„Dann bin ich zu achtzig Prozent tot“
Von Uwe Mauch
Mit jedem weiteren Tag in Zagreb rückt er von Europa ein weiteres Stück weiter ab.
über Waleed Alsaedi
Blog Nr. 1168: Asylantrag abgelehnt! Waleed Alsaedi weiß, was der Urteilsspruch in kroatischer Sprache für ihn bedeutet. Er hat das schon einmal erlebt, wurde im Juli des Vorjahrs von Polizisten abgeholt und mit dem Flugzeug von Schwechat nach Zagreb befördert, jetzt droht ihm die Abschiebung knapp 400 Kilometer weiter südlich. Wohin werden sie ihn dieses Mal bringen? Der junge Iraker schüttelt bei unserem Treffen vor dem Zagreber Hauptbahnhof den Kopf. Er kann nur spekulieren. Von einem älteren Landsmann weiß er, dass dieser zurück nach Bagdad geflogen wurde. Eine Horror-Vorstellung für ihn: „Wenn sie das mit mir machen, dann bin ich zu achtzig Prozent tot.“
Ein Lächeln südlich von Strasshof
Waleed Alsaedi wird in wenigen Tagen 22 Jahre alt. Er musste früh in seinem Leben lernen, seine Gefühle hinter einem freundlichen Lächeln zu verbergen. Auf der Flucht aus dem Irak, auf der Fahrt mit dem Schlauchboot übers Meer, in diversen Flüchtlingslagern, jetzt hier in Zagreb. Wo er mit dem Schlimmsten rechnen muss. Am Besten gelingt ihm sein freundliches Lächeln, wenn er von seiner „Familie“ in Strasshof erzählt. Mit der tatkräftigen Unterstützung eines pensionierten Ehepaars konnte er sich dort binnen weniger Monate gut integrieren. Seine Arbeit für das Rote Kreuz und für die Gemeinde wurde von vielen Menschen, auch vom Pfarrer und vom Bürgermeister, als vorbildhaft bezeichnet. Umso größer war der Schock, als er vor acht Monaten von zwei Polizisten abgeführt und nach Kroatien abgeschoben wurde (ich habe im KURIER darüber berichtet).
Mithilfe seiner Freunde aus Strasshof hat er jetzt Einspruch gegen das erstinstanzliche Urteil der Zagreber Asylbehörde erhoben. Doch er weiß von anderen Bewohnern im inzwischen berüchtigten „Hotel Porin“, dass dieser Einspruch maximal seine Wartezeit in einer weiteren Sackgasse Europas verlängern wird. Höchstens drei bis sechs Monate, dann werden wieder Polizisten vor der Tür stehen.
Tod und Todesängste im Irak
So sehr sich Waleed Alsaedi bemüht, sein Lächeln schwindet. Sein Vater wurde vor drei Jahren in Bagdad exekutiert. Weil sich der Spediteur geweigert hatte, den IS-Angreifern die Schlüssel seiner Lkws zu überlassen. Seine Mutter liegt schwer krank im Krankenhaus. Seine jüngere Schwester lebt bei einer Tante, im Süden des Irak. Ein, zwei Mal pro Monat hat er Kontakt zu ihr, via WhatsApp. Er macht sich große Sorgen: „Sie traut sich nicht auf die Straße, weil sie aufgrund ihrer helleren Hautfarbe um ihr Leben fürchten muss.“
Jenseits von Dublin wird nicht gefeiert
Es fehlte in Strasshof nicht mehr viel, und er hätte seiner Familie im Irak aktiv helfen können. Doch so eine Unterstützung sieht das Abkommen von Dublin nicht vor. Man brachte den Flüchtling in jenes EU-Land zurück, in dem er auf seiner Flucht zum ersten Mal ein amtliches Papier unterschrieben hat. Mit jedem weiteren Tag in Zagreb rückt er von Europa ein weiteres Stück weiter ab. Im „Hotel Porin“ schläft er mit drei anderen Männern in einem kleinen Zimmer. Das Essen ist eintönig („entweder Reis oder Nudeln“), wochenlang gab es zuletzt im Bad nicht einmal ein Stück Seife.
Die Flüchtlinge sind auch in Kroatien zum Warten und Nichtstun verdammt. Waleed Alsaedi lernt inzwischen aus einer dicken Mappe mit einem Rotkreuz-Sujet. Auf der Mappe steht: Deutsch. Wird er noch einmal die Chance bekommen, diese Sprache zu sprechen? Wenige Tage vor seinem 22. Geburtstag sagt er in fast perfektem Deutsch: „Ich möchte den Geburtstag nicht feiern. Ich habe nichts zu feiern.“