Welt-Reise, Tag 71 - Russland
Servas, Karl!
Weltanschaulich liegen sie ja nicht unbedingt auf einer Linie. In Moskau begegnen sie sich dennoch beinahe auf Augenhöhe: Rudl, das Exportpferd der Österreicher, und Marx-Karli, der alte Bezweifler des Kapitalismus. Heute dient er in erster Linie als Fotomotiv. Heute wissen wir: Die klassenlose Gesellschaft ist eine nette Idee. Eine Utopie. Das schöne Leben können sich in Russland weiterhin nur ganz Wenige leisten. Nirgendwo ist die Klassengesellschaft offensichtlicher als in Moskau: Während auf den Straßen der neuen Hauptstadt der Superreichen unzählige Protzautos kreuzen, sind auf eben diesen in diesem Winter schon 98 Menschen erfroren. "Und dann ist der Kapitalismus mit dem Arsch voran nach Russland gekommen", poltert der Autor des "Russendisko"-Romans, Vladimir Kaminer, in einem Interview für die "Basler Zeitung". Dem Herrn Karl Marx bleibt da nur mehr seine versteinerte Miene. Unter den 100 reichsten Menschen der Welt befinden sich laut aktueller Forbes-Liste auch 15 Russen. Alleine in Moskau leben 79 Dollar-Milliardäre. Die Zahl der Millionäre ist dementsprechend höher. So wenig sympathisch das klingen mag, aber die sind für österreichische Exporteure besonders interessant. Überall im Stadtbild Moskaus sind die gelben Werbetafeln der Raiffeisen-Bank präsent. Auch wenn es noch immer ausreichend Österreicher gibt, die ihre Nase in Richtung Osteuropa rümpfen, seit dem Fall des Eisernen Vorhangs hat Österreich hier bestens verdient. Der Reichtum der Republik basiert nicht zuletzt auf den guten Geschäften mit den Nachbarn im Osten.
Rüber mit der Frucht!
Rudolf Haderer, der Herr mit der auffallend roten Ray-Ban-Brille, lädt heute in eine bekannte Moskauer Brauerei. Der 55-jährige Geschäftsmann aus einer bekannten Hausrucker Konditorfamilie arbeitet dort an einer Erfolgsstory maßgeblich mit. Dazu kommen wir gleich. Zuvor noch ein Wort zur Brauerei: Die Moscow Brewing Company ist in privatem Besitz, gehört findigen russischen Geschäftsleuten und befindet sich in Mytischi, einer der gut organisierten Satellitenstädte knapp außerhalb des großen Autobahnrings. Seit einigen Wochen werden hier auch Fruchtsäfte der Firma Pago abgefüllt. Pago wurde im Jahr 1888 in Klagenfurt gegründet. Die ersten drei Buchstaben stehen für den Familiennamen des Gründers, Jakob Pagits, das O für Obst. Im Jahr 1900 hat die Familie Pagits in ihrer kleinen Manufaktur nicht nur Sodawasser abgefüllt, sondern erstmals auch Fruchtsäfte aus Äpfeln, schwarzer und roter Johannisbeere. Das unternehmerische Engagement von Rudolf Haderer hat aus österreichischer Sicht nur einen kleinen Schönheitsfehler: Schön, dass er den Umsatz von Pago jedes Jahr verdreifacht. Doch er verdreifacht den Umsatz für den beinahe allmächtigen Heineken-Konzern. Die Familie Pagits hat ihre Firma bereits im Jahr 1977 an die Brau Union verkauft. Und die wurde wiederum 2003 als Brau AG sukzessive von Heineken geschluckt. Haderer erzählt lieber vom unaufhaltsamen Aufstieg der Marke Pago in Russland. Am Anfang habe man die auffallenden Fruchtsaftflaschen mit dem gelben Deckel ausschließlich als Premium-Premium-Produkt lanciert. In den Gourmet-Tempeln der Moskauer Neureichen. Flankiert von etlichen Marketing-Maßnahmen. Unter anderem offerierte man am Internationalen Frauentag Sekt mit Erdbeer-Pago - speziell für die aufgemascherlten Damen mit den zu kurzen Röcken. Der Pago-Projektleiter, der passend zu Pago keinen Alkohol trinkt, ist ein Profi beim Aufbau von Marken. Er betont, dass seine Firma heute dreißig Prozent ins Marketing pumpt. "Am Anfang war es sogar das Drei- und Vierfache." Ab April will er dann alle Fruchtsaft-Sorten von Pago am Stadtrand von Moskau produzieren. Und sich somit noch mehr von der Mutterfirma in Klagenfurt abnabeln. Haderer hat aber auch noch ganz andere Pläne. Der Konditorsohn will noch in diesem Frühjahr gemeinsam mit russischen Geschäftspartnern ein Mega-Wiener-Kaffeehaus eröffnen. So viel will er bereits verraten: "Wir werden rund um die Uhr geöffnet, hundert Angestellte und Platz für 170 Gäste haben." Neben der Café-Konditorei soll auch eine eigene Schau-Bäckerei eingerichtet werden. Und auch der Bezug zu Österreich wird dort gleich mehrfach gegeben sein: "Es geht halt nix über eine gediegene Küche und wohl schmeckende Lebensmittel."
