Leben/Gesellschaft

Warum Pippi Langstrumpf Herrn Nilsson nie mochte

Es ist ihr Lachen, das sie verrät und Inger Nilsson weiß das. Ihre Augen wandern von Tisch zu Tisch – von der Kellnerin zur Mütterrunde, zu den Studenten neben der Bar. Ihre Hand zittert ein bisschen, als sie die Tasse mit schwarzem Kaffee zum Mund führt. Sie erzählt und gestikuliert in hektischen Bewegungen, bis sie sicher ist, dass keiner der Leute in diesem Lokal mit Sicht über Stockholm aufstehen und um ein Autogramm bitten wird. Irgendwann lächelt sie, lässt die zerknüllte Serviette, mit der sie nach einem Schluck aus der Tasse die Mundwinkel betupft, am Tisch liegen, lehnt sich zurück und lacht. Ein kleiner Moment, der einen umhaut. Weil plötzlich Pippi Langstrumpf am Tisch gegenüber sitzt.

freizeit: Frau Nilsson, verraten Sie mir, wie man Schrauben kaut, ohne sich die Zähne zu ruinieren?

Inger Nilsson: Sie haben schlecht aufgepasst: „Pippi“ kaut die Schrauben nie, sie beißt ihnen nur die Köpfe ab.

Da haben Sie recht: Wie beißt man Blechschrauben den Kopf ab, ohne sich die Zähne zu ruinieren

(Lacht) Das waren Nudeln. Rohe, gefärbte Nudeln, die ich ausgespuckt habe, nachdem die Köpfe ab waren. Eine Mogelpackung.

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Sagen Sie mir jetzt gleich, dass das kein echtes Pferd war, das Sie damals gestemmt haben?
Das haben sie in der Post-Produktion mit irgendwelchen Tricks gemacht, ja. Sie sollten vielleicht die schöne Aussicht über Stockholm hier genießen, ich fürchte, Sie werden sehr enttäuscht sein nach diesem Gespräch (lacht).

Ich werde stark sein. Was noch?

Ich konnte den Affen nicht leiden!

Herrn Nilsson? Warum nicht?

Im ersten Film, den wir damals gemacht haben, war der Affe nicht echt. Es war unmöglich, zu dieser Zeit in Stockholm einen passenden Affen aufzutreiben. Danach haben sie einen gefunden, aber der war furchtbar: hat mich dauernd gekratzt und gebissen. Und er ist ständig abgehauen. In den paar Szenen, in denen er auf meinen Schultern sitzt, wurde er mit einem Gurt festgeschnallt. Wenn man genau hinsieht: „Pippi“ streichelt den Affen auch nie …

Dafür mochten Sie das Pferd?

Ganz ehrlich? Wissen Sie, wie groß dieses Pferd war? Es musste drei Kinder tragen können, deswegen war es riesig. Ich war acht Jahre alt damals und noch nie in meinem Leben auf einem Pferd gesessen.

Das hört sich so an, als hätten Sie während der Dreharbeiten Angst gehabt?

Hatte ich, ja. Ich kann mich an einen der ersten Pressetermine damals erinnern. Das Interesse an dieser Produktion war ja enorm. Sie müssen sich vorstellen: 1969 hat es in Schweden nur einen Fernsehsender gegeben. Wenn eine Folge „Pippi Langstrumpf“ ausgestrahlt wurde, waren die Straßen leer. Jeder hat das damals geschaut. Bei diesem Pressetermin standen also jede Menge Fotografen um mich herum und alle riefen: „Pippi, setz dich aufs Pferd!“ Also wurde ich auf das Pferd gesetzt, damals hatte ich wirklich Angst. Aber danach habe ich reiten gelernt.

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Das riesige Pferd "Kleiner Onkel" flößte dem Kinderstar Angst ein


Also hat die mutige „Pippi“ ein bisschen auf Inger abgefärbt?

Ich war ja, bevor ich mit acht Jahren ans Set gekommen bin, ein richtiges Mama-Mädchen. Nicht unbedingt schüchtern, aber noch nie von zuhause weg und natürlich ängstlich. Ich konnte auch nicht schwimmen damals und musste mitsamt Gewand in tiefes Wasser springen. Das hat mich alles Überwindung gekostet, aber natürlich auch großen Spaß gemacht.
Als der Casting-Aufruf für die Rolle der „Pippi Langstrumpf“ im schwedischen Fernsehen gezeigt wurde, bewarben sich 8.000 Mädchen.

