Leben/Gesellschaft

Wenn Babys ohne Worte sprechen

Carina Minar-Holzapfel formt ihre Finger zu einer flachen Hand und streicht in einer leichten Bewegung von ihrer Schläfe zum Kinn und zur anderen Gesichtshälfte hinauf. Der neun Monate alte Edi sieht ihr mit seinen blauen Augen aufmerksam zu. In der Gebärdensprache steht diese Geste für das Wort „Mama“, erklärt Minar.

Die Motopädagogin ist nicht gehörlos, ebenso wenig die zehn Mütter und ihre Kleinkinder im Raum. Die 35-jährige Mutter zweier Kinder hat vor fünf Jahren die „Babyzeichensprache“ nach Österreich gebracht (www.babykreis.at, www.bewegte-kinder.com). Dabei handelt es sich um einfache Gesten, die auf der Gebärdensprache beruhen. „Die Babyzeichensprache erleichtert Kommunikation und bildet eine Brücke zur gesprochenen Sprache. Kinder können so Wahrnehmungen ausdrücken. Die Gesten lassen sich im Alltag integrieren, indem man das gesprochene Wort mit dem Babyzeichen untermalt“, sagt Minar.

Durch Gesten positiv beeinflusst

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In den USA und England wird „Babysigning“ seit den 1980er-Jahren erforscht. Die sprachliche Entwicklung von Baby und Kleinkindern soll durch die Gesten positiv beeinflusst werden. Die Ergebnisse einer Langzeitstudie der University of Chicago zeigen, dass Kleinkinder, deren Eltern vielfältige Handzeichen verwenden, ein breites Spektrum an Gesten erwerben und dadurch einen größeren Wortschatz entwickeln. Zudem sind ihre schulischen Leistungen besser als jene der anderen Kinder. Allerdings zeigte sich, dass die wortgewandten Kinder großteils aus sozioökonomisch bessergestellten Familien kommen.

Alexandra Haderer ist mit Tochter Marie zum siebten Mal im Babyzeichensprache-Kurs. Während des Essens hat das neun Monate alte Mädchen ihren Eltern das Zeichen für „satt“ gezeigt, erzählt ihre Mutter und fügt hinzu: „Als Eltern wird man hellhöriger und nimmt die Zeichen bewusst wahr. Das hat uns geholfen, Marie besser zu verstehen.“ Aus der Säuglingsforschung ist bekannt, dass bereits Neugeborene in der Lage sind, einfache mimische Gesten von anderen Menschen nachzuahmen. Schon nach wenigen Wochen haben sie die Fähigkeit komplexere Gesten zu übernehmen.

Wahrnehmung

Dass Kleinkinder weit mehr wahrnehmen als nur optische Reize, sondern sich auch an Dinge erinnern und intensiv hören können, hat Carina Minar bei ihrem Sohn Laurenz erlebt. Während sie dem damals 14 Monate alten Buben ein Buch vorlas, zeigte er ihr das Zeichen für Hund, obwohl der Inhalt nichts mit Tieren zu tun hatte. Sie lauschte und hörte dann aus der Ferne einen Hund bellen. Oder als neben ihm der Name Sabine fiel und er sofort das Gebärdenzeichen für Biene zeigte. „Man sieht, welches phonologische Bewusstsein die Kinder da entwickeln.“

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Um viele Sinneseindrücke aufnehmen zu können, brauchen Kleinkinder eine entspannte Atmosphäre, sagt KURIER-Familycoach Martina Leibovici-Mühlberger. „Dadurch haben sie einen niedrigen Stresshormonspiegel und können sich auf die Sinnesreize einlassen. Ist der Organismus gestresst, schaltet er auf Notprogramm, das Kind versucht die Umwelt zu kontrollieren und bringt nicht die nötige Offenheit mit“, sagt Leibovici. Carina Minar bezeichnet die Babyzeichen als Angebot, denn „die Babys entscheiden selber, ob sie es mitmachen.“ Um sie nicht zu überfordern, lockert Minar die Stunde mit Singen und Spielen auf.

Brigitte Rollett, emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie, Uni Wien, betont, dass es im Kleinkindalter wichtig ist, Motivation aufzubauen. „Man sollte nur Förderung in Spielform betreiben, schulische Programme, die ohne Rücksicht auf die Befindlichkeit der Kinder durchgeführt werden, führen dazu, dass sie die Lust und das Interesse daran verlieren.“

Tipps zur Frühförderung

Einfache Mittel Familycoach Leibovici empfiehlt, das Kind mit Alltagsgegenständen vertraut zu machen. „Beim Singen, mit Fingerspielen oder im Garten kann das Kind viel lernen. Dafür ist keine dicke Brieftasche nötig.“

Kein Druck Druck erzeugt Frustration und Ablehnung. „Selbst hochbegabte Kinder beschäftigen sich phasenweise intensiv mit einer Sache und lassen sie dann völlig beiseite. Dies muss man akzeptieren, da das Kind nach einiger Zeit wieder darauf zurückgreift und Spaß daran hat“, so Entwicklungspsychologin Rollett.