Der alte Herr und die Jugend
Von Julia Schrenk
Wir kommen in der Obstabteilung des Meinl am Graben ins Gespräch.
Herr Baier schiebt dort seinen Einkaufswagen zwischen roten Grapefruits aus Südafrika und Pitahayas aus Vietnam. In seinem Wagerl liegt ein Sackerl mit Wachauer Laberln (die echten vom Schmidl aus der Wachau), außerdem Käse, Walnüsse und eine ganz kleine Flasche natives Olivenöl. Eine größere brauche er jetzt nicht mehr, vor nicht allzu langer Zeit ist Herr Baier Witwer geworden, erzählt er.
Herr Baier entspricht dem Typ an Kundschaft, die man sich beim Meinl am Graben gemeinhin so vorstellt, ziemlich genau. Er ist ein älterer, gepflegter Mann mit Hut und möchte sich mit seinem Einkauf etwas Gutes tun. Er kommt nicht täglich, aber „alle 8 bis 14 Tage“ tritt er den Weg aus Floridsdorf in die Innenstadt an.
Zum Meinl kommt er, weil er hier so gut betreut wird, erzählt er. Hier haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch ein bisschen Zeit zum Plaudern, es ist nicht so hektisch, wie anderswo. Auch nicht so anonym.
Herrn Baier kennt man beim Meinl. Stücke von ihm stehen sogar im Museum. Nein, keine Kunststücke, aber ganz alte Meinl-Teedosen. Die hat er, als seine Schwester gestorben ist, geleert und dem Geschäftsführer gebracht. Und seitdem stehen sie eben in der Vitrine.
Herr Baier erzählt, er komme schon seit 70 Jahren wegen der Spezialitäten zum Meinl. Damals hätten die Mitarbeiter senfgelbe Pullover getragen. An einen könne er sich noch besonders gut erinnern. Denn der trug so ein großes Bäuchlein vor sich her, dass der Pullover schon ein bisserl gespannt hat – und deshalb auch schon ein bisserl abgewetzt war.
Wenn Herr Baier also seit 70 (!) Jahren beim Meinl einkauft, muss ich ihn das Unausweichliche fragen. Wie alt er ist. Herrn Baier ist das nicht unangenehm, er ist 92 und gut drauf. Dann sagt er: „Darf ich Sie jetzt etwas fragen?“ Darf er. „Waren Sie heuer schon auf einem Ball?“ War ich noch nicht. „Gehen Sie auf einen Ball. Die Jugend ist so schnell vorüber.“