Leben/Gesellschaft

Warum manche Schmutz übersehen

Die einen entfernen jedes Brösel mit einem speziellen Handbesen von der Arbeitsfläche und schrubben die Fliesenfugen mit einer Zahnbürste. Die anderen greifen erst zu Staubsauger und Wischtuch, wenn es wirklich sein muss. Oder sich Besuch angesagt hat. Wenig Themen polarisieren so, wie das Putzen. Für Nicole Karafyllis hat das neben praktischen auch philosophische und sinnliche Gründe.

"Putzen ist immer noch zu wenig anerkannt."


Anders als bei Hobbys wie Kochen, Stricken oder Gartenarbeit hat man allerdings nach dem Putzen nichts Greifbares in der Hand. "Das Saubermachen hat scheinbar nichts Individuelles und hinterlässt vor allem nichts Besonderes." Die Philosophin beschäftigt sich als Professorin an der Technischen Universität Braunschweig wissenschaftlich mit dem Thema Putzen. Sie findet, dass es zu Unrecht von vielen gehasst wird. "Putzen ist alles andere als eine unterfordernde Tätigkeit – und immer noch zu wenig anerkannt." Diese Erkenntnis kommt gerade jetzt recht, wenn man den alljährlichen Herbstputz wieder einmal von Woche zu Woche verschiebt. "Putzen ist eine Kulturtechnik wie Schreiben und Kochen."

Putzen als Meditation?

Alle Inhalte anzeigen
Daher lasse es sich auch hervorragend als eine Art Meditation nutzen, schreibt sie in ihrem Buch "Putzen als Passion". "Ich putze gerne. Putzen ist dann an der Zeit, wenn ich denke, dass die Tätigkeit des Putzens mir persönlich etwas bringt: Entspannung, Sortierung meiner Gedanken, Klarheit, Erbauung." Selber zu putzen sieht sie "als Teil der Selbstbestimmung", die zu ihrer ganz persönlichen Lebensweise gehöre.

Für die Literaturwissenschaftlerin Maria Antas (siehe Buchtipp) beinhaltet ihre Vorliebe für Reinigungstätigkeiten sogar Leidenschaft. "Es gibt Tage, an denen ich nur auf meine Finger starre, während sie über Fugen und Boden gleiten. Ich existiere nur im Hier und Jetzt. Nichts kann mich stören, wenn ich putze." Diese Effekte haben auch schon Wissenschaftler in Studien festgestellt. So können etwa spontane Putzphasen, die unbedingt vor wichtigen Arbeiten eingeschoben werden müssen, dem Gehirn erst richtig auf die Sprünge helfen. Die britische Anthropologin Sarah Pinks sagt, dass mechanische Tätigkeiten die Denkfähigkeit in Gang bringen.

Denken Sie über den Schmutz nach

Alle Inhalte anzeigen
Heute delegieren viele längst das ungeliebte Putzen. Das Engagement einer Putzfrau soll schon Partnerschaften gerettet haben. Aus Karafyllis’ Sicht dient die Haushaltshilfe allerdings gar nicht so sehr dem Argument "Putzen ist Zeitverschwendung". Man verdränge eher das persönliche Verhältnis zu Schmutz. "Für die Natur des Schmutzes interessiert man sich heute gar nicht mehr", beklagt sie. "Schmutz ist nichts Heiliges, zu dem man Abstand zu halten hat. Man sollte ihn von seinem modernen Podest herunterholen." Da kann es etwa helfen, sich überhaupt einmal Gedanken über "den Schmutz" an sich zu machen. "Das Wichtigste beim Putzen sind Kenntnisse über den Schmutz und den Untergrund, auf dem er haftet und das Material", betont die Putz-Expertin. Die Palette reicht von einfachem Staub über Kalkablagerungen, Staub gemischt mit Fettschichten, Rostspuren bis zu Bakterien. Auch Maria Antas war "schon immer" fasziniert von Staub und seiner wandelbaren Beschaffenheit – auch wenn er sie im Badezimmer durchaus gelegentlich fast in den Wahnsinn treibe.
  1. Putzen beschreibt die Tätigkeit an sich, wenn etwas von Schmutz, manchmal auch Unordnung, befreit wird.
  2. Säubern meint das richtige Maß. Gesäubertes kann durchaus auch nur oberflächlich sauber wirken.
  3. Reinigen ist die am tiefsten gehende Stufe beim Putzen. Dabei soll nicht nur Schmutz, sondern auch Mikroorganismen entfernt werden.
Alle Inhalte anzeigen

Info: Maria Antas, Wisch und Weg. Ein Buch über das Putzen. Insel Verlag, 18,50 €

Der Hygieniker: Für ihn geht Keimfreiheit über alles. Das Reinigen von Böden, Wänden und Flächen hat für ihn vor allem gesundheitliche Aspekte, die fast bis zum Kult reichen können.

Der Ästhet: Es zählt der schöne Schein – er vertraut dem Glanz. Vor allem die Oberflächen müssen glänzen, dass man sich sozusagen darin spiegeln kann. Eine seiner Maximen: Man muss putztechnisch nicht jedem Stäubchen auf den Grund gehen. Unsichtbarer Schmutz stellt für ihn im Grunde gar keinen Schmutz dar.

Der Funktionalist: Er unterscheidet nach klaren Kategorien und sein Putz-Motto orientiert sich an seinen aktuellen Bedürfnissen: Geputzt wird, was gerade gebraucht wird. Er besitzt die Gabe, all die anderen Dinge in seiner Umgebung, die möglicherweise geputzt werden sollten, aus seinem Blickfeld ausblenden zu können.

Alle Inhalte anzeigen
Der Psychoanalytiker:Putzen hat für ihn eine tiefgreifende Bedeutung. Er will besonders jene Verschmutzungen ans Tageslicht holen, die im Verborgenen liegen.

Info: Nicole Karafyllis, Putzen als Passion. Ein philosophischer Universalreiniger für kleine Verhältnisse. Kadmos Verlag, 20,50 € (erscheint Okt. 2015)