Meinung/Gastkommentar

Causa Dornauer: Warum sich manche mehr leisten als andere

Der deutsche Psychiater und Psychoanalytiker Johannes Cremerius (1918–2002) schrieb in seinem Essay „Die psychoanalytische Behandlung der Reichen und Mächtigen“ (1979), diese befänden sich „außerhalb des Zwanges, Triebbedürfnisse ich- und umweltgerecht organisieren zu müssen“, denn in der Oberschicht sei das „Quantum an erwerbbaren Freiheitsgraden“ unverhältnismäßig größer als in anderen Schichten.

Kein Wunder also, dass viele Menschen „nach oben“ streben – und wenn es nur über Frauen, über Kinder oder über Haustiere ist. Dahinter steckt das unbewusste Streben, sich etwas „leisten“ zu können – und mehr als die jeweilige Vergleichsperson.

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Das Wort „leisten“ besitzt ja subtilen Doppelsinn: einerseits den ökonomischen, ob etwas „leistbar“ ist – wie im Politschlagwort vom leistbaren Wohnen, das ausblendet, das „Leistbarkeit“ immer nur relativ ist, d. h. im konkreten Beispiel am Einkommen fantasierter Durchschnittsmenschen, meist männlich, orientiert ist – nicht aber an den wirklich Unterstützungsbedürftigen wie etwa alleinerziehenden Müttern mehrerer Vorschulkinder ohne Familienrückhalt.

Sich etwas „leisten“ zu können, bedeutet darüber hinaus aber auch einen asozialen Zumutbarkeitsrahmen gegenüber denjenigen, die auf Provokationen oder Frechheiten verzichten – denken wir nur an die Fernsehwerbung mit dem besserwisserischen Fleischhauer („Was sich der wieder leistet!“).

Im Grunde geht es dabei um einen „narzisstischen Zuwachs“. In meinem Buch „Die reuelose Gesellschaft“ (Residenz Verlag 2013) habe ich die sogenannten 7 Todsünden in die Reihenfolge der psychoanalytischen Sichtweise auf die psychosexuelle Entwicklung von Kindern angeordnet und auf diese Weise als quasi Psychopathologielehrbuch der 7 großen psychiatrischen Erkrankungen entschlüsselt und darauf hingewiesen, dass das, was ursprünglich als Sünde – nämlich Ausstieg aus sozialer Gemeinschaft – definiert wurde, heute unkritisch als Tugend propagiert wird. Die „narzisstischen Störungen“ wären demnach in der „Selfie-Gesellschaft“ dem selbstverliebten Stolz und Hochmut – der „Über-Heblichkeit“ – zuzuordnen.

Lebe jemand „staatstragend“ – z. B. als Spitzenbanker, Top-Industrieller oder auch ein „erster“ Politiker in seiner Mandatsgruppe –, sei der Leidensdruck gering, schrieb Cremerius, denn er könne auf den Corpsgeist seines Kollektivs zählen. Außerdem würden die „Symbole der Macht“ (Besitz, Frauen, Autos) von denen bewundert, „die eigentlich als die Ausgenützten anklagen sollten“.

Dass diese „Krähenmoral“ (d. h. eine hackt der anderen kein Aug’ aus) zunehmend verschwindet, ist als Beweis demokratischer Reife hoch anerkennenswert – sie muss allerdings vielfach noch durch eine authentisch wertschätzende Sprache ergänzt werden.

Rotraud Perner ist Juristin, Psychoanalytikerin, war Univ.-Prof. für Prävention u. Gesundheitskommunikation.