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FREMDGEHEN OHNE FREMD ZU GEHEN, Teil 2

Wer spannenden Sex haben möchte, braucht das Geheimnis

Nähe killt die Lust. Darum ging es die letzte Woche - und das da soll jetzt kein Fortsetzungsdrama sein, sondern versteht sich als Anregung. Wie gesagt: Irgendwann weiß im Setting einer Langzeitbeziehung jeder vom Partner alles. Die Ehe gerät zur Dorfgemeinschaft, in der keiner dem anderen etwas vorenthalten will. Dabei geben die Liierten alles preis und das zweisame All-Inklusive-Packerl: Sie sind einander Vertraute, Klagemauer, Kumpel "zum Pferdestehlen", Familienerhalter. Bärli kennt die bevorzugte Tamponmarke von Hasi. Er weiß, dass sie nach Haselnusseis Bauchweh kriegt und Nachthemden mit Punkterln drauf liebt. Hasi wiederum hat abgespeichert, dass Bärlis Chef ein Arschloch ist, er öfters von Sex mit seiner Sekretärin träumt und Angst vor Haarausfall hat. Das alles ist die Folge von Vertrautheit - einer Intimität, in deren Rahmen sich Partner bis zum Zellkern durchschauen. Mit dem Ergebnis, dass nichts mehr, aber gar nichts mehr rätselhaft bleibt. Doch der Mensch braucht das Rätselhaft-Fremde, den Backstage-Bereich der Seele. "Alles, was eine gute Beziehung ausmacht - Nähe, Vertrautheit, Sicherheit - gefährdet den Sex. Erotik lebt vom Fremden, von der Gefahr", weiß die Bestsellerautorin Ester Perel. Und sie provoziert mächtig: "Harmonie und Gleichberechtigung im Bett können schrecklich langweilig sein." Aber: Je "moderner" die Partnerschaft, desto mehr wird über alles, wirklich, wirklich alles gesprochen. Dass sich die Protagonisten dabei oft einmal in ihre zunehmend öden Elementarteilchen zerpflücken, merkt keiner. Mission impossible, sich nach einer heiteren Diskussionsrunde zu Themen wie "Wohnbaufinanzierung" oder "So geht es mir wirklich mit meiner Laktoseintoleranz" in einen exzessiven Fick zu stürzen. Was übrig bleibt, ist schwerstens unterzuckerter Verkehr - Sex nach Art des Hauses. Was tun? In der letzten Kolumne gab ich mich überzeugt, dass trotzdem was geht - weil ich an das Überleben der Liebe glaub', so schmalzig das jetzt auch klingen mag. Klar ist: Gespräche sind auch für mich unendlich wichtig - um dem Partner nah zu bleiben, um das, was und wie er ist, zu kapieren. Sich dabei vertraut und trotzdem irgendwie fremd zu sein, kann z. B. durch persönliche Weiterentwicklung gelingen. Wer sich und sein Innenleben immer wieder in Frage stellt, nicht dauernd im gleichen beigen Matsch herumsulzt, sich stattdessen neu erfindet, neu denkt und neu polt, wird dem anderen kaum langweilig. Auch, weil es so besser funktioniert, der "Verschmelzungsfalle" zu entrinnen. Zwei, die einander lieben, müssen nicht unbedingt alles auf Co tun - im Banne eines manischen Zweisamkeitswahns, der nur ja nichts Trennendes duldet. Weil sie keine Pantoffeltierchen sind, dazu bestimmt, aufeinander zu picken. Irgendwann wird's öd, stets zu wissen, was der andere wann genau gemacht, getan, gedacht, gegessen, verdaut hat. Dieser Abstand - ein Platz, in dem jeder sich alleine gehört und unabhängig vom anderen gedeihen kann, ist notwendiger Frei-Raum. In so einem bleiben wir in Berührung mit dem begehrenswerten "Fremden" - ohne fremdgehen zu müssen.