Leben/Gesellschaft

Unheimlich vernetzt: Microsofts Wohnvisionen

In Microsofts Hauptquartier, in Redmond, USA, gehört das „Executive Briefing Center" nicht gerade zu den spannenden Gebäuden. Doch versteckt im hintersten Eck ist eine Eingangstür zu einem Haus. Ein ungewöhnlicher Anblick, in den sonst kühl und steril wirkenden Gängen des Briefing Centers, in denen sich sonst nur Geschäftskunden und Partner von Microsoft in einem der 16 Besprechungsräumen treffen. Die ominöse Tür und die daneben stehende Elektro-Vespa gehören zum „Microsoft Home". Die futurezone hat sich dieses potenzielle Zuhause der Zukunft angesehen.

Vor der Türe
Bevor man nach der Türklinke greift, meldet sich das Smartphone mit einer Nachricht. Die Blumen im mittleren Fach hätten gerne Wasser und die zweite Topfpflanze rechts unten braucht mehr Sonne und sollte deshalb nach oben gestellt werden. Die Information kommt von Streichholz-großen Sensoren, von denen jeweils einer in der Erde einer Topfpflanze steckt. „Da sie nur die Werte verschicken, die woanders verarbeitet werden und kein eigenes Display haben, sind sie günstig zu produzieren", sagt Jonathan Cluts, Leiter der Abteilung Consumer Prototypen bei Microsoft.

Die Nachrichten der Pflanzen werden nur auf dem Smartphone angezeigt, wenn man sich in der Nähe befindet. Die Lokalisierung der Bewohner im und rund ums Haus funktioniert derzeit noch über das Smartphone. Zukünftig könnte das auch über einen Chip in der Armbanduhr oder den Schuhen erfolgen.

Der Chip reicht aber nicht, um die Haustüre zu öffnen – das wäre zu unsicher, schließlich gehen Smartphones verloren, Uhren werden gestohlen und auch Schuhe sollen in den USA schon mal Beute bei Raubüberfällen gewesen sein. Die Tür öffnet sich durch einen Handscan. Gemessen werden der Abstand zwischen den Fingern, sowie die Größe und Länge der Finger. „Früher war ein Retina-Scanner installiert, die derzeit sicherste Methode der Biometrie-Scans. Aber die Leute wollten nicht ihre Augen scannen lassen, deshalb nutzen wir jetzt den Handflächen-Scan", sagt Cluts.

Steht man als Besucher vor der Tür, wird ganz traditionell geklingelt. In diesem Moment wird ein Foto gemacht und an das Handy geschickt. Der Gastgeber kann dann auch per Smartphone-App die Tür öffnen, falls er den Gast nicht persönlich an der Schwelle empfangen will.

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Vorzimmer
Im Vorzimmer deutet nichts offensichtlich auf das Heim der Zukunft hin. Links auf dem Schuhregal steht ein Keramiktablett, in das man Schlüssel und sonstigen Krimskrams ablegt. Legt man allerdings das Smartphone, MP3-Player oder die Uhr darauf, werden sie durch Induktion aufgeladen. Gleichzeitig leuchten Informationen durch OLEDs auf, die in dem Tablett eingearbeitet sind. Über dem Handy wird das Wetter angezeigt, neben der Armbanduhr die damit gemessenen Blutwerte und ein Aktivitätsbericht.

Gegenüber an der Wand ist ein runder Lichtschalter – so scheint es zumindest. Dreht man den chrome-farbenen Puck nach links oder rechts, wird er zur Steuereinheit. Über dem Lichtschalter ist ein OLED-Display in der Wand eingebaut, das mit Wandfarbe übermalt wurde. Ist das Display inaktiv, ist es nicht zu sehen. Ist es aktiv, leuchten die Menüpunkte scheinbar aus der Wand heraus. Mittels des Pucks können jetzt verschiedene Punkte angewählt werden, wie Temperatur, Helligkeit der Beleuchtung oder das Abspielen von Musik.

In dem Bedienelement ist auch ein Mikrofon und Lautsprecher verbaut. Mit „Grace" wird die Spracheingabe aktiviert. „Grace ist eine Microsoft-Mitarbeiterin, deshalb haben wir Home diesen Namen gegeben", sagt Cluts. Auf „Grace, Update" antwortet die weibliche Computerstimme, dass die Elektro-Vespa vor der Haustür rechtzeitig zur Abfahrt zum 16-Uhr-Termin bereit ist und die Tochter ihre Hausübungen bereits gemacht hat.

