Warum "Stille Nacht" das berühmteste Weihnachtslied der Welt ist
Von Julia Pfligl
Wenn nur ein paar Kerzen die dunkle Kirche erhellen und der Chor die ersten Takte „Stiiihille Nacht“ anstimmt, dann ist Weihnachten. In 23 Tagen wird das berühmteste Weihnachtslied der Welt wieder überall erklingen – genau 200 Jahre, nachdem es der Dorfschullehrer Franz Xaver Gruber und der Pfarrer Joseph Mohr bei der Christmette in der St. Nikolaus Kirche in Oberndorf bei Salzburg zum ersten Mal gesungen haben. Kein Chor, keine Orgel – nur zwei Männer und eine Gitarre.
Die drei Strophen (eigentlich sind es sechs, siehe Grafik) wurden nicht nur zum Inbegriff des heimischen Weihnachtsbrauchtums, sondern zum Welthit: Kaum ein Weihnachtsfest kommt heute ohne „Stille Nacht“, „Silent Night“ oder „Noche de Paz“ aus, das in 300 Sprachen und Dialekte übersetzt wurde. „Dem Zauber der innigen Komposition können selbst Menschen nicht entkommen, die anderen Religionen angehören oder Atheisten sind. Das hat damit zu tun, dass sich darin die Kraft der Weihnachtsgeschichte in einfachen Worten und Motiven spiegelt. Dass die Musik nicht triumphierend klingt, sondern anrührend“, erklärt der Salzburger Musikschriftsteller und Dramaturg Gottfried Kasparek die besondere Wirkung.
„Dieses Lied hat wirklich eine Ausnahmeposition“, sagt Maria Walcher, Volkskundlerin und Musikwissenschaftlerin. Für ihr Buch „Ein Erbe für alle“ (Folio Verlag) befasste sie sich mit heimischen Bräuchen und Ritualen, die von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe Österreichs ernannt wurden (Anm.: mittlerweile sind es 117). 2011 schaffte es „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ auf die Liste. Was also macht es zum Ausnahmeweihnachtslied – wo doch auch Songs wie „White Christmas“ im Dezember auf- und abgespielt werden oder sich andere Austro-Kompositionen wie „Es wird scho glei dumpa“ weit verbreiteten? „Der Unterschied ist, dass diese Lieder nicht rituell gesungen werden, also nicht wie ‚Stille Nacht‘ nur in der Mette. Es gibt nichts Vergleichbares.“
Roter Faden durch die Adventzeit
Die weihnachtlichen Rituale beginnen freilich lange vor dem gemeinsamen „Stille Nacht“-Singen und ziehen sich wie ein roter Faden durch den Advent. Die Volkskundlerin erklärt, warum Bräuche gerade im Dezember so präsent sind: „Es war die Zeit, in der im bäuerlichen Leben weniger Arbeit anfiel. Die Ernte war eingebracht, man hatte wieder Zeit für Handarbeit, sich zusammenzusetzen, Geschichten zu erzählen und zu musizieren. Vieles davon haben wir übernommen. Das Finsterwerden löst etwas aus im Menschen, das hat auch mit Zurückziehen zu tun.“
Vor allem in ländlichen Regionen erleben alte Brauchtümer bei jüngeren Menschen einen Aufwind, beobachtet Walcher. Der urbane Raum sei hingegen stark von der Eventkultur geprägt, was etwa der jährliche Run auf die „Wiener Wiesn“ zeigt. Der religiöse Ursprung rückt in den Hintergrund.
Denn Veränderung macht auch vor Tradition keinen Halt – nicht einmal zu Weihnachten. Während manche Bräuche verloren gehen, entstehen neue, sagt Maria Walcher. Vor allem der amerikanische Einfluss wird sichtbar: „Den Weihnachtsmann gab es zum Beispiel früher bei uns noch nicht. Wir feiern heute sicher nicht mehr so wie unsere Großeltern.“ Gut, dass es verlässliche Konstanten gibt, die Jahrhunderte überdauern – so wie „Stille Nacht“.
Machen Sie mit: Bis zum 25. Dezember stellt der KURIER jeden Tag ein weihnachtliches Ritual vor. Wir freuen uns, wenn Sie auch Ihre persönlichen Weihnachtsrituale und Bräuche mit uns teilen und Ihre Berichte, Fotos und Videos an lebensart@kurier.at schicken. Einen Auszug daraus veröffentlichen wir am Christtag.