Das Europaparlament braucht keine Außenpolitiker
Als zu Wochenbeginn die Spitzenkandidatin der Grünen für die bevorstehende Europawahl präsentiert wurde, zielte gleich die erste Frage des anwesenden ZiB-Innenpolitikjournalisten auf ihre mangelnde „außenpolitische Kompetenz“ ab. Lena Schilling griff dies ohne Widerspruch auf und begann sogleich über EU-Sanktionen zu reden.
Weder der künftigen EU-Parlamentarierin noch dem fragenden Journalisten – übrigens einer jener, die gerade für höhere Weihen im ORF hoch gehandelt werden – war offensichtlich bewusst, dass das Europaparlament im Bereich Sanktionen keinerlei Zuständigkeit hat. Es wirkt in keiner Weise an deren Beschlussfassung mit. Beschlüsse über Sanktionen werden nämlich vom Rat der EU einvernehmlich auf Grundlage von Vorschlägen des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und nach Erörterung in den einschlägigen (geografischen und thematischen) Arbeitsgruppen des Rates gefasst.
Abgeordnete zum Europaparlament mögen dazu – wie jeder andere Bürger auch - eine persönliche Meinung haben, zuständig sind sie dafür aber jedenfalls nicht. Überhaupt scheint in Österreich unter den Kandidaten und Kandidatinnen zum Europaparlament die irrige Annahme vorzuherrschen, man müsse ein profunder Außenpolitiker sein, um gewählt zu werden. Man überschlägt sich dabei, auf die persönliche außenpolitische Kompetenz hinzuweisen, und nennt regelmäßig den Bereich Außenpolitik als jenen, auf den man sich bei der künftigen Arbeit im Europaparlament konzentrieren möchte. Wohlweislich wird dabei konsequent vergessen, dass das Europaparlament im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik faktisch keine Zuständigkeit zu auch nur irgendeiner Art von Entscheidung hätte. Das hält zwar die Parlamentarier selten davon ab, ausführlich und oft wichtigtuerisch über diese Themen zu diskutieren. Außenpolitische Entscheidungen treffen in der EU jedenfalls andere.
Selbst die irrige Annahme, man würde ja das EU-Budget vorgeben und die EU-Außenpolitik auf diese Weise entscheidend mitbestimmen, ist falsch. Die derzeit viel beachtete EU-Friedensfazilität – also das milliardenschwere Instrument, mit dem etwa die Militärausgaben für die Ukraine bezahlt werden – wird außerhalb des EU-Budgets von den Mitgliedstaaten direkt finanziert. Tatsächlich ist das Europaparlament in erster Linie – gemeinsam mit dem EU-Ministerrat – Gesetzgeber. Und zwar für alle klassischen Politikbereiche: von Landwirtschaft über Strukturpolitik bis hin zu Beschäftigungs- und Sozialfragen. Dafür gibt es 20 Ausschüsse und in denen werden die Gesetzesvorschläge der EU-Kommission diskutiert. Für all diese Bereiche braucht es fachlich versierte Abgeordnete. Außenpolitik ist da nur ein Thema und ein nur sehr peripheres. EU-Politik und insbesondere die Tätigkeit im Europaparlament ist klassische Innenpolitik. Es sollte endlich Schluss sein mit der irrigen Annahme, nur weil man außerhalb Österreichs sei und dort in einer Fremdsprache arbeitet, sei das gleich „Außenpolitik“.
Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.