Wohnzimmer
Im Wohnzimmer geht die Überwachung weiter. Auf dem Flat-TV wird angezeigt: „Großmutter hat einen normalen Tag". „Es ist nicht als Überwachung gedacht, sondern soll eine Hilfestellung bei älteren oder pflegebedürftigen Personen sein", sagt Cluts. Wenn Großmutter einen normalen Tag hat, ist sie nach den vorher festgelegten Parametern zur üblichen Uhrzeit aufgestanden und hat ihre Medikamente eingenommen.

Der Flat-TV ist natürlich genauso vernetzt, wie alles andere auch im Microsoft Home. Will man Musik hören, kann man die Musiksammlung durchstöbern, etwa auch nach Kategorien. Landet man dann zB. bei „Irish Music", schlägt der Flat-TV eine Dokumentation vor, die aufgezeichnet wurde. In der Dokumentation geht es um die Städte Brasiliens und nur etwa fünf Minuten davon sind der irischen Musikszene in São Paulo gewidmet. Der Flat-TV spult deshalb automatisch zu dieser Stelle vor. Die Analyse der Inhalte soll automatisch möglich sein, ohne, dass die Reportage mit den entsprechenden Schlagwörtern getaggt wurde.

Dass Microsoft das Heim der Zukunft nicht nur errichtet hat, um Endkunden einen Ausblick zu gewähren, beweist die nächste Vorführung. Nicht nur die Art der Inhalte werden analysiert und erfasst, sondern auch Objekte, die zu sehen sind. So kann man das Bild stoppen und mit dem Cursor auf den Rucksack eines zu sehenden Touristen klicken. Prompt wird man zu einem Webshop weitergeleitet, der diesen verkauft. Es wäre auch möglich automatisch Links und Infos zu den zu sehenden Produkten einzublenden.

Auf der anderen Seite des Wohnzimmers steht ein Regal, mit mehreren digitalen Bilderrahmen. Stellt man ein Objekt in ein bestimmtes der freien Fächer, wird es gescannt und erkannt. Platziert man dort ein Eiffelturm-Souvenir, werden automatisch die Bilder aus dem Paris-Urlaub in dem digitalen Bilderrahmen wiedergegeben. Auch das funktioniert ohne Tags. Die Methode ist ein wenig beängstigend: Die Verknüpfung zwischen dem Objekt und dem Urlaub wird unter anderem hergestellt, indem von der Kreditkartenrechnung Zeit, Ort und das Geschäft ausgelesen werden, in dem das Andenken gekauft wurde. Man muss „Grace" schon vertrauen können, um kein mulmiges Gefühl zu bekommen, wenn sie in den Kreditkartenrechnungen stöbert.

Küche
In der Küche ist ein großes Display, das als digitales Whiteboard genutzt werden soll. Der Touchscreen erkennt den Benutzer anhand seines Handabdrucks. Danach werden die Daten von einer WLAN-Waage, den Aktivitätsdaten der Armbanduhr, einem Blutdruckmesser oder anderen E-Health-Produkten zu einem Gesundheitsstatus kombiniert. Per Schieberegler kann eine Prognose angesehen werden, die zeigt, wie sich die Körperstatur in wie vielen Jahren ändern wird, wenn man seine jetzigen Gewohnheiten beibehält. Auch die möglichen Krankheiten und Leiden werden angezeigt.

Das Whiteboard zeigt passend zu den möglichen Leiden Informationen zu neuen Behandlungsmethoden an. „Wenn es eine neue Gentherapie gibt, kann ich gleich über das Whiteboard mit dem Arzt Kontakt aufnehmen oder einen Termin ausmachen", sagt Cluts. Auch das ist bedenklich. Wer das US-Gesundheitssystem kennt, weiß, wie viel Geld dahinter steckt und wie teuer Behandlungen sind. Außerdem wird hier mit der Angst der Menschen vor Krankheiten gespielt und diese so zu vielleicht unnötigen und kostspieligen Behandlungen gelockt.

