Russlands Krieg gegen die Ukraine hat nicht nur sichtbare Wunden gerissen
Eintausend Tage dauert Russlands offene Invasion in der Ukraine bereits an. An jedem Einzelnen dieser Tage sind Zivilisten gestorben. An jedem einzelnen dieser Tage hat Russland Wohnhäuser, Supermärkte, Kraftwerke, Kulturgüter bombardiert, zivile Ersthelfer wie Feuerwehr, Rettung oder Evakuierungstrupps beschossen. Russland hat ganze Städte ausradiert. Jeden Tag schickt es Drohnen, Raketen, Marschflugkörper.
Dieser Krieg findet aber nicht nur entlang einer Frontlinie statt. Russlands Angriffe haben jede einzelne Person in der Ukraine zum Ziel. Eintausend Tage aber, das ist eine Zeit, in der auch die abscheulichsten Dinge zu einer gewissen Routine werden. Hier in Österreich hat man die Wahl: Man kann einmal keine Nachrichten konsumieren. Diese Möglichkeit haben die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht.
Die Ukraine hat 40 Millionen Staatsbürger – viele sind im Ausland, viele sind unter russischer Okkupation, rund 30 Millionen leben auf ukrainisch kontrolliertem Territorium. Das sind Menschen, die täglich beschossen werden, die ihre Heimat verlassen haben und geflohen sind, das sind Menschen aus Städten, die es nicht mehr gibt. Das sind – jeder und jede einzeln für sich betrachtet – viele Schicksale. Und tausend Tage, das ist eine lange Zeit des Ausgeliefertseins einem Regime gegenüber, welches, was Grausamkeit angeht, keine Grenzen zu kennen scheint.
Die Ukraine hat in diesen tausend Tagen bewiesen, dass sie riesige Ressourcen hat, wenn es um Durchhaltevermögen geht. Und um Hilfe zu bitten, ist kein Zeichen der Schwäche, sondern viel mehr Ausdruck eines klaren Verständnisses davon, was benötigt wird. Ja, die Ukraine braucht militärische Hilfe, sie braucht humanitäre Hilfe, sie braucht Strom und legistische Hilfe, um all die Kriegsverbrechen zu dokumentieren. Und für all das braucht sie Werkzeuge, um mental zu verarbeiten, was Russland tagtäglich bringt.
Andauernder Stress, Trauer, Wut, Hilflosigkeit, das ständige Gefühl, der Willkür eines Tyrannen ausgesetzt zu sein – all das hat Auswirkungen: Auf Kinder, auf Teenager, auf Erwachsene, auf Eltern, auf werdende Eltern, auf Alte, auf Männer, auf Frauen, auch Menschen im Osten der Ukraine wie im Westen. Es gibt keine vergleichbare Situation weltweit in der jüngeren Geschichte, dass eine so große Anzahl an Menschen über derart lange Zeit solch hohem Stress ausgeliefert war.
Unsere Hilfsorganisation Mission Ukraine unterstützt die mentale Gesundheit und Resilienz von Kindern, deren Eltern in der Armee dienen oder gefallen sind, bieten therapeutische Begleitung für Witwen und unterstützen medizinische Fachkräfte, die unter extremem Stress und Burn-out leiden. Unsere Projekte ermöglichen es diesen Menschen, den täglichen Terror zu verkraften.
Die psychische Stärke der ukrainischen Gesellschaft ist ihr Rückgrat, ihr Wille und ihre Kraft. Wir helfen dabei, uns selbst und einander zu helfen.
Oksana Schocher ist Co-Gründerin der NGO Mission Ukraine, lebt und arbeitet in Wien.