Lebensraum Totholz – Totgesagte leben länger
Mit ca. 4 Millionen Hektar Wald gehört Österreich zu den waldreichsten Ländern in der Europäischen Union. Der Großteil davon sind wenig artenreiche Kulturwälder. Diese wurden von Menschen angelegt, um Holz zu produzieren. Viele dieser Wälder sind sehr aufgeräumt – oft stehen die Bäume in Reih und Glied. Und einen wesentlichen Bestandteil eines gesunden Waldes findet man dort eher selten: Totholz!
Was ist Totholz?
- Alle Teile von toten oder absterbenden Bäumen und Sträuchern:
abgefallene Äste, Wurzeln, umgefallene Bäume / Sträucher (liegendes Totholz) - durch Schädigung oder Krankheit absterbende Bäume / Sträucher (stehendes Totholz)
Konkurrenzdruck durch andere Bäume, Schädlinge, das Alter eines Baumes oder Umwelteinflüsse wie Klimawandel, Hochwasser, Waldbrand oder Blitzschlag führen zum Absterben von Bäumen. In Urwäldern oder naturnahen Wäldern bleibt das Totholz liegen oder stehen.
Leider ist nur mehr ein geringer Teil – etwas mehr als 8.000 Hektar - des österreichischen Waldes ein Naturwald. Gerade einmal 1 % der gesamten Waldfläche ist noch ursprünglicher Urwald. Doch auch in vielen nachhaltig bewirtschafteten Wäldern wird durch Totholz die Artenvielfalt gefördert.
Warum ist Totholz so wichtig?
Vor allem für den Erhalt der Artenvielfalt brauchen wir das Totholz in unseren Wäldern. Doch Holz leistet einen wesentlichen Beitrag zum Umweltschutz, bis es komplett zersetzt ist:
- Für ca. 4.500 Xylobionten – das sind im Totholz lebende Arten – ist Totholz die Lebensgrundlage. Einige dieser Arten stehen bereits auf der roten Liste.
- Als wertvoller Dünger trägt das zersetzte Holz zum guten Wachstum neuer Bäume und Sträucher bei.
- Gerade in trockenen Sommern wird Totholz immer wichtiger, weil es Wasser speichert und dieses langsam wieder abgibt.
- Ein verrottender Baum ist ein wichtiger Kohlenstoff-Speicher und gibt CO2 nur sehr langsam in die Atmosphäre ab und leistet damit einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz.
Bis zu 100 Jahre und noch mehr, kann es dauern, bis ein Baum komplett verrottet ist. Wie lange die Zersetzung dauert, ist von der Baumart, vom Durchmesser des Baumstammes und von den Bedingungen am Standort ab. In feuchten Lagen wird Totholz schneller zu wertvollem Humus als an trockenen, warmen Plätzen.
Unterschiedliche Totholzphasen
Mit dem Zersetzungsgrad des Holzes ändern sich die Bewohner und Besucher eines absterbenden Baumes oder Strauches.
Pionier- oder Besiedelungsphase
Die ersten Insekten besiedeln das frisch abgestorbene Holz. Die primären Xylobionten fressen oder bohren sich durch das Holz. Dadurch löst sich die Rinde und es entsteht Lebensraum für die nächsten Bewohner. Die Pioniere sind hauptsächlich Holzwespen, verschiedene Bock-, Borken und Prachtkäfer. Manche von ihnen haben besondere Vorlieben und sind nur in ganz bestimmten Bäumen zu finden.
Spechte holen sich die Insekten aus dem Frischholz und schaffen so neue Lebensräume für Meisen, Eichhörnchen und andere Waldbewohner, die ein Zuhause suchen. Außerdem fördern sie das Eindringen von Pilzsporen, die den Holzabbau beschleunigen.
Zersetzung des Holzes
Die Rinde löst sich, die ersten Äste fallen ab und das Holz beginnt sich zu zersetzen. Die holzzersetzenden Pilze machen es den nachfolgenden Bewohnern einfach. Schröter, Feuerkäfer Nagekäfer und Schnellkäfer sind die sekundären Xylobionten, die in das morsche Holz einziehen. Für Parasiten, die sich von den im Holz lebenden Larven ernähren, wird das Totholz immer interessanter. 10 bis 20 Jahre kann die Zersetzungsphase dauern.
Humifizierungsphase
Die mürbe, lockere Holzmasse (Mulm) wird von Pilzen und Bakterien - den tertiären Xylobionten - zu Humus verarbeitet. Bodenlebewesen wie Asseln, Milben, Schnecken ... machen sich jetzt über den Holzmulm her und zerkleinern die noch übrig gebliebenen Holzstückchen. Gemeinsam mit den Exkrementen der kleinen Tierchen entsteht für den Wald wertvoller Dünger.
