Von den "ärarischen Weibern" zum "Vollholler"
Von Uwe Mauch
Dass sie sich als „Frau Hofrat“ oder auch als „Frau General“ ansprechen ließen – halb so wild. Dass sie auf Regimentskosten mit dem Herrn Gemahl reisten, speisten und ihren Spaß hatten – schon ärgerlicher. Der Kragen platzte der k. und k. Armeeführung aber erst, als sich diese „ärarischen Weiber“ erdreisteten, während des Ersten Weltkriegs die Offiziersdiener zu einer „unmilitärischen Verwendung“ zu missbrauchen.
Sollten die jungen Soldaten erneut beim Schieben des Kinderwagens gesehen werden, hieß es in einem Geheimbefehl, drohte ihrem Vorgesetzten die sofortige Versetzung an die Front.
Tamara Scheer kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die Historikerin hat in ihrem neuen Buch (siehe unten) 55 Unwörter aus dem großen Habsburgerreich aufgelistet und exakt erklärt. „Man könnte sagen, das sind quasi die Vorläufer von Schweigekanzler und Vollholler.“
Immer wieder sind ihr bei ihren wissenschaftlichen Recherchen im Österreichischen Staatsarchiv sowie in Archiven in Budapest, Zagreb oder Sarajevo diese „ärarischen Weiber“ ins Auge gesprungen. Öfters in Zeitungen, aber auch in Tagebüchern, Briefen und wie gesagt in amtlichen Dokumenten. „Ärarisch“ bedeutet übrigens so viel wie „zum staatlichen Eigentum gehörend“.
„Solch amüsante Unwörter gibt es viele, irgendwann habe ich daher begonnen, eine Liste anzufertigen“, erzählt Scheer. „Und so ist am Ende ein Buch daraus geworden.“
Ihr absolutes Lieblingsunwort: „Die Knopflochschmerzen.“ Und wer genau verspürt solch Pein? „Jemand, der unbedingt einen Orden haben will.“ In der Monarchie gab es unzählige Orden zu tragen. Doch es gibt auch genügend Menschen in der modernen Arbeitswelt, die nicht immer Kleidungsstücke mit Knopfloch tragen und denen dessen ungeachtet solche Schmerzen zu schaffen machen.
Kenntnisreich (aufgrund ihrer Recherchen und ihrer Fremdsprachkompetenz) und mit Augenzwinkern führt die Historikerin durch die facettenreiche Sprach-Welt Kakaniens. Dabei verschweigt sie nicht, dass diese Welt nicht nur lustig war.
Im großen Monarchiemischmasch waren ja nicht alle ein Herz und eine Seele, wie unzählige Schmähungen anderer Volksgruppen deutlich machen: So hieß man in Wien alle Menschen südlich der Steiermark „Krumpirii“. Zu Hause waren diese „Kartoffelfresser“ im so genannten „Sliwowitzland“. Doch auch die derart Titulierten hatten ihren Spaß: „Schwabo“ und „Kuferasch“ nannten sie k. und k. Beamte, die meinten, den Menschen auf dem Balkan die Welt erklären zu müssen. Bezeichnend ihre Umschreibung: „Sie kamen mit leeren Koffern und gingen mit vollen.“ Bauern aus Westungarn bzw. dem heutigen Burgenland wurden von den Wienern kollektiv als „Bohnenzüchter“ abgetan, weil einige von ihnen Bohnen auf Wiens Märkten feilboten.
Weniger harmlos war der Antisemitismus, der auch unter Soldaten weitverbreitet bis hin zu salonfähig war. So erfand man für die Vielzahl an Militärärzten mit jüdischem Glauben ein eigenes Regiment und spottete über die „Moses-Dragoner“ .
Im „Sliwowitzland“
Mehr Freude bereiten Tamara Scheer, die zuletzt ein Jahr in Florenz geforscht hat, die „Tornisterkinder“. Ursprünglich bezeichnete man damit die Kinder von Offizieren, die mit ihrem Rucksack (Tornister) einmal hier und einmal dort ihren Dienst versahen. In einem Europa ohne Grenzen sind Familien, die nicht immer an einem Ort leben, erneut weit verbreitet.
Warum aus Galizien „Skandalizien“ wird
Die Autorin: Tamara Scheer arbeitet am Institut für Osteuropäische Geschichte mit einem Elise Richter Stipendium des FWF. Sie recherchierte für ihr neues Buch unter anderem in Archiven in Wien, Prag, Innsbruck, Ljubljana, Sarajevo, Budapest und Zagreb.
Ihr Buch: Von Friedensfurien und dalmatinischen Küstenrehen. Amalthea-Verlag, 224 Seiten, 17,99 Euro. Das Buch soll Ende Jänner 2019 erhältlich sein.
Die Präsentation: Scheer präsentiert ihr Buch am 1. Februar 2019 in der Buchhandlung "Thalia Wien-Mitte / W3", 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 2A, ab 19 Uhr ihr Buch.