Esther Mitterstieler: Die Freiheit, die wir meinen
Die Aufregung im ORF ist groß. Generaldirektor Alexander Wrabetz hat sich tatsächlich dazu hinreißen lassen, Social-Media-Regeln aufzustellen. Angefeuert von Norbert Steger und Thomas Zach, den Vertretern von FPÖ und ÖVP im Stiftungsrat des ORF. Die Redakteure laufen Sturm dagegen und sprechen von Maulkorb-Erlass. Man mag das von zwei Seiten betrachten. Aus Unternehmensseite ist es legitim, Journalisten den Umgang mit sozialen Medien bewusst(er) zu machen. Schließlich zahlt der ORF ihre Gehälter. Und man kann schlecht tagsüber ORF-Redakteur und abends plötzlich Privatmensch sein. Ein Journalist, der seine politische Meinung zu offensichtlich vor sich herträgt, hat ein Problem mit seinem Berufsethos.
Ja, wir alle haben das Recht auf freie Meinungsäußerung. Doch Journalisten müssen sich auch bewusst werden, dass es nicht ihre Aufgabe sein kann, jede Kleinigkeit zu kommentieren, sondern zu recherchieren und zu schreiben -der Wahrheit und der Ernsthaftigkeit unseres Jobs entsprechend. In Wahrheit schadet manch unbedachte Äußerung auf Twitter oder Facebook dem Ansehen der Branche.
Im Fall des ORF darf man trotzdem fragen, ob die geplanten Regeln nicht maßlos übertrieben sind. Im Prinzip dürfte demnach kein Journalist mehr irgendwas posten oder liken. Eigentlich gibt es nur einen Social-Media-Star im und außerhalb des ORF - Armin Wolf. Er hat sich eine eigene Richtlinie auferlegt, die etwas für sich hat: "Ich twittere nichts, was ich nicht auch bei einer Podiumsdiskussion oder in einem Interview sagen würde." Nur leider halten sich viele Kollegen nicht an diese kluge Idee.
Angesichts der aktuellen Lage erscheint die Diskussion im ORF ein Kinkerlitzchen. Mitten in das Leak dieser Strategie fällt nämlich -man wäre fast versucht, zu sagen, mal wieder zufällig -eine viel gewichtigere Aktion, die in Zeiten von "Message Control" nun wirklich Journalismus und freie Meinungsäußerung gefährdet. Kollegen von "profil","Standard" und "Presse" haben über Ungereimtheiten bei den Bundesnachrichtendiensten berichtet. Und dann stellt sich Innenminister Herbert Kickl ins ORF-"Report"-Studio und greift das "profil" frontal an und sagt, auch Medien stünden im Fokus von Untersuchungen. Denn Dinge seien in die Öffentlichkeit gelangt, die nicht in die Öffentlichkeit gehören, so der Minister. Was heißt das nun? Dass Journalisten tatsächlich Hausdurchsuchungen fürchten müssen?
Stellt sich die Frage, ob wir jetzt ernsthaft Zuständen wie in Polen oder Ungarn entgegen gehen. Also ob Politiker entscheiden, was in die Öffentlichkeit gehört und was nicht. Wo kämen wir da hin? Das würde zu Klüngelei der schlimmsten Sorte führen. Zu Ende gedacht bräuchte dann jede Partei nur noch ihr eigenes TV-Programm via Social Media oder was immer. Das sind Zustände, die ORF-Kollegen fürchten müssen. Journalismus bedeutet doch vor allem Ernsthaftigkeit bei der Aufdeckung von gesellschaftlich relevanten Themen. Das ist die Freiheit, die wir meinen (sollten). Und wenn ein Minister Probleme bei der Führung seines Ressorts hat wie derzeit der Innenminister, dann ist ganz sicher nicht die Presse daran schuld. So etwas nennt man ein billiges Ablenkungsmanöver.