Meinung

Das Ende der Gewissheit

Es ist nicht einmal mehr sicher, dass wir ein christlich geprägtes Land sind, in dem man Deutsch spricht.

Dr. Martina Salomon
Österreichische Identität

Es war einmal ein Land, in dem die Bürger dachten, auf einer friedlichen Insel der Seligen zu leben. Das Bundesheer nahm keiner mehr ernst. Stolz war man auf die niedrigste Arbeitslosenzahl in Europa, obwohl für Soziales weitaus weniger Geld ausgegeben wurde als zum Beispiel im Sozialwunderland Schweden. Und während sich die Regierungen anderswo mit der zunehmenden Terrorgefahr auseinandersetzten, erwartete das Land, davon verschont zu bleiben. Weil man ja so klein, harmlos und gastfreundlich sei, so gut kochen, singen und Ski fahren könne.

Diese Gewissheiten enden für Österreich gerade. Mit erstaunlich wenig Aufgeregtheit diskutieren wir nun über eine Verlängerung des Präsenzdienstes, weil der Flüchtlingsstrom schonungslos gezeigt hat, wie hilflos das Land schon bei einer mittleren Krise dasteht (Deutschland ist hier übrigens um keinen Deut besser).

Die Arbeitslosenzahlen nähern sich beängstigend schnell der halben Million. Wir sind also längst kein Vorzeigeland mehr, obwohl die Sozialausgaben mittlerweile höher als in Schweden und jedenfalls weit über dem OECD-Schnitt liegen. Der Thinktank Agenda Austria hat am Freitag vorgerechnet, dass sich diese Kosten seit 1990 verdreifacht haben. Und ein Bericht des Verfassungsschutzes zeigt, dass in Österreich fast genauso viele jugendliche Terrorverdächtige leben wie in Deutschland, das zehn Mal so groß ist. Es ist nicht einmal mehr sicher, dass wir ein christlich geprägtes Land sind, in dem man Deutsch spricht. Bei so mancher U-Bahn-Fahrt in Wien wird man eines Besseren belehrt.

Wut und Ratlosigkeit

Eine andere " Gewissheit" ist schon länger Geschichte: Auch wenn wie in den alten Proporz-Zeiten noch immer das Land rot und schwarz "aufgeteilt" ist, lassen sich die Bürger politisch nicht mehr einordnen. In den Arbeiterhochburgen, aber auch unter Bauern, Gewerbetreibenden und Ärzten wählt man nicht mehr Rot oder Schwarz, sondern Blau als Ausdruck der Unzufriedenheit. Was erstmals dazu führen könnte, dass die FPÖ bei der nächsten Nationalratswahl auf Platz eins landet.

Die Politik reagiert auf das Ende der Gewissheiten mit "business as usual". Das ist falsch, aber wahrscheinlich das Wesen einer großen Koalition, die mühsam zu verbergen versucht, dass hier in Wahrheit jeder in eine andere Richtung zieht. Das wiederum macht den Bürger noch wütender und ratloser. Es ist längst an der Zeit, seine/ihre Sorgen ernster zu nehmen. Man wird natürlich nicht darum herumkommen, die Grenzen besser zu schützen, Integration ernsthafter zu betreiben und mehr darauf zu achten, wer da nach Österreich einwandert. Wie in Schweden müssen wir die explodierenden Sozialausgaben eindämmen. Das wird wohl geringere Sozialhilfen für Flüchtlinge nicht nur in Oberösterreich bedeuten. Und eine Pensionsautomatik, die das Pensionsantrittsalter an die steigende Lebenserwartung knüpft.

Tu felix Austria ... löse dich von deinen Illusionen.

martina.salomon@kurier.at