In der Küche findet sich auch ein Feature, dass bereits in einer früheren Version von Microsoft Home zu sehen war. „Eigentlich wird das Home alle zwei Jahre komplett erneuert und umgebaut. Die Küchenflächen-Projektion war aber so beliebt, dass sie auch im aktuellen Home wieder eingebaut wurde", sagt Cluts. Das erste Home wurde bereits 1994 errichtet.

Über das Whiteboard-Display wird ein Rezept ausgewählt. Ein Projektor projiziert die Schritt für Schritt-Anleitung auf die Arbeitsfläche. Unterstrichene Wörter, wie „Weiter" oder „Vorlesen" können als Sprachbefehle genutzt werden, damit man nicht mit  mehligen Fingern auf den Touchscreen des Whiteboards greifen muss. Ob die richtigen Küchengeräte und Zutaten auf der Arbeitsfläche platziert wurden, erkennt das System durch RFID-Tags. Als zusätzliche Hilfe wird etwa die optimale Größe für die Teigkugel auf die Arbeitsplätze projiziert, je nachdem für wie viele Portionen das Gericht reichen soll.

Über eine Kamera kann das System auch nicht-getaggte Objekte teilweise erkennen. So wird der Großmutter bei der Medikamenteneinnahme geholfen. Wenn sie die richtigen Medikamente für die jeweilige Tageszeit auf der Küchenfläche platziert, gibt das System das OK. Sind falsche oder unverträgliche Medikamente platziert, ist eine Warnung sicht- und hörbar.

Pinnwand
Zwischen Küche und Esszimmer ist eine Pinnwand angebracht. Diese sieht zwar aus als wäre sie aus Kork, ist aber magnetisch und hat wieder ein durchscheinendes Display eingebaut. Darauf werden zum Beispiel Erinnerungen, die Uhrzeit oder die Einkaufsliste angezeigt. Es ist aber auch möglich, RFID-getaggte Papiere per Magneten anzubringen. Bei so einer Papiereinladung mit eingearbeiteten RFID-Tag wird neben der Einladung angezeigt, ob zu diesem Zeitpunkt noch Platz im Terminkalender ist, wer von den Freunden bereits zugesagt hat und ob man selbst zusagen oder ablehnen will.

Auch an die Geschäftstreibenden hat Microsoft bei der Pinnwand gedacht. So könnte man Werbemagneten, etwa für einen Pizza-Lieferdienst, mit einem RFID-Tag versehen. Wird er an die Pinnwand geheftet, werden die Spezialitäten angezeigt. Der Betreiber der Pizzeria kann auch Push-Nachrichten schicken. So könnte an Montagen, ein traditionell schwacher Tag für Lieferdienste, eine Push-Nachricht erscheinen, die auf Sonderangebote und Rabatte hinweist. „Zukünftig werden sie von ihren Kühlschrankmagneten gespammt", scherzt Cluts.

Esszimmer
Im Esszimmer ist die Weiterentwicklung des Küchen-Projektors verbaut. Hier können Inhalte auf jede Wand und auf den Tisch projiziert werden. In diesem Zimmer fällt auch zum ersten Mal auf, dass das Microsoft Home keine Fenster hat. Hierzu müssen wohl die Projektoren in Zukunft noch lichtstärker und sparsamer werden – bei der ganzen Technik verbraucht das Microsoft Home wahrscheinlich soviel Strom wie eine Vorstadt-Siedlung an der Ostküste.

Über das Lern-Tablet kann die Tochter zusätzliche Diagramme und Informationen an einer beliebigen Wand einblenden lassen – so, dass sie von jedem Platz des großen Esstisches immer einen Blick darauf hat. Auch eine Kamera ist wieder in der Decke verbaut. Legt man das Modell eines Gehirns auf den Tisch, wird daneben eine Grafik und Animation der Beeinflussung von Koffein auf das Gehirn eingeblendet oder andere Themen, die im Unterricht gerade durchgenommen werden.

