Meinung

Die ganze Welt in einer kleinen Kugel

Nicht nur viel Luft, sondern auch Substanz: Brasilien ist derzeit das faszinierendste Soziotop

Gert Korentschnig
über Fußball und Oper

Im Kultursender Ö1 war zuletzt folgende Definition zu hören: " Fußball ist Oper in kurzen Hosen und mit offenem Ausgang." Stimmt das? Der Opernkritiker des KURIER sagt ganz klar: Ja.

Karten für ein Spiel in Brasilien zu bekommen, ist zumindest so schwierig wie für eine große Festspielpremiere. Oper ist ein emotionales Genre, dem mit Rationalität schwer beizukommen ist – Fußball auch. Oper beginnt entweder mit einer Ouvertüre oder unvermittelt mit dem Geschehen – Fußball auch (manchmal dauert die Ouvertüre bei einem Spiel 89 Minuten).

Oper folgt streng dramaturgischen Gesichtspunkten zum Spannungsaufbau – Fußball ebenso. Bei der Opernhandlung sind die Helden, also die Tenöre, nicht immer die klügsten – im Fußball genauso, wenn man mit Helden die Torjäger meint. In der Oper geht es so gut wie immer um Frauen und darum, wie man sie am besten beeindruckt – im Fußball auch, wenn man an Aussehen und Gesten der Protagonisten denkt. In der Oper gibt es einen Dirigenten, der forcieren oder auf die Bremse steigen kann – im Fußball den Schiedsrichter. In der Oper hat der Intendant die Aufgabe, die richtigen Künstler für eine Neuproduktion zusammenzubringen – im Fußball der Trainer. Wer glaubt, Opernfreunde seien weniger euphorisch als Fußballfans, irrt gewaltig. Nur bei den Tattoos sind Sänger im Vergleich zu Fußballern zurückhaltend ( Evgenij Nikitin in Bayreuth ausgenommen). Dafür sind in der Oper am Ende meistens alle tot.

Aber warum diese Vergleiche? Um zu zeigen, dass Sport und Kultur oft Zwillinge sind und Auseinanderdividieren sinnlos ist. Bei nächster Gelegenheit wenden wir uns dann den politischen Aspekten der Fußballkunst zu. Dann gesellschaftspolitischen. Und wirtschaftlichen.

Eine Fußball-WM ist das interessanteste Soziotop.