Wie die Pandemie unser Konsum- und Essverhalten beeinflusst
Von Ingrid Teufl
Selbst kochen. Sich ausgefallene Gemüsesorten per Lieferdienst zustellen lassen. Essen „to go“ vom Lieblingswirt abholen. Oder das vom Haubenkoch zubereitete Menü mit wenigen Handgriffen daheim finalisieren: Während der Corona-Pandemie wurde gerade im Kulinarikbereich vieles zwangsweise erprobt, resümiert Foodtrend-Forscherin Hanni Rützler die vergangenen 16 Monate.
Die große Frage, die sich jetzt stellt: Was tut sich danach?
Erfahrungen nutzen
Für Rützler ist klar: „Manche dieser neuen Verhaltensweisen werden Konsumverhalten und Lebensstile auch nach der Krise prägen.“ In ihrem soeben erschienenen „Food Report 2022“ analysiert sie die Einflüsse und Antreiber während der Pandemie auf Trends und wie die Food- und Gastro-Branche die Lockdown-Erfahrungen für die Zukunft nutzen kann.
In der Gesamtbetrachtung sieht sie in der Krise durchaus auch Chancen: „Foodtrends sind immer auch ein Ausdruck von Wünschen. Als Trendforscherin schaue ich auf Lösungen.“ So haben sich etwa gesunde Ernährung oder die Ansprüche an die Qualität der Lebensmittel im vergangenen Jahr ganz deutlich zu Schlüsselthemen entwickelt, die umfassender als bisher verstanden werden.
Und die Möglichkeiten des Online-Lebensmittelhandels haben Anbietern und Konsumenten Synergien gebracht. „Weil etliche Produzenten, die sonst in der Spitzen-Gastronomie fixe Abnehmer hatten, diese in den Lockdowns nicht mehr beliefern konnten, entstanden durch engagierte Foodies neue Netzwerke. So kamen Konsumenten zu diesen besonderen Qualitäten.“
Einmal daran gewöhnt, werde es auch nach Corona keine Rückkehr zu klassischen analogen Strukturen mehr geben, prophezeit die Trend-Expertin. Das betreffe nicht nur Rohstoffe, sondern auch Lokale. „Take-away wird professionalisiert werden, das kann ein starkes Standbein werden.“ Zukünftig gehe es nicht um das schnelle Essen, sondern um das hochwertige Angebot – zu Hause und im Restaurant. „Die Menschen wollen nun nicht mehr schlechter als zu Hause essen.“
Trends im Überblick
Local Exotics: Regional, mit internationaler Wurzel
Ingwer aus der Steiermark („junge wilde Gemüsebauern“), Kurkuma aus dem Burgenland (Veganis), Reis direkt vor der Wiener Stadtgrenze (Österreis): Das sind keine Zukunftsszenarien, sondern das ist bereits Realität. „Regionale Entwicklung heißt nicht nur, dass man zur Tradition zurück muss“, beschreibt Hanni Rützler diesen Trend.
Immer mehr Produzenten probieren Anbau und Zucht von einst exotischen Pflanzen und Tieren. Das gelingt, angetrieben durch den Klimawandel, immer öfter – und befriedigt zusätzlich das hohe Bedürfnis der Konsumenten nach Nachhaltigkeit und kurzen Transportwegen. Meeresfische wie Wolfsbarsche oder Garnelen können dann, wie bei Michael Wesonigs „Urban Fish Farming“ („Michis frische Fische“), in Salzwasserbecken gezüchtet werden.
Zero Waste: Weniger verschwenden
„Die Pandemie hat das Thema Lebensmittelverschwendung noch stärker im Bewusstsein der Konsumenten verankert“, analysiert Rützler. Als Folge von gestiegenen Kochkenntnissen seien viele sorgsamer mit Lebensmitteln umgegangen – und hätten etwa auch Produkte mit überschrittenem Haltbarkeitsdatum nicht reflexartig weggeworfen. Findige Unternehmen setzen den Nachhaltigkeitsgedanken ebenfalls um, zum Beispiel mit mehrmals verwendbaren Take-away-Boxen. In Wien kooperieren etwa Lokale mit „Skoonu“, die Boxen aus Edelstahl anbieten. Das gebrauchte Geschirr wird in Rückgabestationen gesammelt. Über die Internet-Plattform „To Good To Go“ werden abends überschüssig produzierte Lebensmittel (je nachdem, was übrig bleibt) günstiger angeboten – und wird somit verhindert, dass sie im Abfall landen.
Vegourmets: Genuss ohne Fleisch
„Derzeit vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein Haubenkoch ein vegetarisches oder veganes Restaurant ankündigt“, stellt die Food-Expertin Rützler fest. Vor allem international hat die Corona-Pandemie diese Entwicklung weiter fortgesetzt. Zuletzt kündigte etwa Daniel Humm an, im New Yorker Luxusrestaurant „Eleven Madison Park“ auf Fleisch und Fisch zu verzichten. In München konzipiert Bobby Bräuer (2 Michelin-Sterne) mit dem „Green Beetle“ derzeit ebenfalls ein vegetarisches Restaurant. Andere wie Josita Haranto mit ihrem „Lucky Leek“ in Berlin oder Paul Ivic im „Tian“ (3 Hauben) in Wien kochen schon länger vegetarisch auf Top-Niveau. Beide Restaurants gibt es seit 2011. Nicht zu übertreffen ist allerdings das „Hiltl“ in Zürich. Hier wird seit 120 Jahren rein vegetarisch gekocht.
Dass die Popularität von pflanzlicher Ernährung während der Pandemie gestiegen ist, lässt sich also nicht bestreiten. Die Bewegung in der Gastro-Szene täuscht aber nicht über einen Aufholbedarf hinweg. „Da fehlt es vielfach noch an Fantasie“, sagt Rützler. Das sei neben spezifischem Know-how besonders wichtig. In Großbritannien, wo vegetarische und vegane Küche traditionell stark nachgefragt wird, eröffnete 2018 die „Vegan Chef School“. Dort lernen Profi-Köche die Kunst des veganen Kochens. Das nützt auch „traditionellen“ Restaurants: Die meisten Gäste sind keine Vegetarier oder Veganer, sondern neugierige Allesesser.
Real Omnivore: Die wahren Allesesser
In ihnen sieht Hanni Rützler „die Esser der Zukunft“: Sie wollen Genuss mit Verantwortung verbinden – „alles essen für den Planeten“.
Ernährung wird neu gedacht. „Was nun weltweit vermehrt auf den Markt kommt, sind keine Fleischersatzprodukte, sondern auch neue Nahrungsquellen.“ Dazu zählen etwa Insekten. Die werden allerdings als Bestandteile in Protein-Riegeln, Teigwaren und Ähnlichem verarbeitet. Das Wiener Start-up „Zirp Insects“ bietet etwa Fertigmischungen für Haferlaibchen oder Pancakes an.
Das heißt aber nicht, dass man sich aus ethischen Gründen vegan, also völlig ohne tierische Produkte, ernährt. Die Renaissance der Innereien, die komplette Verwertung eines Tieres, gab diesen Trend bereits vor. Dazu sind Rassen und Haltungsbedingungen relevant.