"Wiener Woche der Würde": Nicht Opfer, sondern Mensch
Von Ute Brühl
Wenn zwei Menschen bis spät in die Nacht zusammensitzen und dabei über Gott und die Welt philosophieren, dann haben sie am anderen Tag meistens vergessen, worüber sie eigentlich geredet haben. Nicht so Martin Rohla und Zuzana Luckay Mihalcinova. Der Wiener Biobauer und die slowakische „Doktorin der Würde“ haben sich eine ganze Nacht darüber den Kopf zerbrochen, wie sehr Anspruch und Wirklichkeit in Sachen Menschenwürde auseinanderklaffen.
„Ein Thema, über das nicht nur wir beide mehr Bescheid wissen sollten“, dachte sich Rohla – und schon war die Idee der „Wiener Woche der Würde“ geboren, bei der der Begriff aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert werden soll (Details dazu am Ende des Textes). Kluge Köpfe aus Wirtschaft, Sozialverbänden, Politik und Wissenschaft werden die Menschenwürde aus verschiedenen Aspekten beleuchten.
Doch was heißt Würde überhaupt? Für Rohla bedeutet sie, „dass das Selbstwertgefühl des anderen nicht verletzt werden darf.“ Wobei Juristen, Philosophen oder Theologen den Begriff sicher ganz anders deuten.
Flucht und Würde
Einer, der täglich mit verletzter Menschenwürde zu tun hat, ist Kilian Kleinschmidt, der weltweit Flüchtlingslager organisiert. Auch er wollte diese Woche nach Wien zu einer Podiumsdiskussion kommen – stattdessen wird er sich in Libyen um geflüchtete Menschen kümmern. Wo sieht er die Würde dieser Menschen am stärksten gefährdet? „Wir sollten die Männer und Frauen, die von ihrer Heimat vertrieben wurden, weniger als Opfer ansehen, die Almosen von uns benötigen, sondern einfach als Menschen. Da braucht es ein anderes Narrativ, also eine Beschreibung dieser Personen.“ Flucht und Würde ist deshalb auch ein großes Thema dieser Woche.
Doch ist Menschenwürde in einer immer unsicherer werdenden Welt überhaupt ein Ziel, das zu erreichen ist? Führen Klimawandel, Migrationsströme und Ressourcenknappheit nicht zu mehr Aggression und somit Verletzung der Menschenrechte und -würde? „Ich bin ein Optimist“, sagt Rohla. „Und die Zahlen geben mir Recht. Der Hunger geht weltweit zurück und vieles wird maßlos übertrieben“, sagt der Initiator , der sich auch an nachhaltigen Start-ups beteiligt und so dazu beiträgt, dass die Welt ein Stückchen besser wird.
Die Welt – das ist für die meisten Menschen die Arbeitswelt. „Würde und Management“ heißt deshalb auch ein Programmpunkt. Einer der Diskutanten ist Christian Friesl, Theologe sowie Bereichsleiter Bildung und Gesellschaft der Industriellenvereinigung. Menschenwürde ist für ihn eine Säule des Christentums: „Der Mensch wird als Gottes Ebenbild gesehen und muss deshalb geachtet werden.“
In der Arbeitswelt bedeutet der Begriff, „dass man die Menschen nicht nur als Arbeitskraft oder als Mitarbeiter sieht, sondern in seiner ganzen Persönlichkeit.“
Wie wichtig die Sicht auf Mitarbeiter bei der Wahl des Arbeitgebers ist, zeige eine Studie unter Studenten: „Danach sind Kollegialität und Führungsstil die wichtigsten Kriterien bei der Wahl des Arbeitgebers – weitaus entscheidender als Arbeitsplatzsicherheit oder Gehalt.“
Für die Zukunft wird die Herausforderung deshalb darin liegen, wie gut eine Führungskraft es schafft, gut ausgebildete und selbstbewusste Menschen zu motivieren, ein Ziel zu erreichen. „Management wird weniger eine Frage der Organisation, sondern der Kunst, Menschen zu führen“, sagt Friesl. Heißt: Jeder Kollege muss als Einzelfall betrachtet werden, als Mensch in seiner Gesamtheit. Das gelte für den Mitarbeiter und die Führungskraft gleichermaßen. „Statt Befehle zu erteilen, geht es darum, eine Fülle an Zweierbeziehungen zu moderieren“, ist Friesl überzeugt.
Die Diskussionen finden an verschiedenen Orten statt. Die Themen sind: Würde und Frauen, Wirtschaft, Management Armut, Flucht, Medien und Menschlichkeit. Für die Veranstaltungen kann man sich Tickets kaufen. Kosten: 10 Euro inklusive Jause.