktivitäten der Friedensschaffung, wie er sie nennt, wartete er bis zum EU-Ratsvorsitz Ungarns. Obwohl er weder politisch noch rechtlich die EU nach außen vertreten darf, fuhr er mit dem Anschein, im Besitz dieser Vollmacht zu sein, nach Moskau und Peking, wurde dort in dieser Eigenschaft empfangen – und widersprach nicht. Als Friedensvermittler trat er auf, und alle anderen, die Mehrzahl der EU, Großbritannien und USA, bezichtigte er, Kriegstreiber zu sein. Diese Art der Taktik ist bei ihm nichts Neues. Er erfindet laufend Dinge, die er dann vehement bekämpft – bis zum siegreichen Ende. Falls doch nicht, wird aus einer Niederlage einfach ein Sieg gemacht, denn es gibt bei ihm nur Gewinn.
Mit der Friedensinitiative versucht Orbán nun, eine weltpolitische Rolle einzunehmen. Er sieht sich als Vermittler, da er, wie er sagt, einer der wenigen sei, der mit allen sprechen kann. Diplomatische Kanäle sollen nach seiner Auflassung für den Dialog offenbleiben. Dass es sich um Gespräche unter Taubstummen handelt und statt Dialog stets Monologe herauskommen, stört ihn nicht.
Er absolvierte die Stationen Kiew, Moskau, Peking. Auch in der EU möchte er diese Rolle weiterspielen, obgleich er dort in absoluter Minderheit ist. Im russisch-ukrainischen Krieg gibt es zahlreiche selbst ernannte Vermittler. Für eine solche Rolle ist es jedoch erforderlich, dass der Besitzer diese Vollmacht tatsächlich von den Betroffenen hat und ihnen etwas geben kann, was sie selbst nicht zustande bringen. Den Inhalt der möglichen Kompromisse kennen die Kriegsgegner, dazu brauchen sie keinen Vermittler. Alles, was darüber hinausgeht, könnte ein Vermittler anregen, aber dazu muss er den Kontrahenten etwas bieten können. Orbán hat hierbei schlechte Karten. Kiew hat ihn ausdrücklich abgelehnt. Andererseits konnte er die Kompromisse nicht zulassende Haltung der Kriegsgegner nicht beeinflussen. Es sind bislang auch nicht die Eigenschaften Kreiskys bei ihm zu sehen, die ihn für eine Vermittlerrolle geeignet erscheinen ließen.
Janos I. Szirtes ist Politikwissenschafter, lebt in Budapest, war Journalist und Diplomat, verfasste zahlreiche Bücher