Unter Druck: Eltern in der Erziehungsfalle
Von Ute Brühl
Perfekte Kinder bedingen perfekte Eltern. Weil aber kein Vater und keine Mutter vollkommen ist, boomen Erziehungsratgeber. Sie scheinen ein solider Wegweiser im Erziehungsdschungel. Buchtitel wie „Kinder stark machen“ oder „Kinder brauchen Grenzen“ sind zu Bestsellern geworden.
Seit Samstag ist ein weiteres Werk zum Thema im Handel: „Über Erziehung“ ist das gedruckte Gespräch zwischen den drei Freunden Roland Düringer, Eugen Maria Schulak und Rahim Taghizadegan. Noch ein Ratgeber für Eltern?
„Nein. Wir wollen niemandem etwas vorschreiben. Wir wollten einen praktischen philosophischen Zugang dazu“, erläutert Taghizadegan. „Erziehung ist ein zentrales Thema unserer Zeit. Was geben wir weiter? Warum stehen wir als Gesellschaft da, wo wir stehen? Das sind die Fragen, mit denen wir uns beschäftigen.“ Seinen Freund Schulak bewegt vor allem der Aspekt, „warum so viele Jugendliche ängstlich und mutlos sind. Und warum so viele Eltern klagen, dass sie mit der Erziehung nicht zurechtkommen.“
Eine Antwort darauf glaubt KURIER-Familycoach Martina Leibovici-Mühlberger zu kennen: „Die Gesellschaft ist im Umbruch. Für eine gesunde Entwicklung brauchen Kinder Langsamkeit und eine Umgebung, in der sie bedingungslos angenommen werden. Doch die bietet die Umwelt nicht. Kinder werden von der Konsumwelt erdrückt und ständig wird Leistung von ihnen gefordert.“
Hohe Maßstäbe
Viele Eltern übertragen die Maßstäbe ihres Berufslebens auf die Kinder. „Sie wollen da einfach perfekt sein“, meint Marie-Luise Lewicki, Chefredakteurin der Zeitschrift „Eltern“. Die Messlatte legen sich nicht nur die Mütter und Väter für ihr Leben hoch, sondern auch für das ihres Kindes. „Oft gibt es nur ein oder zwei Kinder in der Familie, über die die Eltern lange nachgedacht haben und für die sie sich bewusst entschieden haben. Kinder müssen da ein gelungenes Projekt werden.“ Und zwar in allen Bereichen: „Sie müssen in der Schule erfolgreich sein, mindestens ein Musikinstrument beherrschen sowie Sport betreiben. Sie sollen Freundschaften pflegen und Selbstwertgefühl entwickeln.“
Das Kind als vollkommene Persönlichkeit. „Eltern ahnen, dass ihre Erwartungen an den Nachwuchs hoch sind. Sie fördern, pushen und unterstützen ihn, anstatt ihn einfach großwerden zu lassen. Das kostet Eltern Kraft.“
Eltern werden aber auch noch von einer weiteren Seite gefordert: „Denken Sie zum Beispiel an die Schule“, sagt der Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers von der Uni Zürich: „Von den Eltern wird ein elementarer Beitrag erwartet. Hausübungen betreuen etwa. Oder das Vorhilfestudio finanzieren, wie die Schweizer die Nachhilfe nennen. Eltern müssen pubertierende Kinder dazu bringen, um 7.30 Uhr in der Klasse zu sitzen, obwohl das überhaupt nicht ihrem Biorhythmus entspricht. Das ist schon eine veritable Leistung. Wenn alle Elternleistungen bezahlt werden müssten, wäre Schule unfinanzierbar.“
Nicht nur die Schule setzt Eltern unter Druck. Die Wirtschaft hat das gefüllte Börsel unserer Kinder im Visier: „Kauf, Kleine, kauf“ titelt die Wochenzeitung „Zeit“ in der aktuellen Ausgabe und zeigt, wie Kinder mit immer subtileren Methoden zum Konsum verführt werden. Marketing-Experten setzen etwa auf den „Quengelfaktor“, der Eltern entnervt Gummibärli und Schoko in den Einkaufswagen legen lässt.
