Wenn Schule krank macht
Von Ute Brühl
Macht Schule krank? Diese Zahlen legen zumindest die Vermutung nahe: 40 Prozent der 15-Jährigen klagen über psychosomatische Störungen wie Kopfschmerzen, Bauchweh oder Übelkeit. Auch vielen Lehrern scheint die Schule nicht gut zu bekommen: Jeder Dritte klagt über Erschöpfungszustände. Darauf wies Klaus Vavrik, Präsident der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, hin, als er am Donnerstag den fünften Jahresbericht präsentierte. Thema: Bildung und Gesundheit – schließlich stehen beide Themen in enger Wechselwirkung miteinander.
Vavriks Forderung: "Wir brauchen Lehrer, die die Kinder begeistern und die eine gute Beziehung zu ihnen haben. Denn die Bindung zum Kind ist die Basis für ein gelungenes Lernen." Als Positivbeispiel nennt der Kinderarzt Dänemark: "Die Eltern sind dort Teil der Schule, in der auch Erziehungsberatung stattfindet. Lehrer und Eltern fühlen sich dort gemeinsam dafür verantwortlich, dass sich das Kind gut entwickelt. Anders in Österreich: Lehrer und Eltern weisen sich gegenseitig die Schuld zu, wenn ein Kind Probleme macht." Das Ziel müsse also eine Kultur der gemeinsamen Verantwortung und des Miteinander sein.
Risikopädagoge Gerald Koller nannte die Folgen verfehlter Bildungspolitik: "Eine Million Menschen Österreicher wurden durch das Bildungssystem nicht gefördert, sondern in ihrer Entwicklung geschädigt." Das sei auch ein Problem für das Gesundheitssystem: "Denn das sie genau diejenigen, die später häufiger arbeitslos sind und öfters krank."
Zehn Punkte
Weitere Vorschläge: Unterstützungspersonal wie Psychologen oder Schulsozialarbeiter sollten besser vernetzt wären. Gesundheitserziehung sollte im Schulalltag eine Selbstverständlichkeit sein. Auch eine ausreichende medizinische Versorgung, die die körperliche, geistige, seelische und soziale Gesundheit der Kinder gewährleistet, sei unabdingbar. "Denn nur, wer sich wohl fühlt, ist auch wirklich fit für die Schule und kann Leistungen erbringen."
An Visionen mangelt es nicht
Optimal sei die medizinische Versorgung der Kinder aber keineswegs: In den vergangenen fünf Jahren hab es in Österreich zwar Fortschritte in der Planung gegeben. Trotzdem existieren anhaltende Defizite. So fehlen nach wie vor 60.000 bis 80.000 Therapieplätze, konstatierte die Österreichische Kinderliga.
"Auf Planungs- und Strategieebene ist recht viel geschehen. Die Schwierigkeit liegt darin, Visionen und Ideen umzusetzen", sagt Vavrik. Mit dem Kinder-Gesundheitsdialog, einer Strategie für Kinder- und Jugendgesundheit des Gesundheitsministeriums und der Aufnahme dieses Themas in die Rahmengesundheitsziele des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger seien Fortschritte erzielt werden.
Doch die Realität für die Betroffenen sieht oft anders aus. Vavrik: "In Wien sind sechs Kassenstellen für Kinder- und Jugendpsychiatrie geplant. In Niederösterreich gibt es fünf. Es sollen dort 30 Stellen für Ergotherapie geschaffen werden, das Burgenland hat plötzlich die Logopädie für sich entdeckt. Aber der Mangel ist so groß, dass das ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Es fehlen 60.000 bis 80.000 Therapieplätze für Kinder und Jugendliche. Die Selbstbehalte stellen ein Hindernis dar. Es gibt 7.700 Rehab-Plätze für Erwachsene, aber nur 50 für Kinder."
Therapie statt Zahnspange
Eine vorerst laut dem Experten wahrscheinlich zielführendere Einsatzmöglichkeit für solche Summen: "Die Selbstbehalte für Kinder und Jugendliche bei den Therapien sollten einfach abgeschafft werden."