Wissen Sie, warum damals Sie ausgewählt wurden? Obwohl Sie weder schwimmen noch reiten konnten?

Weil ich eine gute Schauspielerin bin, vermutlich deswegen.

Wie lange hat die Verwandlung von Inger zu „Pippi“ gedauert?

Ich bekam eine Perücke, die Sommersprossen aufgemalt und auf den Armen und Beinen Bräunungscreme. Alles in allem hat das vermutlich nicht länger als 30 Minuten gedauert. Als Kind kam es mir trotzdem ewig vor.

Sie haben mir vorhin erzählt, dass ihr Vater damals das Bewerbungs- Foto an die TV-Produktion geschickt hat …

… ein furchtbares Foto noch dazu: Auf dem Bild hatte ich eine Fieberblase und war ganz blass und dünn ...

Trotzdem haben Sie die Rolle bekommen. Dieses Bild hat ihr Leben verändert. Wie?

Was nach dem Dreh kam, war für niemanden abzusehen. Die Leute erkannten mich überall … standen plötzlich bei uns im Garten, in der Küche sogar – damals sperrte ja noch kein Mensch die Haustüre ab. Meine Eltern versuchten, mich so gut wie möglich zu schützen, aber die Leute waren zum Teil unglaublich respektlos. Fordernd. Unhöflich. Sie haben Grenzen nicht toleriert.

Wie haben diese Menschen reagiert, wenn Sie „nein“ zu Fotos und Autogrammen gesagt haben?

Als kleines Mädchen sagst du nur sehr schwer „nein“ zu Erwachsenen. Außerdem wurde mir ständig eingebläut, dass ich dankbar sein soll, dass ich mich nicht beschweren darf, dass es Tausende Kinder gibt, die mit mir tauschen würden und ich kein Recht hätte, mich zu beklagen.

Haben Sie es geschafft, diese Zeit unbeschadet zu überstehen?

Ich denke schon. Meine Eltern und das Leben in dem kleinen Dorf haben mich die Bodenhaftung nicht verlieren lassen – in einer Dorfgemeinschaft, wissen Sie, werden Arroganz und Hochmut nämlich in etwa genauso geahndet wie Totschlag (lacht).

Sie arbeiten auch heute noch als Schauspielerin. Wie war es für Sie, nach „Pippi Langstrumpf“ Rollen zu bekommen?

Sehr schwer. Viele Regisseure haben mir explizit gesagt, dass sie mich nicht nehmen können oder wollen, weil sie mein Gesicht in ihrer Produktion nicht haben möchten. Das war sehr hart für mich, ich musste schwer für meine Engagements arbeiten.

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Das Lachen verrät sie: Inger Nilsson heute


Wie oft läuft Ihnen „Pippi“ im Alltag über den Weg?

Eigentlich jeden Tag. Gerade gestern hat mich eine junge Mutter in der U-Bahn erkannt. Sie hat mich angestarrt, ich habe so getan, als wäre ich wahnsinnig beschäftigt und trotzdem ist sie mir beim Aussteigen gefolgt. Ich hatte tatsächlich keine Lust mit ihr zu sprechen – das ist etwas, was die Leute nur sehr schwer verstehen.

Die junge Mutter wollte zuhause vermutlich ihre Kinder mit einem Autogramm der „echten“ Pippi Langstrumpf beeindrucken, glauben Sie nicht?

Wenn das so wäre, fände ich es ehrlich gesagt furchtbar. Den Kindern zu sagen, dass „Pippi Langstrumpf“ jetzt eine alte Lady ist? Das ist so, als würde man ihnen sagen, dass der Weihnachtsmann nicht existiert. Sie sollten das nicht tun!

Kann Sie das viele Geld, das Sie mit „Pippi“ verdient haben, über den Verlust Ihrer Privatsphäre hinwegtrösten?

