Leben/Gesellschaft

Sex, Drugs & Rock’n’Roll am Pilgerweg

Extrem schweißtreibend führt eine Forststraße den Berg hinauf. Steile Felswände begrenzen den Pilgerpfad von St. Gilgen über den Falkenstein nach St. Wolfgang. Hier hat der heilige Wolfgang im 10. Jahrhundert eine Quelle aus dem Felsen geschlagen. Hier gab es im Spätmittelalter eine Klause. Hier verlief der Pilgerweg nach St. Wolfgang – unglaublich, aber wahr – damals die viertgrößte Wallfahrtsstätte Europas nach Rom, Santiago de Compostela und Aachen. Ein ständiges Kommen und Gehen von etwa 100.000 bis 200.000 Pilgern jährlich, wusste man aus historischen Quellen, die auch vom spartanischen Leben der Eremiten berichten.

Das örtliche Heimatmuseum wollte es genau wissen und eine Rekonstruktion der Klause errichten. "Kein Problem", sagte Neubauer, "nach einem archäologischen Befund". Also packte der Chef des Ludwig Boltzmann Instituts für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI Arch Pro) seine Bodenradarmessgeräte ein, erklomm den Berg und machte sich mit seinem Team auf die Suche nach der Klause. Mit Erfolg. Bei einem Pressegespräche weiß er von reichen Spuren aus dem Alltag der Eremiten und Pilger zu berichten, die sich bei Nachfrage als eine Geschichte rund "um Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll" entpuppt, wie der Forscher sagt.

Aus den Quellen wusste er, dass immer zwei Eremiten dort gelebt haben; die Inventarlisten geben Auskunft darüber, wie die Mönche hausten – theoretisch spartanisch. "Das, was wir gefunden haben, geht weit, weit über die Listen hinaus", sagt Neubauer. "Sie haben viel luxuriöser gelebt." Wie der deutsche Protz-Bischof Tebartz van Elst? "So schlimm war es nicht". Neubauer lacht. Sie hatten Musikinstrumente – Maultrommeln und Flöten (Rock ’n’ Roll, Anm.) – eine bronzene Taschensonnenuhr, viele Münzen, Schnallen, Knöpfe, blaue Glasgefäße, einen Kachelofen. Die unterschiedlichsten Medikamenten-Fläschchen belegen, dass die Eremiten ihre eigene Apotheke hatten (Drugs, Anm.)", erzählt Neubauer.

Ein-Mann-Klo

Die Latrine entdeckten die Wissenschaftler außerhalb des Gebäudes, "eine große Grube mit einem Felsblock in der Mitte, der sie in zwei Teile teilte." Das heißt, jeder der beiden Brüder hatte sein eigenes Klo, analysiert Neubauer und berichtet, dass die Forscher bei genauerer Untersuchung plötzlich Tropfen am Boden haben glänzen gesehen – Quecksilber! "Wir dachten ursprünglich, dass daraus Haken geformt wurden, die vergoldet wurden. Archäologisch gedacht, eben." Doch dann hat Neubauer sich mit den Kollegen des LBI für Lungengefäßforschung unterhalten, die genau wie die vom LBI für Neulateinische Studien an dem interdisziplinären Projekt beteiligt waren: Ob sie eine Idee hätten, wofür man damals Quecksilber verwendet hat? Die Mediziner wussten sofort von der Volksseuche Syphilis zu berichten, erzählt Neubauer. "Und eine der Medikationen dagegen war Quecksilber." Was der Archäologe daraus schließt? "Das war definitiv keine öffentliche Toilette, die gehörte immer einem Bruder – das war ein Ein-Mann-Klo, was natürlich der Fantasie Tür und Tor öffnet. Womit wir bei seinem dritten Schlagwort zum Forschungsprojekt wären (Sex, Anm.)

Die gesammelten Erkenntnisse flossen in die 3-D-Rekonstruktion ein, die auch Grundlage für den Wiederaufbau der Klause sein könnten. Apropos Erkenntnisse: Beim selben Pressetermin berichtete LBG-Präsident Josef Pröll über "sehr gute Ergebnisse" in der kürzlich von externen Experten durchgeführten Zwischen-Evaluation der drei beteiligten Institute, wodurch deren Finanzierung in der Höhe von 7,8 Millionen Euro durch die Boltzmann-Gesellschaft in den nächsten drei Jahren gesichert sei.

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