Leben/Gesellschaft

Wie einem 12-Jährigen das Leben gerettet wird

März / April 2016: Kardinal Christoph Schönborn besucht Flüchtlingslager in den kurdischen Autonomiegebieten im Nordirak. "Mehr als 100.000 Christen, aber auch Muslime und Jesiden sind vor den Horden des Islamischen Staates dorthin geflüchtet", so Schönborn.

"Wir waren in fünf Lagern, und ein Bild ist mir dabei ganz lebendig vor den Augen: Wir wollten gerade nach dem Besuch von neuen Häusern in Erbil, in denen Flüchtlinge untergebracht werden, ins Auto einsteigen, als eine Mutter ruft: ,Helfen Sie meinem Kind‘."

Schönborn und seine Begleiter sind zu der aramäisch-katholischen Frau zurück, sie erzählt ihnen ihre Geschichte: Ihr Mann wurde von IS-Leuten ermordet. Und ihr Sohn, George Mensoor, könne nur überleben, wenn er eine lebensrettende Operation bekommt.

Wie sich später durch die Diagnose österreichischer Ärzte herausstellt, leidet er am seltenen "Prune-Belly-Syndrom", angeborenen Fehlbildungen, unter anderem der Harnwege (siehe re.).

Keine OP im Irak

"Es gibt keine Möglichkeit, das Kind im Irak zu operieren", betonte Schönborn Sonntagvormittag. Er empfing George mit seiner Mutter Basma Shabe, einige Großspender sowie Ärzten im Erzbischöflichen Palais.

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"Es gibt Situationen im Leben, in denen man nicht fragen kann: Wie vielen Menschen kann ich noch helfen? Es geht hier um das Leben dieses Buben – wenn er nicht in Österreich operiert wird, kann er nicht überleben."

Es sei dies eine Situation wie beim Barmherzigen Samariter: "Da ist ein Mensch am Straßenrand gelegen und der Samariter hat gespürt: Hier muss ich helfen, hier bin ich dran." In solchen Situationen könne man nicht sagen, es gebe so viele Verletzte auf der Welt, man sollte jedem fünf Euro geben. "Hier ist ein ganz konkreter Mensch, dem jetzt geholfen werden muss."

Schönborn hat einen Spendenaufruf in der Zeitung der Erzdiözese Wien (Sonntag) veröffentlicht: Der Spitalsaufenthalt, der Transport, die Rehabilitation und die weiterführende Therapie im Irak (die Mutter will wieder nach Erbil zurück) verursachen hohe Kosten. Neben vielen Einzelspendern hat sich auch die "Vereinigung der Pensionisten der Österreichischen Nationalbank" engagiert. Es sei "ein kleines Wunder", dass die notwendigen Mittel aufgebracht werden konnten, sagt Schönborn.

Operiert wird George von zwei Spitzenmediziner des Wiener AKH / MedUni Wien: Univ.-Doz. Winfried Rebhandl, stv. Leiter der Klinischen Abteilung für Kinderchirurgie, und Univ.–Prof. Oskar Aszmann, Klinische Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie. Beide stellen sich für die mindestens zwei großen Eingriffe unentgeltlich zur Verfügung. Heute, Montag, beginnen erste Untersuchungen.

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Aus der Hilfsinitiative für George ist mittlerweile ein weiteres Projekt entstanden, berichtet Schönborn: "Die Kinder in den Flüchtlingslagern im Irak können grundsätzlich in eine Schule gehen – aber es fehlt an Schulbussen, die sie dorthin bringen." Jetzt werden Spenden für einen Bus gesammelt.

Schönborn betont auch, dass die Hilfe für George keine Einzelaktion ist. Seit dem Sommer 2015 sind an rund 250 Orten in der Erzdiözese Wien – Pfarren und Klöster – rund 1100 geflüchtete Menschen untergebracht worden: "Die Schwierigkeiten sind nicht gering, aber die Ergebnisse der Integrationsbemühungen sind oft sehr berührend." "Im Alltagsleben gibt es keine Probleme", betont auch der Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Wien, Rainald Tippow. Im Schnitt leben fünf Personen in einer Pfarre. Schönborn: "Es geschieht so viel Gutes, was nicht an der großen Glocke hängt."

George wurde am 1. August zwölf Jahre alt – aber er ist extrem zart und wirkt wie ein Sechsjähriger. „Er lebt seit seiner Geburt auf Sparflamme“, wie es die Internistin und Oberärztin Petra Elliott vom SMZ-Ost formuliert.

Das sind Folgen des Prune-Belly-Syndroms, einer angeborenen Fehlbildungserkrankung. George hat schwere Fehlbildungen im Bereich der Harnwege, ihm fehlt die Bauchdecke, die Hoden sind nicht voll ausgebildet und ruhen im Bauchbereich. Eine Trichterbrust führt dazu, dass sich Lunge und Herz nicht altersgemäß ausdehnen und entwickeln können.

Durch die fehlgebildeten Harnwege wird Urin immer wieder zur Niere zurückgespült. „Wiederkehrende Infektionen und Schäden am Nierengewebe sind die Folge. Es kommt zu einer immer stärkeren Harnvergiftung.“ George lebt derzeit „relativ gut mit seiner Erkrankung, er hat sich angepasst“, sag Elliott: „Aber sobald er zu laufen beginnt, fehlt ihm die Luft.“

"Verlöschen der Lebensenergie"

Mit fortlaufendem Alter würden ohne Behandlung die Folge durch den Harnrückfluss immer größer, eine dialysepflichtige Harnstoffvergiftung wäre die Folge. Durch die gleichzeitig zu kleinen Organe – das Herz pumpt zum Beispiel eine für sein Alter viel zu geringe Blutmenge in den Körper – käme es schlussendlich irgendwann „zum Verlöschen seiner Lebensenergie“.

Elliott: „Ohne Operationen ist zu befürchten, dass George rund um das 20. Lebensjahr stirbt.“ Im ersten Eingriff sollen die Anomalien der Harnwege korrigiert werden, später ist eine Korrektur der Trichterbrust geplant. „Danach wird George gut und lange leben können.“