Pensionslücke
Kinder stehen nicht nur als Konsumenten hoch im Kurs. Politik und Wirtschaft sehen sie auch als Pensionsvorsorge, gut ausgebildete Arbeitnehmer und Zukunftshoffnung. Doch was machen die Erwachsenen? „Sie überfordern die jungem Menschen mit Katastrophenmeldungen. Klimawandel, Überbevölkerung und Pensionslücke sind Schlagwörter, die die Zukunft in düsteren Farben beschreibt. Kein Wunder, dass manche Jugendliche bis zur Bewusstlosigkeit saufen“ meint Philosoph Schulak.
Wie darauf reagieren? Für Marie-Luise Lewicki ist es kein Wunder, dass Eltern immer weniger in Sachen Erziehung einfach ihrem Gefühl vertrauen. „Deshalb holen sie sich Anleitung bei Ratgebern.“ Das Problem: „Es gibt so viele Theorien. Zwischen Eltern brechen da oft Glaubenskriege aus. Wer gerade frisch Vater und Mutter wurde, den verunsichert das.“ Die Folge: „Viele lesen mehr Ratgeber als ihnen guttut.“
Menschenverstand
Wie kann man Eltern also dazu bringen, sich wieder mehr auf ihren Bauch zu verlassen? Psychologen, Berater, Philosophen und Wissenschaftler bringen es auf einen einfachen Punkt: „Man muss mit dem Kind in Beziehung treten“. Familycoach Leibovici-Mühlberger beobachtet, dass das immer mehr Eltern schwer fällt: „Kinder werden mit Elektronik vollgestopft, Zeit für Gespräche bleibt da kaum. Dabei reifen Kinder nur dann zur Persönlichkeit heran, wenn sie unter anderen Menschen sind.“
Marie-Luise Lewicki glaubt ebenfalls, dass Erziehung eigentlich gar nicht so schwierig ist: „Liebevolle Zuneigung, Respekt vor dem Kind und die Fähigkeit, auch einmal ,Nein‘ zu sagen reichen völlig aus.“
Tempo raus
Co-Autor und Wirtschaftsphilosoph Rahim Taghizadegan wünscht sich, dass Erwachsene bei sich und den Kindern das Tempo rausnehmen. „Schneiden die Schüler bei PISA und ähnlichen Tests schlecht ab, erhöhen wir den Druck auf sie. Das ist der falsche Weg.“ Überhaupt sollen Kinder einfach Kind sein dürfen: „Wir sollten sie als Normalität und nicht als absurde Ausnahme betrachten.“
Druck rausnehmen, in Beziehung mit den Kindern treten. Das ist gar nicht so leicht. Denn dafür braucht es Zeit. Und Zeit haben wir alle immer weniger. Auch weil Eltern in ihrem Job immer mehr unter Druck stehen. Taghizadegan kritisiert diese Beschleunigung des Arbeitsalltags: „Es ist kein nachhaltiges Wachstum, wenn Menschen über Gebühr als Ressource ausgebeutet werden.“
Er nimmt auch die Eltern in die Pflicht: „Sie denken, dass sie immer schneller laufen müssen, nur damit sie ihren Kinder noch mehr Materielles bieten können.“
Was aber sollen Eltern ihren Kindern weitergeben? Philosoph Eugen Maria Schulak, der an der Uni unterrichtet und dort viel Pessimismus erlebt, will seinen Studenten „Mut und eine Trotzigkeit gegenüber den Verhältnissen vermitteln. Sie sollen ihrem Herzen folgen und das tun und studieren, was sie gerne machen. Der Erfolg kommt so automatisch.“
Perfekt müssen Eltern also nicht sein. „Und sie müssen sich nicht immer nur nach den Bedürfnissen der Kleien richten“, meint. Maria Neuberger-Schmidt von der Elternwerkstatt. „Denn das überfordert Väter und Mütter. Sie haben irgendwann keine Energie mehr für das Kind.“
Philosophisches über die Erziehung
Kein Ratgeber, sondern ein philosophischer Gedanken- austausch: Im Buch „Über die Erziehung“ diskutieren der Kabarettist Roland Düringer sowie die Philosophen Eugen Maria Schulak und Rahim Taghizadegan. Etwa über die Frage, wer den kleinen Neander- taler erzogen hat. Oder ob Kinder PlayStation spielen dürfen.
Ecowin-Verlag, 14.90 Euro.
