Die Taschenträgerin
Von Barbara Kaufmann
Das Mädchen versuchte krampfhaft, mit den beiden anderen Schritt zu halten.
über Außenseiter
Es war Anfang Juli, die Sommerferien hatten gerade erst begonnen, da fand ich mich am Weg zum Bad plötzlich in einem Pulk lauter 7-jähriger wieder. Irgendwie war ich beim Aussteigen aus dem Bus in sie hinein geraten und beschloss, ein Stück mit ihnen zu gehen. Wenn man - wie ich - selbst keine Kinder hat, bietet sich selten die Chance, sie im Umgang miteinander zu beobachten.
Mädchen
Mein Blick fiel auf ein seltsames Dreiergespann direkt vor mir. Ein auffällig hübsch zurechtgemachtes Mädchen mit etlichen Glitzerspangen im Haar und einem Kleid, das ich selbst in ihrem Alter gern im Schrank gehabt hätte, schritt selbstbewusst voran. Ihr auf dem Fuß folgte ein kleines, dünnes Mädchen, das offensichtlich fasziniert an ihren Lippen hing. Und ganz außen, etwas hinten nach, trottete ein Mädchen mit einem dicken Zopf, das im Gegensatz zu den anderen Kindern gleich zwei Taschen trug. Sie versuchte krampfhaft mit den beiden Mädchen Schritt zu halten, wurde aber von ihnen recht brutal links liegen gelassen. Sie schwitzte stark unter ihrer Last, es war ein heißer Tag, aber sie kämpfte beherzt und ließ sich nicht abschütteln.
Last
Irgendwann schien sie jedoch genug zu haben. Sie stellte sich dem kleinen, dünnen Mädchen in den Weg, gab ihr die zweite Tasche, die sie die ganze Zeit getragen hatte und sagte: „Ich mag nimmer.“ Und erst da fiel mir auf, dass diese bis dahin gar keine eigene Tasche getragen hatte. Dass also ihr die zweite Tasche gehörte, die das Mädchen mit dem Zopf tapfer mit sich mitgeschleppt hatte. Das kleine, dünne Mädchen nahm die Tasche wieder an sich, ohne die treue Trägerin auch nur anzusehen, ohne sich zu bedanken, hängte sich bei dem Mädchen mit den vielen Glitzerspangen ein und die beiden gingen einfach weiter.
Interessantes Leben
Das Mädchen mit dem Zopf gab auf und ließ sie ziehen. Und wie sie da so allein direkt vor mir hinten nach stolperte, so sehr Außenseiterin, dass es wehtat, hätte ich ihr gerne vieles gesagt. Dass alle Außenseiter aus meiner Schulzeit später sehr interessante Menschen wurden, die heute ein spannendes Leben haben. Dass ich selbst oft während der Wandertage allein hinter den anderen spaziert war, den Walkman im Ohr, die Gedanken weit weg, ganz für mich statt mittendrin in der Gruppe. Dass ich es genossen hatte, weil ich so über alles nachdenken konnte, was ich wollte, anstatt mir darüber den Kopf zu zerbrechen wie ich den anderen gefallen könnte. Dass es schön ist dazu zu gehören, aber noch besser, mit sich selbst gut auszukommen. Und dass man im Leben ein paar Menschen trifft, die das ähnlich sehen. Die zu einem stehen und mit einem gehen, ohne dass man ihre Tasche tragen muss.
Wetterlage
All das hätte ich gern zu ihr gesagt. Stattdessen sagte ich nur: „Heute ist es echt heiß.“ Und sie blickte mich erstaunt an, nickte und lächelte schüchtern. Dann ging sie weiter. Ich musste abbiegen, sah der kleinen Gruppe aber noch nach und bemerkte ein anderes Mädchen, das ebenfalls allein, aber zufrieden, als Letzte der Gruppe verträumt durch den Tag bummelte. Irgendwann, dachte ich mir und dachte an meine beste Freundin, werden sich die beiden schon bemerken. Und dann wird alles gut werden.