Duftforschung: Der Geruch von Weihnachten
Von Ingrid Teufl
Lebkuchen und Orangen für die einen; Kerzen und Tannennadeln für die anderen oder gleich eine Mischung aus Vanille, Zimt und frischen Keksen – der Duft von Weihnachten ist für jeden etwas anderes.
Einige Gerüche sind typisch für unseren Kulturkreis, andere sind höchst individuell. Für Duftforscher Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum löst zum Beispiel der Duft einer gebratenen Gans Weihnachtsgefühle
aus. Und zwar, weil das Gericht in seiner Familie traditionell am 25. Dezember auf den Tisch kommt. „Dann ist Weihnachten wirklich da.“
Kaum ein anderes Fest ist derart auf der sinnlichen Ebene angesiedelt, vor allem auf jener von Gerüchen. Das hat einen plausiblen Grund: „Je spezifischer ein Duft in einer bestimmten Situation ist, desto eher wird er auch mit diesem Moment abgespeichert und je intensiver die Emotion in dieser Situation umso stärker wird damit verknüpft“, die ersten Riechrezeptoren beim Menschen und zählt heute zu den international renommiertesten Geruchsforschern.
Ältester Sinn, junge Forschung
Viele Details über die Funktionen des Riechens waren vor rund 20 Jahren noch unbekannt. „Riechen war tatsächlich der vergessene Sinn des Menschen“, erinnert sich Hanns Hatt. Dabei ist das Riechzentrum der älteste Sinn des Menschen – und hat den direktesten Zugang zum Gehirn. Der studierte Zellphysiologe kam über biologische Forschungen mit Nachtfaltern und Schmetterlingen während seines Studiums zur Riechforschung. Sein „Glück“, wie er es rückblickend betrachtet, war das Neuland des menschlichen Riechens.
Er entdeckte unter anderem die ersten Riechrezeptoren beim Menschen und zählt heute zu den international renommiertesten Geruchsforschern. Allerdings ist das Forschungsfeld der Geruchsforscher nicht allein
auf die Nase beschränkt, wie neuere Erkenntnisse zeigen. „Wir fanden etwa heraus, dass Duftrezeptoren nicht nur in der Nase, sondern auch in anderem Gewebe des Körpers vorkommen“, erläutert der Experte.
Duftstoffe können über den Magen-Darm-Trakt, die Haut (z. B. Einreiben) oder Inhalation in den Körper gelangen. „Nach 15 Minuten sind sie im Blut nachweisbar.“
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Riechrezeptoren im Darm
Hier schließt sich erneut der Kreis mit Weihnachten und wirft ein völlig neues Licht auf die mit dem Fest verbundenen Düfte. Gewürze wie Nelken, Anis, Zimt für Kekse oder Beifuß für die gebratene Gans werden über die Geruchsrezeptoren des Darms aufgenommen. „Sie beruhigen etwa den Darm, fördern die Verdauung.“ Es sei also kein Zufall, dass erklärt Hatt. „Weihnachten ist statistisch bei den meisten Menschen positiv besetzt.“
Das Fest zeige aber auch: „Früher haben die Menschen Erfahrungsmedizin betrieben. Heute kann man das beweisen.“ Nicht nur die emotionale Verbindung hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Gerüchen – auch
der Seltenheitsfaktor spielt eine Rolle. Orangen, Feigen oder Nüsse sind längst das ganze Jahr über erhältlich, „als typisches Weihnachtsobst haben sie an Wert verloren“, sagt Hatt. Auch dahinter steht ein mittlerweile erforschter Mechanismus. „Werden Gerüche zu Ganzjahresdüften, verlieren sie ihren Reiz, die spezifischen Erinnerungen und damit auch die Emotionen gehen verloren.“ Dagegen hilft laut dem Duftforscher ein Riechtraining der anderen Art. „Ich empfehle, bestimmte Düfte für bestimmte Situationen zu reservieren.“ So gesehen ist die Einmaligkeit von Weihnachten im Jahreslauf ein Glück.