Leben/Gesellschaft

Die B17: Unsere alte Verbindung zum Meer

Meine Radreise nach Triest beginnt am Matzleinsdorfer Platz, einem seriösen Kandidaten im Wettstreit um den hässlichsten Platz von Wien. Eine Bushaltestelle, eine Tankstelle und ein Baumarkt begünstigen die Stadtflucht.

Von hier reiste man in jener Zeit, da Österreich noch einen Kaiser, ein Meer und einen Hafen besaß, nach Triest. Heute haben wir nichts mehr von dem – nur die alte Sehnsuchtsstraße in den Süden ist uns geblieben. Viele verbinden mit ihr Kindheits- und Jugenderinnerungen. Andere erzählen, dass die Adriastadt Triest unter Kaiser Karl VI. vor bald 300 Jahren zum Freihafen erklärt wurde, was den Ausbau der Reichsstraße beschleunigt hat.

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Der Wiener SchriftstellerBeppo Beyerl, den es privat wie beruflich oft in den slowenischen Karst zieht, hat ihr soeben einzweites Buchgewidmet. Ich folge nun seinem Buch. So wenig grandios der Matzleinsdorfer Platz, so wenig attraktiv sind die ersten Kilometer der Bundesstraße 17. Atemberaubend sind hier nur die Abgase der Blechlawine, die aus der Stadt drängt. Vor allem für jene, die es wie ich wagen, mit dem Rad zu fahren.

Durch eine triste Gegend

Nicht viel schöner wird es hinter der Stadtgrenze: Shoppingcitypaläste, Lagerhallen, vierspurige Ortsdurchfahrten, keine grüne Wiesen. Dann Traiskirchen. An der Ortseinfahrt heißt man Fremde "willkommen". Was für ein Zynismus in diesen Tagen!

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Hinter Traiskirchen erinnert eine Wirtshausruine an die Zeit, da Autofahren rein positiv gesehen wurde und unsereins im Sommer mit den Eltern nach Italien oder "Jugoslawien" fahren durfte. "Freie Fahrt für freie Bürger!" Propagierten damals Automobilindustrie und Sozialdemokratie im Einklang. Bei Teesdorf das erste Fahrzentrum, das der ÖAMTC seinerzeit eingerichtet hat. Hinter Teesdorf die B17 als vierspurige Umfahrungsstraße – so als würde es unbegrenzt fossile Energie geben.

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Unbeeindruckt davon wirkt der Wasserturm in Wiener Neustadt. Dahinter führt die alte "17er" zum ersten Mal durch unbebautes Gebiet: Die 16 Kilometer lange Neunkirchner Allee, in der ich als Radfahrer erstmals keinen Gegenwind spüre, schneidet schnurgerade durch einen Föhrenwald, dessen Duft den Süden bereits erahnen lässt. Der unter Maria Theresia aufgeforstet wurde, wie Beppo Beyerl in seinem Buch festhält. Das Rasthaus Schwartz verpflegte wiederum lange vor den Autofahrern die Radfahrer.

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Hinter Neunkirchen windet sich die Triester Straße durch die traditionsreichen Industrieorte Niederösterreichs, während die parallel verlaufende Semmeringschnellstraße (S 6) mit ihren Lärmschutzwänden wenig Abwechslung bietet. Das elegant geschwungene dunkelblaue S ziert noch immer das renovierte Gebäude des Semperit-Werks. Und der "75er"-Schlot, ein 75 Meter hoher Rauchfang, der 1921 errichtet wurde, steht auch noch. Sonst erinnert Ternitz mehr an den Niedergang der "verstaatlichten" Industrie.

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Noch so eine Erinnerung in Schottwien: Dieser Ort hat mich schon als Kind fasziniert. Von hier ging es endgültig bergauf, zum Semmering. Bei späteren Fahrten in den Süden konnten wir mitansehen, wie die Brücke der Autobahn über den engen Tal-Einschnitt gebaut wurde. Heute scheint es, als wäre sie immer schon da gewesen, als würde sie den Kirchturmspitz von Schottwien mit den benachbarten Wohnhäusern verbinden. Nur wenige Hundert Meter später brennen die Wadln!

Beppo Beyerl erzählt in seinem Buch von den historischen Bergrennen auf der alten Serpentinenstraße. Allerdings mit Motor, nicht mit Muskelkraft.

