Leben/Gesellschaft

Tipps von Psychologin Stefanie Stahl: Lebenshilfe für Normalgestörte

Ihre Bücher gehen weg wie die warmen Semmeln. Das erste über intro- und extravertierte Menschen  schrieb  Stefanie Stahl, Psychologin aus Trier, aus  der eigenen Not heraus. Nach einem Streit mit dem Ex-Freund dachte sie,  der Grund für das Beziehungsende wäre ihre Offen- und seine Verschlossenheit gewesen. Weit gefehlt. „Tatsächlich litt er nämlich unter Beziehungsangst.“

Trotzdem: Das Buch wurde ein Erfolg, und Stahl hatte ein Thema für weitere Bestseller. Ihr 2015 veröffentlichtes Buch "Das Kind in dir muss Heimat finden" über die Heilung von Verletzungen aus der Kindheit, verkaufte sich bisher mehr als 600.000 Mal. Nun hat sie mit Sonnenkind und Schattenkind, einer inspirierenden Geschichte zu ihrem Bestseller, nachgelegt.
 

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Was Stahl von anderen Selbsthilfe-Autoren unterscheidet, ist wohl „die Dinge auf das Wesentliche zu reduzieren.“ Die Diplom-Psychologin spricht sogar von Therapie zum Selbermachen für alle Normalgestörten. „Psychisch gesund heißt, in guter Balance zwischen Bindung und Autonomie zu sein. Einerseits müssen wir uns anpassen können, empathisch sein und Vertrauen haben. Das ist Bindung. Andererseits müssen wir unseren eigenen Weg gehen, uns durchsetzen und auf die eigenen Bedürfnisse hören. Das ist Autonomie. Wer beides kann, ist psychisch einigermaßen stabil.“

Stahl ist überzeugt davon, dass viele Probleme, vor allem der zwischenmenschlichen Art, mithilfe von Selbst-Therapie gelöst werden können. „Beziehungsprobleme sind nie so kompliziert, wie sie scheinen. Im Grunde gibt es nur   wenige psychologische Funktionsmechanismen. Es geht immer um Selbstwert, Bindung und Autonomie.“

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Ob man genug von allem hat und auch zueinander in Balance bringt, hängt von der Erziehung ab. „Prägungen in der Kindheit sind deshalb so tief reichend, weil unser Gehirn bei der Geburt nur zu 25 Prozent ausgebildet ist. Bis zum 6. Lebensjahr bilden sich viele Gehirnstrukturen. Im Grunde sind Eltern ein Trainingslager für Beziehungen. Da lernen wir, geliebt zu werden wie wir sind oder etwas dafür tun zu müssen.“

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Doch auch wenn einiges schief läuft: Die Hoffnung lebt! Wer Prägungen aus der Kindheit erkennt, kann sie auch ablegen. „Dazu braucht man nicht immer jahrelange Psychotherapie“, sagt Stahl. Wenn etwa ein Kind zu wenig Bindung erfährt, denkt es nicht, die Mama ist gestresst und sollte eine Therapie machen, sondern glaubt, nicht zu genügen. Und schon wurde ein Glaubenssatz zum Leben erweckt. „Sie sind  die Brille, durch die wir die Welt sehen. Ich sage immer: Ertappen und umschalten! Denn je öfter ich mich ertappe, desto seltener rutsche ich in die  eigenen inneren Muster.“

Wie man Mustern auf die Schliche kommt, zeigt Stahl in ihren Büchern. In Deutschland findet man sie in einigen psychosomatischen Kliniken auf jedem Zimmer. „Wie die Bibel,“ sagt Stahl. Wie sie das findet? „Geil!“

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„Der Selbstwert ist das Epizentrum von allem“

Nachgefragt. Psychologin Stahl über Ordnung sowie das Erkennen und Ablegen von Mustern.

KURIER: Selbsthilfebücher gibt es  wie Sand am Meer. Warum sind gerade Ihre so erfolgreich?

Stefanie Stahl: Ich glaube, weil ich Ordnung schaffe in meinen Büchern und in einfacher Sprache vermitteln kann, worum es geht: Autonomie, Bindung und Selbstwert. Um diese drei Funktionsprinzipien  dreht sich die ganze Welt.

Was heißt das konkret?
Im Grunde ist der Selbstwert das Epizentrum von allem. Ich sage immer, die Glaubenssätze sind die Programmiersprache des Selbstwertgefühls. Und Autonomie und Bindung müssen sich in Balance befinden, dann ist man psychisch gesund. Als Beispiel: Wenn ein Kind zu wenig Bindung erfährt, denkt es irgendwann: Ich bin nicht liebenswert! So entstehen Glaubenssätze, durch die wir später die Welt sehen. Wenn es Eltern nicht gelingt, unser tief verankertes Bedürfnis nach Bindung, und Autonomie einigermaßen gut zu erfüllen, übernimmt das Kind die Verantwortung für das Gelingen der Beziehung zu den Eltern. Das Kind verhält sich dann so, dass es mit Mama und Papa klarkommt. Vielleicht passt es sich zu stark an und verleugnet Gefühle wie Trauer oder Wut. Es stellt quasi einen Teil von sich zurück. So werden Störungen gelernt.

Wie vermeidet man das?
Indem man seinem Kind sowohl genug Bindung als auch genug Autonomie vermittelt. Dazu gehört, dass das  Kind auch mal seinen eigenen Willen haben darf. So lernt es, dass Beziehung etwas ist, auf das man Einfluss hat.  Sonst grenzt man sich später zu sehr ab oder geht stur mit Ellbogen seinen eigenen Weg.

Es heißt immer, das Erkennen eines Problems ist der erste Schritt zur Lösung. Und dann?
Erkennen ist mehr als die Hälfte der Miete. Bleiben wir bei Eltern und Kind. Wenn ich weiß, dass ich in bestimmten Bereichen eine Tendenz habe, werde ich besser auf die Signale achten. Das bedeutet entweder, die Selbstständigkeit des Kindes zu fördern oder den eigenen Wunsch nach Nähe zurückstellen. Wenn ein Kind lieber Zeit mit gleichaltrigen Freunden verbringt als mit der Mutter, die ihr Kind am liebsten immer in der Nähe hätte: Da muss die Mutter sagen, „Das Kind soll keinen Näheschaden bekommen. Deshalb muss ich mit meinem Nähebedürfnis anders umgehen, als es das Kind ausbaden zu lassen“.

Wie lange dauert es, Muster in den  Griff zu kriegen?
Sobald man weiß, dass man ein Programm am Laufen hat, kann man sich besser beobachten und korrigieren. Ich sage immer: Ertappen und umschalten! Wenn man bemerkt, dass das eigene Muster anspringt, sagt man: „Stop!  Jetzt bin ich im Film.“ Oft reicht es, zu wissen, dass alles total willkürlich ist. Wären die Eltern anders drauf gewesen, hätte das Kind andere Programme laufen. Da macht es bei vielen Klick!