Lebendiges Totholz in in Österreich
In Österreich gibt es nur mehr drei richtige Urwälder: Rothwald im Wildnisgebiet Dürrenstein und Neuwald in den Nordöstlichen Kalkalpen, sowie den Urwald Dobra im Waldviertel. In diese Wälder hat noch nie ein Mensch eingegriffen. Darüber hinaus gibt es Naturwaldreservate. Hier wird versucht, die ursprüngliche Wildnis wieder herzustellen. In diesen Naturwaldreservaten will der Mensch vom Wald lernen, um in Hinkunft die österreichischen Wälder naturnah zu bewirtschaften.
Der Zutritt zu den richtigen Urwäldern ist schwierig und nur im Rahmen von wenigen Führungen möglich. Aber Sie haben in Österreich noch viele andere Möglichkeiten, naturnahe Wälder mit spannendem Totholz zu besuchen:
Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal
Der Rothwald ist ein Fichten-Tannen-Buchen-Urwald und seit 2017 Weltnaturerbe. Es versteht sich von selbst, dass der Mensch in diese besonderen, naturbelassenen Wälder nur begrenzten Zugang hat. Doch auf markierten Wegen und im Rahmen von Exkursionen und Führungen dürfen Sie einen Blick in diese von der Natur geformte Waldlandschaft werfen.
Nationalpark Kalkalpen
Überdurchschnittlich naturnahe Wälder können Sie im Nationalpark Kalkalpen erleben. Hier finden Sie ganz sicher genug Totholz zur Beobachtung. 75 % des Nationalparks sind als Wildnisbereich ausgewiesen. Diesen können Sie bei geführten Touren mit einem Nationalpark Ranger erkunden.
Nationalpark Gesäuse
Waldwildnis können Sie auch im steirischen Nationalpark Gesäuse erleben. Seit 20 Jahren darf sich hier die Natur auf 75 % der Fläche frei entwickeln. Nur die Sicherheit der BesucherInnen wird gewährleistet. Entdecken Sie den einen oder anderen Totholz-Haufen bei einer Wanderung. Oder machen Sie eine Fotowanderung mit Matthias Schickhofer - dem Experten für Ur- und Naturwälder. Er kann Ihnen bestimmt auch vieles über Totholz erzählen. Weitere Fototermine im bekannten Hartelsgraben finden Sie auf seiner Website.
Nationalpark Donau-Auen
So manches Hochwasser hat schon dafür gesorgt, dass es im Auwald oft sehr unordentlich aussieht. Weggeschwemmte Bäume und Sträucher dürfen hier noch vielen Insekten und anderen Tieren ein Zuhause geben. Buchen Sie einen persönlichen Ranger und erfahren Sie mehr über Totholz und die Tierwelt, die darin lebt. Bei einer Bootsfahrt wird Sie so mancher "Totholz-Haufen" beeindrucken.
Nationalpark Thayatal
Der "Green Canyon" bietet vielfältige Lebensräume und besondere Bewohner. Die Hirschkäfer finden genau das Totholz, das sie brauchen. Und möglicherweise können Sie eine Smaragdeidechse auf einem Holzhaufen beim Sonnenbad beobachten. Die urtümlichsten Bereiche des Nationalparks können Sie nur in einer Führung besuchen. Wildnis erleben können Sie hier auch bei Tag und Nacht.
Kernzone Waldschafferin
Mit rund 1,5 Hektar ist die Waldschafferin die kleinste der Kernzonen des Biosphärenparks Wienerwald. Charakteristisch sind die Traubeneichen-Hainbuchen und Traubenkirschen-Schwarzerlen-Eschenwälder, die hier auch als Totholz liegen bleiben. Seltene Käfer, Pilze und andere Tiere finden hier Unterschlupf.
In Wäldern mit Totholz gibt es so viel mehr Artenvielfalt als in reinen Wirtschaftswäldern. Überzeugen Sie sich selbst und achten Sie auf Käfer und andere Insekten, Amphibien und Vögel. Bleiben Sie dabei jedoch auf den Wegen - das ist in den meisten naturnahen Wäldern Voraussetzung dafür, dass Sie sich dort aufhalten dürfen. Gehen Sie achtsam und leise durch den Wald - die meisten Waldbewohner sind eher scheu. Wenn Sie Totholz finden - schauen Sie genauer hin. Sie werden von der Kreativität der Natur überrascht sein.