Verspielter wird es am Geburtstag des jüngeren Bruders. Das Esszimmer wird in ein Flugzeug-Thema getaucht. Die Wände werden mit blauem Himmel, Wolken und Flugzeugen bestrahlt. Auf dem Tisch werden die Platzkarten mit den Namen der Gäste projiziert, sowie eine Landschaft aus der Vogelsperspektive. Jeder Gast kann ein Flugzeug über den Tisch steuern. Dazu deckt man mit der Hand die projizierten Pfeile nach links oder rechts ab, um in die gewünschte Richtung zu fliegen. In der Demonstration war dies mit fünf Flugzeugen gleichzeitig möglich. Eine Version, die mit allen zwölf Plätzen des Tisches funktioniert, wird wohl im nächsten Microsoft Home nachgereicht.

Kinderzimmer
Mit dem Befehl, „Grace, Wake up Teenage Room" wird das Kinderzimmer der Tochter zum Leben erweckt. Das Licht geht an, die Musik aus der Playlist wird gestartet und die Wände von den Projektoren mit einer Videotapete im Skater-Look bestrahlt. In der Videotapete sind auch die Fotos von Freunden integriert und Ankündigungen für Veranstaltungen, die dem Interessensprofil entsprechen. Auch hier bietet sich wieder die Möglichkeit für Unternehmen gezielt Werbung zu platzieren.

Das Teenager-Thema kann per Sprachbefehl gewechselt werden. Der „Aquarium Mode" macht aus dem Zimmer eine Unterwasser-Welt. Sollte die Großmutter das Zimmer benutzen müssen, gibt es dafür den „Grandma Mode". Die Videotapete wird im Retro-Look an die Wand projiziert, mit Fotos der Familienangehörigen und aus der Vergangenheit der Oma.

Medienzimmer
Im Medienzimmer ist die Technik, abgesehen vom riesigen Flat-TV, auf Anhieb nicht sichtbar. Sitzt man auf dem Sofa, bemerkt man das große Display, das im gläsernen Couchtisch verbaut ist. Damit kann der Flat-TV bedient und etwa die Mediensammlung durchsucht werden.

Als Beispiel für die Integration der verschiedenen Geräte zieht Cluts ein Fotos eines Magazincovers, dass seine fiktive Frau mit ihrem Handy gemacht hat, von seinem Smartphone auf das Glastisch-Display. Das Cover des Magazins wird nach Inhalten, wie etwa dem Strichcode, dem Motiv und den Texten, gescannt. Jetzt kann man die Website der Zeitschrift aufsuchen, die Ausgabe als E-Paper kaufen oder ein Abo abschließen.

In der E-Paper-Ausgabe des Kunstmagazins ist das Geschäft abgebildet, in dem es die am Cover zu sehende Schnitzarbeit zu kaufen gibt. Das System hat das Bild und den Text gescannt. Tippt man es am Touchscreen des Glastisches an, wird eine Straßenansicht in Bing Maps geöffnet, die die Adresse zeigt. Dies soll zukünftig auch möglich sein, ohne, dass vorher Kameraautos in der Gegend unterwegs waren. Die „Point Cloud" soll Bilder von Flickr oder anderen öffentlich zugänglichen Fotoportalen zu Straßenansicht-Panoramen kombinieren.

In der Straßenansicht wittert Microsoft ebenfalls Möglichkeiten Geld zu verdienen. Unternehmen können dafür bezahlen, dass aus der Straßenansicht ihr Geschäft betreten werden kann. Damit das Ganze interaktiver wird, kann der Innenraum des Geschäfts in 3D erkunden werden – vorausgesetzt der Flat-TV ist 3D-tauglich, was er im Microsoft Home natürlich ist. In der Demonstration war es möglich, ähnlich einem Videospiel, durch das Geschäft zu gehen. „Das ist eines meiner Lieblingsfeatures: Man kann die Gegenstände hochheben und von allen Seiten betrachten. Versuchen sie das mal in einem richtigen Kunstgeschäft", sagt Cluts.

Die Steuerung im virtuellen Geschäft funktioniert über den Touchscreen im Tisch. Zukünftig könnte auch die Xbox-Bewegungssteuerung Kinect integriert werden, um mit Handbewegungen und Gesten durch die Räume zu navigieren oder Gegenstände zu betrachten. Hat man das Kunstobjekt ausführlich inspiziert, kann man es über den eingebundenen Webshop gleich kaufen. Eine Option, die das virtuelle 3D-Objekt als Vorlage nimmt und per 3D-Drucker ein Replik davon anfertigt, ist nicht vorgesehen.