Meinung/Gastkommentar

Kurz ist weg, sein System bleibt bestehen

Sebastian Kurz ist als Bundeskanzler Geschichte. Also ist alles wieder beim Alten und die verloren geglaubte Normalität kann wieder Einzug halten. Endlich wieder Langeweile. Das ist ein im besten Fall naiver Irrglaube.

Dieser Irrglaube übersieht das Netzwerk und dass das System hinter Kurz extrem erfolgreich war – bis jetzt. Was macht den Kurzismus aus? Sein erstes und wichtigstes Versprechen war, dass es anders und neu werden würde. Die ungeliebte Große Koalition wurde von Kurz 2017 gesprengt und unwiederbringlich begraben. Statt Einvernehmen, Staatsräson und Konsens präsentierte sich Kurz als Rechtsaußen-Hardliner. Beliebtester Themenkomplex: Asyl, Migration, Islam.

Gleichzeitig wurde der Umbau des Sozialstaats zu Ungunsten der lohnabhängigen Bevölkerung in Angriff genommen. In der Doppelmühle aus Klassenkampf auf sozioökonomischer Ebene und Kulturkampf auf gesellschaftspolitischer Ebene hat sich rund um Kurz ein politisches Spektrum herausentwickelt: der radikalisierte Konservatismus. Es handelt sich hierbei um eine Fraktion des Konservatismus, die sich in Sprache und Strategie der extremen Rechten annähert, ohne die historische Belastung mittragen zu müssen. Gleichzeitig wird die Partei extrem auf eine Führungsfigur ausgerichtet.

In den USA war dies Trump, in Österreich Kurz. So unterschiedlich sie im Auftreten sind, so ähnlich ist ihr politisches Agieren. Dazu gehören gezielte Regelbrüche, die Logik des permanenten Wahlkampfs und das Erschaffen von Parallelrealitäten für die eigenen Fans. Die objektiven Fakten werden schlicht negiert und ins Gegenteil verkehrt.

Das geschieht etwa dann, wenn Kurz in derselben Woche, in der in seinem Bundeskanzleramt Razzien stattgefunden haben, schlicht behauptet, er sei der Garant für Stabilität und alle anderen seien Schuld an Chaos und Instabilität.

Diese Art von Politik ist mittelfristig eine Gefahr für die Demokratie, da sie alle, die ihnen im Weg zur Macht stehen, gnadenlos attackiert. Das kann die politische Konkurrenz genauso wie die unabhängige Justiz oder die freien Medien sein. Andreas Hanger, ehemals für die ÖVP im Ibiza-Untersuchungsausschuss, sprach noch wenige Tage vor der Hausdurchsuchung von „roten Zellen“ in der WKStA. Damit rückte er die unabhängige Justiz in die Nähe von Terrorismus. Wohin geht es? Kurz ist zurück-, Entschuldigung, „zur Seite“, getreten.

Der Kampf gegen die WKStA ist aber nicht zu Ende. Er und seine Getreuen werden ihn als unschuldiges Justiz-Opfer inszenieren. Die Spins und Frames werden schon ausgepackt. Gelingt es Kurz und seinem System sich zu rehabilitieren, dann gibt es tatsächlich eine Rückkehr in eine Normalität.

Allerdings ist es die Rückkehr in eine neue Normalität, an die wir uns seit 2016 viel zu schnell gewöhnt haben. Eine, in der Polarisierung und Realitätsverzerrungen zum täglichen Brot gehören.

Natascha Strobl ist Politikwissenschafterin und Autorin.