Leben/Gesellschaft

Stiefmütter: Vom Feindbild zur Bonusmama

Seien wir ehrlich: Stiefmütter haben ein Imageproblem. Immer noch. Zu Unrecht, wie die Journalistin und Buchautorin Barbara Tóth findet. Mit ihrem Buch „Stiefmütter“ will sie Lobbyarbeit betreiben, „weil diese Frauen sich oft zu wenig selbst wertschätzen und dennoch viel leisten“. Sie selbst hat zwei eigene und zwei „Bonuskinder“.

KURIER: Stiefmutter wird man nicht sofort, sondern man lernt erst einmal einen Mann kennen und lieben. Was bedeutet es für eine Beziehung, wenn der Mann schon Kinder hat?

Barbara Tóth: Man lernt nicht nur einen Mann mit einem Kind kennen, sondern einen Mann mit einem Kind und einer Ex-Frau. In diesem Paket sind also drei Personen inkludiert. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man eine klassische Familie gründet. Dessen sollte man sich bewusst sein und wissen, dass man Regeln, die man für eine traditionelle Familie anlegt, nicht auf Patchworkfamilien anlegen kann. Das ist eine Beziehungsform für Fortgeschrittene – mit vielen schöne Seiten und Herausforderungen.

Fangen wir doch am heutigen Muttertag mit den schönen Seiten an.

Die Rolle der Mutter ist in unserer Gesellschaft sehr traditionell und idealisiert. Die Rolle der Stiefmutter ist derzeit noch das negative Abziehbild – dabei hat man als Stiefmutter viele Freiheiten, mütterlich zu sein, aber eben moderner oder anders. Das ist das Schöne: In Patchworkfamilien muss sehr viel ausverhandelt werden. Es gibt die Freiheit, über Rollenklischees nachzudenken und diese zu verändern. Das Leben in so einer Familie ist sehr vielfältig. Man hat die puren Familienmomente mit den „erbeuteten“ Kindern, aber auch die puren Paarmomente an den Tagen, an denen die Kinder beim Ex-Partner sind. Man kann beides sehr intensiv erleben.

Doch es gibt auch die Herausforderungen in so einer Beziehung.

Klar. Es kommen zwei Menschen mit einer Vorgeschichte und einem Rucksack zusammen. Da hat man viele Verletzungen und Kränkungen sowie Konflikte aus der vorhergegangenen Trennung. Das kann sehr komplex und belastend sein.

Gibt es eine Art Handbuch, wie ich eine Patchworkfamilie angehe, damit sie am Ende funktioniert?

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Es gibt Stationen, an die jede Stiefmutter kommt. Die eine ist das Verhältnis zu den Kindern des neuen Partners, wobei die wichtigste Frage ist, was meine Rolle ist. Darf ich zum Beispiel miterziehen? Bin ich nur die neue Freundin des Papas oder die Stiefmutter? Bin ich also die Person, die Regeln und Grenzen setzt? Dies ist so ein Punkt, den man im Idealfall im Vorfeld ausverhandelt. Man spricht sich mit dem Partner über Erziehungsgrundsätze ab und die Frage: Wie wurden die Kinder erzogen, wie wollen wir das jetzt handhaben? Die Empfehlung lautet: Der Vater ist der Captain und die Stiefmutter ist der Co-Captain. Die Stiefmutter darf sich da nicht herausnehmen, sonst wird sie unglücklich. Sie muss Herrin im eigenen Haus sein – auch gegenüber den Kindern, die am Wochenende dazukommen. Gesetzlich ist es so geregelt: Die großen Entscheidungen treffen die leiblichen Eltern; Alltagsfragen wie Essmanieren oder Bildschirmzeit entscheiden Stiefmutter und Vater.

Ein weiterer Knackpunkt?

Der Umgang mit der Ex. Da reicht die Bandbreite von gar kein Kontakt über angespannt bis freundschaftlich. Das Wichtigste ist, dass man sich zurücknimmt und nicht glaubt, man könne Moderatorin sein. Zurückhaltung, Geduld, Gelassenheit und Humor sind der beste Rat.

Der Untertitel des Buches heißt: Das Leben mit Bonuskindern. Empfinden die Kinder die neue Mutter auch als Bonusmutter?

Im ersten Moment sicher nicht. Kinder sind Traditionalisten – für sie ist die leibliche Mama und der leibliche Papa die Hauptbezugsperson. Das ist okay so. Die große Frage ist, was ich für die Kinder sein will. Der Begriff Bonusmama ist von Jesper Juul, schöner ist das Wort belle-mère (Franzosen nennen die Stiefmutter belle-mère, wörtlich: die schöne Mutter, Anm.). Schön ist, wenn die Stiefkinder dich am Ende als verlässliche, kümmernde, mütterliche Person in ihrem Leben wahrnehmen.

Sie beklagen, dass der Staat es den Patchwork-Eltern nicht gerade einfach macht.

Ein großes Thema in der neuen Familienkonstellation ist: Können wir die Kinder gleich behandeln? Da spielt vieles mit: Wie haben wir die Kinder? Wie oft sind sie da? Leider ist es nach wie vor so, dass viele Väter ihre Kinder nur jedes zweite Wochenende sehen – so entstehen Wochenendpapas und -stiefmamas. Doch so fehlt Familienalltag, der wichtig ist, um Vertrauen und Geborgenheit sowie Normalität aufzubauen.

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Was machen andere Länder besser als Deutschland und Österreich?

In Skandinavien und den USA ist es normal, dass Kinder nach der Trennung eine Hälfte der Zeit beim Vater und eine bei der Mutter leben. Das ist bei uns noch nicht so üblich, doch langsam kommt etwas in Gang.

Stresst der dauernde Ortswechsel die Kinder nicht?

Es gibt viele Studien, die zeigen, wie wichtig es ist, dass Kinder eine Beziehung zu beiden Eltern im Alltag und in der Freizeit aufbauen können. Das lässt sich viel besser organisieren, indem man es halbe-halbe macht – dort, wo es örtlich und natürlich auch ökonomisch möglich ist. Ich kenne viele Paare, die das so leben. Für deren Kinder wäre die Vorstellung, ihren Papa nur am Wochenende zu sehen, furchtbar.

Gibt es auch Stiefmütter, die sagen: Ich mag mein Stiefkind nicht?

Natürlich gibt es das, und das sollte man auch aussprechen. Wenn man an sich selbst den Anspruch stellt, dass man das Stiefkind so lieben muss, wie das eigene, überfordert man sich selbst und das Stiefkind und bringt es in einen Loyalitätskonflikt mit seiner Mutter. Eine Patchworkfamilie kann am Ende auch eine gelassene WG-Atmosphäre haben, in der man respekt- und liebevoll miteinander umgeht.

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