"Sind wir gut dabei"
Russland muss dringend modernisiert werden. Erklärt Dietmar Fellner, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Moskau. Das 20. Jahrhundert hat für das Riesenland einen Scherbenhaufen hinterlassen. Das wüssten auch die politisch Mächtigen, und wollen daher ebenso kräftig in die Infrastruktur investieren wie die wirtschaftlich Mächtigen in ihre privaten Firmen. "Speziell im Bereich Maschinen- und Anlagenbau sind wir in Russland gut dabei", berichtet der erfahrene Firmen-Vertreter aus Hollenstein an der Ybbs. Durch die Krise wurden zwar eine ganze Reihe von Investitionsprojekten aufgeschoben. Dafür ist der russische Wirtschaftsmotor 2010 recht schnell wieder angesprungen. Für 2011 erwartet Fellner ein weiteres Wachstum von fünf Prozent. Den ganz großen Deal dürfte die Firma Andritz vor sich haben. Einem Abkommen mit einem großen russischen Energieversorger zufolge sollen die Andritzer bei der Modernisierung und beim Neubau von 300 Wasserkraftwerken mithelfen. Unkenrufe, dass sich Österreichs Exporteure schöne Aufträge in der kommenden Olympia-Region Sotchi entgehen haben lassen, weist Fellner entschieden zurück: "Wir sind auch in Sotchi gut dabei. Man darf dabei nicht vergessen, dass olympische Spiele immer als ein nationales Prestigeprojekt angesehen werden und dass daher einheimische Firmen bevorzugt werden. Das war seinerzeit bei uns in Innsbruck auch nicht viel anders. Dazu kommt, dass inzwischen auch Deutsche, Schweizer, Italiener und Franzosen wissen, wie man große Wintersport-Veranstaltungen ausrichtet." Eine Milliarde Euro Auftragsvolumen für Österreich, das sei ja grundsätzlich auch nicht ganz schlecht. So ist die Strabag beim Bau des olympischen Dorfs mitten drinnen. Geschäft machen werden auch die Seilbahnbauer von Doppelmayr, die Hersteller der computergesteuerten Zugangssysteme (Skidata) und eine Reihe von anderen österreichischen Anbietern.
Moskauer Spezialitäten
Egal ob Handy-, Telefon- oder Stromrechnung, die Moskauer bezahlen ihre privaten Rechnungen gerne am Bezahl-Automaten. Dabei handelt es sich um eine Maschine, die anders als unsere Bankomaten kein Geld ausspuckt, sondern die Rubel nur so frisst. Sie hilft somit jenen, die über kein eigenes Bankkonto oder eine eigene Kreditkarte verfügen (oft noch aus historisch begründeter Angst, sein Ersprartes zu verlieren). Das Geschäft der Bezahlautomaten blüht, das Prinzip des Bezahlens ist relativ einfach: Man gibt seine Daten auf einem Computer-Touchscreen ein und steckt dann die Geldscheine in das dafür vorgesehene Fach, die Rechnung wird so - abzüglich einer Gebühr - automatisch bezahlt. Auch eine Moskauer Spezialität: Die Geschäfte, die 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr offen halten. In Moskau kann man nicht nur in den Supermärkten, Lebensmittelläden und Tankstellen rund um die Uhr einkaufen, auch eine Maniküre oder einen Haarschnitt zu nachtschlafender Zeit ist jederzeit drinnen. Ein weiteres Kapitel für sich: der Aberglaube der Russen. Wenn sie mit ihren Finger zählen, beginnen viele nicht mit dem Daumen, sondern mit dem kleinen Finger, der in Richtung Handballen gedrückt wird. Leere Flaschen werden von den Abergläubigen nicht zurück auf den Tisch, sondern auf den Boden gestellt. Und wenn man eine Reise unternimmt, ist es Tradition, sich kurz auf das Gepäck zu setzen, bevor man das Haus bzw. die Wohnung verlässt. Dieses Ritual werden wir uns auf unserer kleinen Reise weiterhin schenken ...
Dieser Blog erscheint redaktionell unabhängig in Kooperation mit der Außenwirtschaft Österreich der Wirtschaftskammer Österreich sowie mit dem Wirtschaftsministerium. Die Export-Offensive go-international soll österreichische Unternehmen zu geschäftlichen Aktivitäten im Ausland motivieren und dabei unterstützen.