So viel Geld gab es gar nicht, die Rolle hat mich leider nicht reich gemacht damals, nein. (lacht) Wir haben eine Pauschale bekommen, die nicht annähernd mit den Summen vergleichbar ist, die man vermutlich heute verdienen würde. Für mein Geld muss ich nach wie vor arbeiten gehen.

Rückblickend: Wäre es Ihnen lieber gewesen, Ihr Vater hätte das Fieberblasen-Bild damals nicht abgeschickt? War „Pippi Langstrumpf“ für Sie Fluch oder Segen?

Pippi“ zu sein, war mit Sicherheit nicht immer einfach, aber ich bereue nichts.

Sind Sie glücklich?

Ja.

Von Eva Gogala

Wenn ein Erwachsener eines der Häuschen in der „winzigen, kleinen Stadt“ in „ Astrid Lindgrens Welt“ im südschwedischen Städtchen Vimmerby betreten will, muss er den Kopf einziehen, um nicht anzustoßen. Dafür können Kinder sich einmal so richtig groß vorkommen. Unbesiegbar wie Pippi, die ihr Leben lebt, wie es ihr gefällt und die im Umgang mit Erwachsenen stets das letzte Wort hat.

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Astrid Lindgren erzählte ihrer Tochter Geschichten von Pippi

Die Figur des Mädchens mit den roten Zöpfen und den rutschenden, verschiedenfärbigen Strümpfen hat eigentlich Lindgrens Tochter Karin erfunden. Als sie mit einer Lungenentzündung krank im Bett lag, erzählte ihre Mama ihr Geschichten. Was willst du denn hören?“, fragte Lindgren ihre Tochter. „Erzähl mir doch von Pippi Langstrumpf“, lautete die Antwort. Das war vor mehr als 70 Jahren. Ein Star war geboren, der auf den vollen Namen Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf hörte. Das wortgewandte Mädchen lebte allein – zumindest ohne Erwachsene – in der Villa Kunterbunt. Dafür mit Totenkopfäffchen Herr Nilsson auf der Schulter und den Pferd Kleiner Onkel. Pippi war so stark, dass sie das Pferd mühlos stemmen konnte und begeisterte Lindgrens Tochter und deren Freunde. Trotzdem akzeptierte erst im zweiten Anlauf ein Verlag das Manuskript, mittlerweile ist es zum Welterfolg und zur Lieblingslektüre von Generationen geworden – in 70 Sprachen übersetzt und fast 70 Millionen Mal verkauft.

Proteste wie jener eines schwedischen Professors – „Kein Kind isst eine ganze Sahnetorte oder geht barfuß auf Zucker. Beides erinnert an die Phantasie eines Irren“ – konnten den Erfolg Lindgrens nicht schmälern. Astrid Lindgren, geboren 1907, die ihre Bücher zunächst stenografierte, ehe sie sie in die Schreibmaschine tippte, schrieb einen Bestseller nach dem anderen und schuf unsterbliche Figuren: Michel aus Lönneberga, Ronja Räubertochter, den Meisterdetektiv Kalle Blomquist, die Kinder von Bullerbü, Madita und Karlsson vom Dach.

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Hier in Vimmerby wuchs Astrid Lindgren auf

Spannend ist eine Reise auf Astrid Lindgrens Spuren. Da ist einmal der ehemalige Pfarrhof in Vimmerby, Astrid Lindgrens Näs, und ihre Wohnung in der Stockholmer Dalagatan 46, wo sie arbeitete und bis zu ihrem Tod 2002 lebte. Und dann gibt es die Schauplätze ihrer Filme: Das Inselchen Norröra im Stockholmer Schärengarten, wo die „Ferien auf Saltkrokan“ entstanden, und wo geführte Touren angeboten werden. Der Ort Bullerbü heißt in Wirklichkeit Sevedstorp und liegt 15 Kilometer westlich von Vimmerby. Weitere 15 Kilometer nordwestlich, in Gibberyd, steht heute noch der Katthult-Hof, in dem Michel von Lönneberga im Film wohnte.

Was wurde eigentlich aus Pippis Freunden Tommi und Annika? Tommi, der eigentlich Pär Sundberg heißt, wird heuer 60 und ist Marketing-Manager. Annika-Darstellerin Maria Persson, 57, lebt als Altenpflegerin in Palma de Mallorca.

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