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Der Ort Maria Schutz mit seiner Wallfahrtskirche und den Wirtshäusern ließ nicht nur die Gläubigen anhalten. Auch die Fahrer von Puch 500, VW Käfer oder Opel Kadett gönnten sich und ihren Pkws hier eine kurze Pause. So wie der Radfahrer. Nach 1728 hat die Verkehrsfrequenz auf der Passstraße über den Semmering deutlich zugenommen, schreibt Chronist Beyerl ferner. Ein Mal pro Woche fuhr ein Postwagen von Wien nach Triest und Venedig, täglich verkehrte ein Wagen zwischen Wien und Graz. Der Meilenstein auf der Passhöhe zeigt an, dass man Matzleinsdorf weit hinter sich gelassen hat.

In der Mur-Mürz-Furche

Von da an geht es bergab, in die Steiermark. Die alte Fernroute führt heute noch durch Spital am Semmering und die obersteirische Bezirkshauptstadt Mürzzuschlag. Vorbei am Winter-sportmuseum und an der Skisprungschanze, auf dem auch die Wiener Stadtadler aktiv sind.

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In der Mur-Mürz-Furche verlieren sich mehr und mehr die Spuren der Triester Straße. Was mich nicht weiter stört. Der Radweg entlang der Mürz zählt zu den schönsten des Landes. An mehreren Orten wird man an die Industriegeschichte der Hoch-steiermark erinnert. Kindberg, Kapfenberg, Bruck an der Mur – ein historischer Industrieort folgt auf den nächsten. Vollbeschäftigung, verstaatlichte Industrie, Bildung für alle – Begriffe aus einer Ära,die längst in Vergessenheit geraten ist. In Bruck haben sie vor zwei Jahren eine neue imposante Brücke über die Mur gespannt: Die Harfe. Stromaufwärts Leoben, Knittelfeld, Zeltweg. Doch die Triester Straße führt weiter in den Süden, stromabwärts.

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Zu Graz habe ich keine Bilder aus meiner Kindheit. Vielleicht, weil wir die zweitgrößte Stadt des Landes auf dem Weg ans Meer bei Nacht passierten, weil ich auf der damals noch mehrstündigen Autofahrt bis Graz auf dem Rücksitz eingeschlafen war. Heute fasziniert mich auf der Triester Straße, die auch hier so genannt wird, der Zentralfriedhof auf der rechten und weiter stadtauswärts das Brauhaus Puntigam auf der linken Seite.

Grenzenlos weiter reisen

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Die alte Grenzstation in Spielfeld erinnert noch an eine Zeit, da Europa in Ost und West geteilt war und wir unsere südlichen Nachbarn von oben herab "Jugos" nannten. In der Kindheit standen bzw. saßen viele von uns hier im Stau. Auf dem Rücksitz eines von Mama und Papa vollgepackten Wagens, auf dem Weg an die Adria, die schon damals eine besondere Magie auf Binnenlandbewohner ausübte.

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Nicht einmal 20 Kilometer hinter der alten Grenze taucht die Stadteinfahrt von Maribor zwischen sanften, mit Wein bewachsenen Hügeln auf. Heute wird die zweitgrößte Stadt Sloweniens von den meisten Transitfahrern auf der Autobahn großräumig umfahren. Die Triester Straße führt durch die Stadt, und nach der Mur überbrückt man hier auch die Drau.

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Ich gestehe an dieser Stelle, dass ich in Maribor mein Faltrad zum Bahnhof pilotiert habe, um die die Reise mit dem Zug fortzusetzen. Was ich nach der weiteren Lektüre des Beyerl-Buchs auch sehr bitter bereut habe. Die feinen Architekturen von Celje und Ljubljana, die Tropfsteinhöhlen von Postojna, der Wechsel des Klimas, der Karst, der Geruch des Meers. Und dann Triest! Das alles mit dem Rad erfahren, das wäre was! Der nächste Sommer kommt bestimmt.

Der Buchautor

Beppo Beyerl, geboren 1955 in Wien, sagt von sich gerne, dass er drei Heimaten in sich trägt: Seinen Geburtsort Wien, sein Vaterland Südböhmen und den Karst. Bei aller Liebe zu den Bewohnern Wiens und der „behmischen“ Sprache: Immer wieder zieht es den umtriebigen Schriftsteller in den Süden.

Sein erstes Buch

Beyerl hat sich über Jahre auch mit der Geschichte der Triester Straße beschäftigt. Das Ergebnis seiner Recherchen ist zum ersten Mal in dem Buch Die Straße mit 7 Namen von Wien nach Triest im Löcker-Verlag erschienen (19,80 €) nachzulesen. Mehr über das neue Buch siehe links.

Sein aktuelles Buch

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Die Triester Straße. Eine Geschichte des Verkehrsweges von Wien nach Triest in Bildern. Erschienen in derEdition Winkler-Hermaden. 19, 90 €