Leben/Gesellschaft

Schau mir in die Gene, Kleines!

Die vier Freundinnen aus "Sex and the City" besitzen nicht nur ähnliche Stilettos, sondern auch idente Gene. Zumindest teilweise. Das behaupten James Fowler von der University of California und Nicholas Christakis von der Yale University. Die Wissenschaftler verglichen in einer Langzeitstudie das Erbgut von Freunden und von Fremden. Ergebnis: Freunde sind einander genetisch so ähnlich wie Cousins vierten Grades.

Liebe per Gentest

Es ist nicht das erste Mal, dass Genetik und unser Sozialleben in einen Topf geworfen werden. Vor sechs Jahren gründeten Schweizer Wissenschaftler das Unternehmen GenePartner. Unter dem Motto "Liebe ist kein Zufall" testet es, ob potenzielle Partner genetisch zueinanderpassen. Denn: "Hohe genetische Kompatibilität bedeutet eine größere Wahrscheinlichkeit, eine andauernde und erfolgreiche Partnerschaft zu bilden." Nicht nur: Auch ein aufregendes Sexleben, erhöhte Fruchtbarkeit und gesunder Nachwuchs werden versprochen. Großes Vorbild ist die Bostoner Firma ScientificMatch, die ebenfalls das Erbgut der Kunden – mehr als 700 Euro kostet eine lebenslange Mitgliedschaft – auf Beziehungstauglichkeit testet.

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Nun klingt "genetische Kompatibilität" nicht sehr sexy, und ein Speicheltest vor dem ersten Rendezvous versetzt wohl nur hartgesottene Forscher in romantische Stimmung. Markus Hengstschläger, Genetiker an der Uni Wien und Autor, steht Gentests in Liebes- und Freundschaftsbelangen kritisch gegenüber. "Der Mensch ist in zwischenmenschlichen Beziehungen nicht auf die Genetik reduzierbar", sagt der Mediziner. "Es gibt in der Genetik genug zu forschen, zum Beispiel die Heilung von Krankheiten. Es wäre sinnvoller, sich damit zu beschäftigen."

Einander riechen können

Portale wie GenePartner und ScientificMatch fußen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. 1995 fand der Schweizer Forscher Claus Wedekind heraus, dass die sogenannten HLA-Gene (Human Leukocyte Antigen) nicht nur für die Immunabwehr, sondern auch für die Partnerwahl wichtig sind. Er ließ Frauen an getragenen Männer-T-Shirts riechen. Die meisten Frauen bevorzugten den Geruch jener Männer, deren HLA-Gene sich am stärksten von ihren eigenen unterschieden.

Medizinisch und evolutionär gesehen ergibt das Sinn: Kinder von Paaren mit vielen verschiedenen HLA-Genen – und somit Immunreaktionen – sind gegen mehr Krankheiten geschützt. "Je höher die Variabilität, desto höher die Erfolgschancen", bestätigt Hengstschläger. "Sollte das aber Einfluss auf die Partnerwahl haben? Nein! Jede Beziehung ist ein Misch-Masch aus vielen verschiedenen Komponenten. Die DNA ist keine Entscheidungsgrundlage."

Freier Wille

Dasselbe gilt für Freundschaften. Die Freundschaftsstudie der US-Forscher sei laut Hengstschläger zwar "korrekt gemacht", zu viel Aufmerksamkeit müsse man ihr aber nicht schenken: "Die Ähnlichkeit in den Genen ist ein statistischer Wert, den man nicht überbewerten sollte." Das hieße nämlich im Umkehrschluss: Wenn zwei Menschen komplett verschiedene Gene haben, sind sie als Freunde nicht geeignet – völliger Unsinn, meint Hengstschläger. "Natürlich gibt es in zwischenmenschlichen Beziehungen auch eine biochemische Komponente. Aber was ist die Schlussfolgerung? Dass ich keinen freien Willen habe, weil ohnehin alles in meinen Genen vorherbestimmt ist?"

Bei aller Kritik hat Hengstschläger aber auch Verständnis für jene, die 200 Euro für einen Liebes-Gentest ausgeben. "Jeder Mensch hat das Bedürfnis nach funktionierenden zwischenmenschlichen Beziehungen, sei es freundschaftlich oder in der Liebe. Und jeder fragt sich – was kann ich dazu beitragen?"

Was aber, wenn zwei Menschen bereits schwer verliebt sind und später feststellen, dass die Beschaffenheit ihrer DNA gegen eine gemeinsame Zukunft spricht? Genetiker Hengstschläger hat einen eindringlichen Rat für alle Verliebten: "Bitte, bitte – einfach ignorieren!"