Am Montag, 13. Mai, 19 Uhr lesen die Autoren aus dem Werk. Ort: Institut für Wertewirtschaft, 8. Schhlösselg. 19/2/18,
8., Wien Anmeldung unter info@wertewirtschaft.org, Eintritt frei
Roland Düringer philosophiert gerne am Kuchltisch mit seinen Freunden Eugen-Maria Schulak und Rahim Taghizadegan. Manches Gespräch wird dann als Buch veröffentlicht. „Wutbürger“ hieß das Erste. Im neuen Werk „Über die Erziehung“ debattieren die drei zum Thema Pädagogik.
KURIER: Herr Düringer, warum diskutieren drei Männer über die Erziehung?
Roland Düringer: Wir haben nicht als Männer, sondern als Menschen philosophiert. Schließlich hat ja jeder seine Erfahrung mit Erziehung.
Wer erzieht uns denn?
Eigentlich alles und alle. Die Kinder erziehen auch die Erwachsenen. Die Tiere, der Garten usw. können uns erziehen. Sie lenken uns in eine andere Richtung und lassen uns neue Erkenntnisse gewinnen. Und sie schaffen Möglichkeiten, uns anders zu entwickeln.
Sie sind selbst Vater einer Tochter. Was ist Ihnen in der Erziehung wichtig?
Am Wichtigsten ist mir, dass ich meiner Tochter nichts vorsage, sondern vorlebe. Ich kann ihr ja nicht erklären, wie schädlich Alkohol ist, wenn ich gerade ein Glas Bier in der Hand habe. Ich glaube, dass Kinder in der Vergangenheit nur gelernt haben, indem ihnen vorgelebt wurde. Sie gingen sehr früh mit auf die Jagd, aufs Feld, in die Küche ... Da haben sie mitgeholfen. Nach einiger Zeit mussten sie eine Aufgabe ganz alleine bewältigen. Das war so ein Initiationsritual. Haben sie dieses geschafft, waren sie erwachsen.
Sie haben den Eindruck, dass so etwas fehlt und junge Menschen sich nichts mehr zutrauen.Woher kommt das?
Das Unglück hat viele Gründe: Sicher trägt unser Schulsystem dazu bei. In der Schule erhalten Kinder eine Ausbildung, aber keine Bildung. Kinder, die Fragen stellen, sind dort nicht gefragt. Eltern sollten ihre Töchter und Söhne ermutigen, in der Schule gute Fragen zu stellen. Ein weiterer Grund ist, dass jungen Menschen der Bezug zur Natur fehlt. Sie wissen nicht mehr, woher die Nahrung kommt. Die Hühnerschnitzerl sind die einzige Beziehung, die sie zu Tieren haben. Statt sie mit der Natur vertraut zu machen, müllen wir sie mit Industriegerümpel zu: Handys, Laptops etc.
Hat ihre Tochter ein Handy?
Sie ist jetzt zwölf Jahre alt und hat eines geschenkt bekommen. Allerdings nicht von mir. Grundsätzlich kann so ein Gerät ja sinnvoll sein, wenn sie z.B. in einer Notsituation ist. Jetzt gilt es, sie dazu zu bringen, das Handy sinnvoll einzusetzen. Ich selber habe kein privates Handy.
Sie wollen vorleben und nicht vorsagen. Was soll Ihrer Tochter von Ihnen abschauen?
Ich will mich für Dinge begeistern können. Die Fähigkeit zur Begeisterung haben wir uns nämlich zerstört. Wir brauchen immer höhere Reizschwellen, um uns noch für Neues begeistern zu können. Jeder Horrorfilm muss noch grauslicher sein. Es ist an der Zeit, die Ansprüche zurückzuschrauben. Und wir müssen, das, was wir haben, wieder mehr wertschätzen. Dieses Leben im Überfluss führt zur Überforderung. Wir brauchen wieder mehr Achtsamkeit gegenüber dem Leben und den Dingen, die wir haben. Wer nur ein Messer hat, passt auf das auf.
Hört die Erziehung eigentlich irgendwann auf?
Früher hoffte man, dass mit 18 Jahren – also nach der Schule – der ganze Druck aufhört. Doch er hört nie auf. Wir werden überfordert von der Umwelt. Gehen Sie mal in ein Kaufhaus – das sind so viele Eindrücke! Das stresst.
Sie haben sich auch mit der Bildung beschäftigt. Was macht eine gute Schule aus?
Wir drei glauben, dass es auf den Lehrer ankommt. Wenn er von seiner Sache begeistert ist und er die Schüler mag, ist er ein guter Lehrer. Das weiß jeder aus Erfahrung: Bei einem guten Lehrer habe ich etwas gelernt.