Leben/Gesellschaft

Warum Nachhaltigkeit oft ein Marketing-Schmäh ist

Unter seinen Füßen spürt er noch die Hitze – Werner Boote steht mitten im abgebrannten Regenwald. Es fällt ihm nicht leicht, seine Gefühle in diesem Moment zu beschreiben: "Eine Apokalypse! Man möchte einfach nur schreien. Du siehst am Horizont noch ein paar Bäume, auf der anderen Seite nichts mehr. Ein paar Tage zuvor hat es an der Stelle noch geblüht und gezwitschert. Alles vorbei. Man fühlt sich machtlos und spürt die Brutalität, wenn der Urwald der Palmölproduktion weichen muss."

Das ist eine Szene aus Bootes neuestem Dokumentarfilm "The Green Lie" (Die grüne Lüge", Kinostart heute, 9. März), den er gemeinsam mit der Journalistin Kathrin Hartmann gedreht hat. Die Frage, die sich die beiden stellten: Wie nachhaltig wird das produziert, was wir konsumieren? Unzählige Labels vermitteln ja den Eindruck, dass alles immer nachhaltiger hergestellt wird. "Eine Lüge, eine grüne Lüge", stellt Hartmann fest.

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Denn Ziel der Konzerne sei, möglichst viel Gewinn zu machen, und nicht, die Umwelt zu schonen. Mit Begriffen wie nachhaltig ködern sie die Kunden. Palmöl für den "Biodiesel" sei hierfür ein gutes Beispiel. "Doch dies kann man nicht ökologisch gewinnen, weil hierfür immer Regenwald gerodet werden muss", sagt Boote. Eine Gefahr, nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Menschen. " Auf den Interviewpartner, mit dem wir im Regenwald gedreht haben, wurde ein Mordanschlag verübt. Und als wir in Brasilien drehten, wurde ein Aktivist ermordet", berichten die beiden im KURIER-Gespräch.

Heißt das jetzt, dass es egal ist, was ich kaufe? "Nein", sagt Boote. Wo es geht, kaufe ich regionale und saisonale Produkte und sehe mich nach fairen Bioprodukten um." Wobei Hartman darauf verweist, dass "fair nicht immer gerecht ist. Nicht immer reicht das Geld der Bauern zum Leben, und das ist nicht gerecht." Einzig das Biosiegel habe rechtlich verbindliche Vorgaben, zum Beispiel das Verbot von Pestiziden und gentechnisch verändertem Saatgut.

"Die Menschen vor Ort sagen nie, dass wir diese oder jene Lebensmittel kaufen sollten, sondern die Verschmutzer und Verursacher zur Verantwortung ziehen"

Und vieles könne gar nicht nachhaltig produziert werden, wie z. B. das jetzt so als ökologische Alternative angepriesene Elektroauto. "Da bekommen wir ein Problem mit Lithium."

Dass wir die Welt verbessern können, indem wir anders konsumieren, hält Hartmann deshalb für ein modernes Märchen. Was wäre also zu tun? Hartmann glaubt, dass der Weg nicht über Konsum, sondern über "Protest, Widerstand und Aufmerksamkeit geht. Die Macht der Konzerne bricht man, indem man die Politik bewegt, ihrer Aufgabe gerecht zu werden, die Konzerne zu regulieren. Derzeit haben die Lobbyisten Zugang zur Macht. Diese Macht müssen wir als Bürger an uns reißen und schauen, dass es gerecht zugeht – in unser aller Interesse." Proteste etwa gegen Glyphosat oder Freihandelsabkommen gebe es jetzt schon weltweit.

"Die Menschen vor Ort sagen nie, dass wir diese oder jene Lebensmittel kaufen sollten, sondern die Verschmutzer und Verursacher zur Verantwortung ziehen", sagt Hartmann.

Und Boote zitiert den großen Linguisten Noam Chomsky, den er auch für den Film interviewt hat. Dieser glaubt, dass eine andere Art des Wirtschaftens möglich ist. Sein Argument: "Früher hätte sich niemand eine parlamentarische Demokratie vorstellen können. Warum soll es also nicht in Zukunft eine demokratische Wirtschaft geben?" In diese Richtung müsse man gehen.

Der Film sei ein Aufruf an Menschen, die nach neuen Lösungen suchen. Denn, so Hartmann, eines sei klar: "Wir haben keine andere Wahl, weil Menschen die Grundlage entzogen wird, wenn wir so weitermachen."

Boote betritt mit dem Film auch in anderer Hinsicht Neuland: "Erstmals drehe ich mit jemand Zweitem. Im Gespräch werden die Gedanken unmittelbarer klar, als wenn sie aus dem Off kommen."

Buch: Kathrin Hartmann: "Die Grüne Lüge", Blessing-Verlag, 15,50 €

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