Meinung/Gastkommentar

Die Christdemokratie und ihr historisches Tabu und politisches Dilemma

Immer wieder wird in den Medien ein Vergleich der heutigen Europäischen Volkspartei mit der damaligen Democrazia Cristiana (DC) Italiens gezogen: eine Bewegung, die als Teil des Widerstands noch während des Zweiten Weltkriegs gegründet worden war und die Erste Italienische Republik in Koalitionen zunächst der rechten und sodann linken Mitte, nie aber mit (Post-)Faschisten oder (Post-)Kommunisten bis in die 1990er-Jahre geführt hatte. 

Aus zwei Gründen ging die Democrazia Cristiana unter: einerseits wegen einer internen Korruption in Permanenz und anderseits wegen eines externen Aufschwungs populistischer Bewegungen berlusconesken Typus. So entstand Italiens heutige Republik. Sie brach mit der von italienischer – und europäischer – Christlicher Demokratie gestützten Vorgabe, als Bewegung des Zentrums nicht mit extremen Parteien zu koalieren.

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Bis heute hinterlässt der Untergang der Democrazia Cristiana ein über Italien hinaus drohendes Vakuum in der Mitte des politischen Spektrums, worin andere Parteien dringen: sei es von links als „christlich-sozial“ (wofür der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi ehrlich stand), sei es von rechts als „christlich-konservativ“ (wofür die aktuelle italienische Ministerpräsidentin Georgia Meloni hämisch steht).
Das historische Tabu von damals wird also zum politischen Dilemma von heute. Das gilt für Italien wie für Frankreich und Deutschland. In Frankreich vereinigt die europhile Mitte gegenüber rechts- und linkspopulistischen europhoben Rändern inzwischen nicht mehr als ein Drittel der Bevölkerung. In Deutschland hadert die CDU darum, eine Kooperation mit Rechtsextremen weiter aus- und eine solche mit Linkspopulisten wieder einzuschließen.

Von österreichischen Medien angesichts provinzieller Prioritäten viel zu wenig beachtet, blinkte justament der ehemalige EU-Ratspräsident und christlich-demokratische Ministerpräsident Polens, Donald Tusk, als Regierungschef einer Mitte-links-Koalition weit nach rechts: Er rief dazu auf, über eine Sistierung des Asylrechts national(-istisch) zu diskutieren. Vergisst er dabei, dass die EU eine nicht nur inter-, sondern auch supranationale Stiftung ist?

Von Italien über Frankreich, Deutschland und Polen bis Österreich: Ihre in der Europäischen Volkspartei vereinigten christlich-demokratischen Bewegungen stehen – auf Unions- wie auf staatlicher Ebene – vor der Qual einer Wahl pro futuro: Allein zu schwach, besteht ihre Stärke in der Antwort auf die Anfrage, mit wem zu regieren und so das Geschick oder Schicksal in die eine oder andere Richtung zu lenken.  
Unser Kontinent ist nicht allein auf der Welt, sondern Teil des Ganzen! Ist aber das Ganze größer oder kleiner als seine Teile? Gerade von der Haltung der EVP und deren Mitglieder hängt es maßgeblich ab, welche Weichen hier und jetzt in welche Zukunft gestellt werden. 

„Historia magistra vitae“?

Thomas Köhler ist Geisteswissenschaftler und Hg. des „Jahrbuchs für politische Beratung“ (Edition mezzogiorno). Als Sekretär Buseks war er Teil der ÖVP-Programmkommission.