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"Folter gibt es nach wie vor"

Mirza wurde 2009 in Syrien geboren. Er und seine Familie gehörten dort einer Minderheit an. Aufgrund der Bedrohung der jihadistischen Miliz IS („Islamischer Staat“) wurde die Situation der Familie 2014 zunehmend lebensbedrohlicher. Der Vater kämpfte in einer Miliz, welche die Angriffe des IS abzuwehren versuchte. Seit 2015 wird er vermisst, sein Schicksal ist ungeklärt. Im selben Jahr sah sich die verbliebene Familie zur Flucht aus Syrien über das Mittelmeer nach Europa gezwungen. Nach einer lebensbedrohlichen Flucht gelang es der Mutter mit Mirza und seinen Geschwistern nach Österreich zu kommen. Der Familie wurde in Österreich gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention Asyl zuerkannt.

Das Leben in Syrien und im Krieg hat die Familie hinter sich gelassen. Die Erinnerungen daran begleiten sie aber nach wie vor. Mirzas Mutter sorgt sich um ihren Sohn, weil er sich oft nicht gut fühlt und im Alltag sowie in der Schule immer wieder Schwierigkeiten hat. Sie beschreibt ihren Sohn als schwierig und eigenwillig. Im Oktober 2019 meldet sie ihn bei Hemayat zur Therapie an. In der psychotherapeutischen Arbeit mit Mirza wurden Anzeichen einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung und einer dissoziativen Störung festgestellt. Mirza erlebte dabei immer wieder Momente, die er selbst nicht versteht.

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Fälle wie der von Mirza sind für den Verein Alltag. Hemayat wurde 1995 gegründet und hat sich in Wien als Zentrum für dolmetsch-gestützte medizinische, psychologische und psychotherapeutische Betreuung von Folter- und Kriegsüberlebenden etabliert. Das Wort "Hemayat" stammt aus dem Persischen und bedeutet „Betreuung“ oder „Schutz“.

Zerbombte Gebäude und weinende Menschen

Ein anderer Klient gibt an, es sei ihm nicht möglich, im Dunkeln einzuschlafen. Er schlafe immer vollständig bekleidet, weil er Angst habe, dass jemand komme. Er sei einmal um 4.00 Uhr früh verhaftet worden und habe auch in Österreich immer noch Angst, in der Nacht abgeholt zu werden. Er wache vom kleinsten Geräusch auf, sogar vom Geräusch seines eigenen Bettes, wenn er sich beim Schlafen umdrehe. Er könne meist erst im Morgengrauen einschlafen. Er träume dann von maskierten Männern, der Folter, zerbombten Gebäuden und weinenden Menschen.

Eine wieder andere Klientin beschreibt, sie habe Schwierigkeiten einzuschlafen, sie habe Albträume in der Nacht und wache schreiend auf. Dann würden die Kinder mitschreien, und alle müssten sich an der Hand halten, um sich zu beruhigen.

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Im Jahr 2020 hat der Verein 1128 Menschen, darunter 118 Minderjährige, aus 46 Ländern Betreuung und Schutz angeboten. Insgesamt wurden 14.083 Betreuungsstunden geleistet. Am internationalen Tag zur Unterstützung von Folteropfern will der Verein besonders auf die Wichtigkeit der Anerkennung von Folter -und Kriegsopfern aufmerksam machen.  „Folter gibt es weltweit leider nach wie vor. Viele Länder gehen zunehmend in Richtung psychischer Foltermethoden, die genauso grausam und ‚wirksam´ sind wie die physischen. Diese sogenannte ‚weiße Folter' arbeitet mit Schlafentzug, Drogen, Scheinexekutionen, etc. und ist darauf ausgelegt, keine nachweisbaren physischen Spuren zu hinterlassen. Die psychischen Auswirkungen sind aber verheerend“, erläutert Cecilia Heiss, Geschäftsführerin des Betreuungszentrum Hemayat.


„Diese Menschen haben etwas Schreckliches und Belastendes erlebt, aber auch überlebt", sagt Barbara Preitler, Hemayat Vereinsmitgründerin und Psychotherapeutin. Sie bezeichnet sie als Überlebende und nicht als Opfer. „Damit sie mit ihrem Leben weitermachen können, ist oftmals die entsprechende Therapie entscheidend", betont die Psychotherapeutin.

Mehr als nur Erinnerungen

Posttraumatische Belastungsstörungen, Konzentrationsstörungen, Flashbacks bis hin zu Somatisierungen, also der Manifestierung in körperlichen Beschwerden – das alles, und noch mehr, können Folgen einer Foltererfahrung oder dem Erleben einer Kriegssituation sein. Darüber zu sprechen ist der wichtigste, aber zugleich der schwierigste Schritt für viele. "Sie wollen darüber reden, gleichzeitig ist es das Letzte, was sie machen wollen“, erklärt Preitler. An das Erlebte erinnert zu werden, kann für Überlebende erneut traumatisierend sein. „Die Erinnerungen oder Flashbacks werden in solchen Fällen nicht als etwas wahrgenommen, was in der Vergangenheit war. Für traumatisierte Menschen ist es so, als würde sie es erneut durchleben" beschreibt Preitler, wie sich dieser Prozess anfühlt.
 

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Ein erster und wichtiger Schritt, in der Behandlung von Kriegs-Überlebenden ist es, ihnen zu glauben und Anerkennung zu schenken. „Gegenwärtig arbeiten wir daher bei Hemayat auch daran, die medizinisch-psychologische Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen nach den Bestimmungen des Istanbul-Protokolls weiter auszubauen, aber auch das ist eine Frage von Ressourcen, denn es ist eine sehr zeitintensive Arbeit“, so Geschäftsführerin Heiss. Trotz rückläufiger Asylzahlen steige der Bedarf an Behandlung von Folter und Kriegsüberlebenden im Betreuungszentrum Hemayat weiter.

Bewusstseinsbildung über Folter

Das liegt vor allem daran, dass es oft Jahre dauert es bis Betroffene mit ihren Symptomen, wie körperliche Schmerzen ohne sichtbare Verletzungen oder plötzlich auftretenden Flashbacks, ihren Weg zu Hemayat finden. Eine breite Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung über Folter als schwerste Form der Menschenrechtsverletzung und ihren Folgen ist deshalb besonders wichtig. Nur so kann auch gewährleistet werden, dass Betroffene den Schutz und die Behandlung bekommen, die sie dringend benötigen. "Auch ist es entscheidend dafür, dass Menschen ihr Leben selber in die Hand nehmen und sich integrieren können. Wie soll schließlich jemand eine neue Sprache lernen oder arbeiten können, wenn man immer und immer das Gefühl hat, Folter zu durchleben und sich daher nicht konzentrieren kann?", so Preitler.