Unter Zugzwang: Quo vadis, Miss-Wahl?
Von Julia Pfligl
Vor den Zeichen der Zeit sind nicht einmal Schönheitsköniginnen gefeit. Fast 90 Jahre, nachdem die erste Miss Austria gekrönt wurde, soll heuer alles anders werden. „Wir führen die Traditionsmarke Miss Austria in eine Zukunft, in der sie in Zeiten einer MeToo-Bewegung überzeugen kann“, versprach Missen-Chef Jörg Rigger im Vorfeld – wohl auch, um potenziellen Kritikerinnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wenn die 20 Finalistinnen heute Abend im Design Center Linz über den Laufsteg stöckeln und auf die Punkte der Jury warten, müssen sie sich erstmals in der Geschichte nicht in Bademode präsentieren. Eine derartige Fleischbeschau sei „nicht mehr zeitgemäß“ und finde ab sofort hinter verschlossenen Türen statt.
Der Schritt kommt nicht überraschend, hatte doch die Chefin von Miss America – die Wahl findet am 8. September statt – bereits im Juni unter großem Mediengetöse das Ende des Bikini-Durchgangs verkündet. Und im Rausch der Euphorie gleich noch den Satz „Wir sind kein Schönheitswettbewerb mehr!“ nachgeschossen.
Also wie jetzt?
Wahl als Sprungbrett
Fest steht: In Zeiten einer erstarkten Frauenbewegung geraten die Veranstalter von Schönheitsbewerben zunehmend unter Zugzwang. Das zeigt das jüngste Beispiel einer US-Miss, die ihren Titel zurückgab, nachdem sich die Moderatoren in einem Sketch über die #metoo-Bewegung lustig gemacht hatten. Wie bringt man die Bewertung von Frauenkörpern und Feminismus unter einen Hut (bzw. ein Krönchen)? Geht das überhaupt? Bei Miss Austria soll es „nicht mehr nur um gutes Aussehen gehen“, sagt Kerstin Rigger, Co-Veranstalterin, im Vordergrund stehe die „taffe Frau“. Was das ist? „Heute zählt vor allem die die innere Schönheit. Sieht man sich auf den großen Laufstegen um, entdeckt man einen Trend: Die Missen und Models setzen sich für Charity-Projekte ein, und sie stehen mit beiden Beinen im Leben.“
Dass die Wahl zur Miss Austria trotz Modernisierungsbestrebungen ein Schönheitsbewerb bleibt, bestreitet hierzulande aber niemand: Auf der Website wünscht man sich Bewerberinnen mit „sportlicher Figur“, „schönen Haaren und Zähnen“ und einer Mindestgröße von 1,65 Meter. „Alle Kandidatinnen wissen bei der Bewerbung, dass nicht nur ihre Persönlichkeit und Intelligenz bewertet werden. Viele trainieren hart für ihren Körper und sind stolz darauf“, sagt Tanja Duhovich, Miss Austria 2003. Aber: „Die vergangenen 15 Jahre haben mir gezeigt, dass man im Interview auf jeden Fall punkten kann. Wenn man nicht ‚nur‘ schön ist, kann die Wahl ein Sprungbrett für eine weitere Karriere sein.“
Die auf Schönheitsideale spezialisierte Soziologin Waltraud Posch findet es „lustig, dass es plötzlich überall um die Persönlichkeit geht. De facto handelt es sich ja um einen hauptsächlich körperbezogenen Wettbewerb. Es ist also eine Bewertung von etwas Äußerlichem, die den Anschein erwecken soll, als wäre es etwas Innerliches“. Sie begrüßt die Abschaffung der Bikini-Schau, wünscht sich aber mehr Vielfalt auf dem Missen-Laufsteg. „Miss-Wahlen festigen das sehr enge Frauenbild. Wir sehen das dann überall in den Medien und denken unbewusst, ‚genau so ist eine schöne Frau‘. Authentizität ist ja nur dann gefragt, wenn sie sich bestimmten Normen anpasst.“
Immer wieder wurden Miss-Wahlen durch gesellschaftliche Umstände geformt. Während ihrer Hochblüte in den 50ern hatten sie vor allem den Zweck der Heiratsvermittlung: In jedem Kuhdorf gab es Schönheitsbewerbe, um den Männern zu zeigen, was der Markt hergibt. „Nach dem Krieg konnten es sich bürgerliche Familien leisten, dass die Frau zu Hause blieb“, sagt Posch. „Um ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt zu erhöhen, wurde ihr suggeriert, dass sie schön sein muss.“ Heute klingt das – zum Glück – absurd. „Eine Miss-Wahl ist jetzt in erster Linie ein Event.“
Ein seltsam anmutendes Relikt blieb der Miss-Austria-Wahl erhalten: Nach wie vor müssen Bewerberinnen ledig sein. Aber wer weiß, welche Tradition als nächstes aus dem Bewerb gekickt wird.