Meinung/Gastkommentar

Europäisches Selbstbewusstsein auch in schwierigen Zeiten

Ein nach rechts gerücktes Europaparlament, in dem die politische Mitte dennoch weiter dominiert, eine starke, weibliche, Führungsriege als neue Spitze der EU-Institutionen und mit Ungarn ein Ratsvorsitzland, das seine Rolle mehr als eigenwillig interpretiert. Unter diesen Vorzeichen startet die Europäische Union in die nächsten fünf Jahre, die angesichts eines Angriffskrieges in unmittelbarer Nachbarschaft, den ungewissen Folgen der US-Wahlen, zunehmender Bedrohungen sowie einer angespannten geopolitischen Weltlage mehr als herausfordernd werden.

In Ausnahmezeiten ist die EU ganz besonders gefordert, ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, Europa wettbewerbsfähig zu halten, Wohlstand und Lebensqualität zu sichern, Sicherheit zu gewährleisten und nicht zuletzt, ganz unpathetisch, Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Eine der Grundvoraussetzungen dafür ist die Stärkung der Unabhängigkeit Europas: durch robuste Schlüsseltechnologien und höhere Innovationen, die den grünen und digitalen Wandel beschleunigen, Europa in diesen Feldern zum Vorreiter werden lassen und Abhängigkeiten von zweifelhaften Akteuren reduzieren.

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Der Weg dazu liegt zum einen in einer engeren Zusammenarbeit der Mitgliedsländer, in einem vertieften Binnenmarkt etwa in den Bereichen Bildung, Energie, Finanz und Telekommunikation, zum anderen in engeren internationalen Partnerschaften und einer offenen Handelspolitik.

SicherheitDie geopolitischen Rahmenbedingungen machen es notwendig, dass Europa in den kommenden Jahren mehr Geld in seine Sicherheit investiert und sich auch gegen Cyber- und Desinformationsangriffe wappnet. Die Fortsetzung der Unterstützung der Ukraine ebenso wie eine durchdachte Erweiterungsstrategie, die sowohl auf das Funktionieren der Union als auch auf messbare Reformbemühungen der Beitrittskandidaten berücksichtigt, liegen in unserem eigenen Interesse. Ebenfalls dringend in Angriff genommen werden muss auch die Umsetzung der neuen EU-Asylreform, wobei die Crux darin besteht, die Mitgliedsländer dabei solidarisch in die Pflicht zu nehmen und rechtsstaatliche Prinzipien nicht zu unterlaufen.

All dies wird kein leichtes Unterfangen werden. Schließlich sind die Sorgen und Zukunftsängste, die zu politischer Polarisierung und dem Wunsch nach Rückzug in nationale Schrebergärten führen, nicht einfach vom Tisch zu wischen. Deshalb wird die weiterhin notwendige grüne Transformation stärker mit Wirtschafts- und sozialpolitischen Interessen in Einklang gebracht werden müssen, muss die – ebenso für die Sicherung unserer Sozialsysteme notwendige – Zuwanderung nach Europa nachhaltig europäisch geregelt werden und mit sicheren Außengrenzen einhergehen.

Bei allen Problemlagen lohnt es sich dennoch, nicht naiv, aber doch zuversichtlich zu sein, sich nicht stets kleinzureden und sich die Stärken Europas einmal bewusst vor Augen zu führen. Mit neuen Ideen und neuen Köpfen kann der Start in die gemeinsame Zukunft jedenfalls beginnen.