Leben/Gesellschaft

SozialMarie 2019: Wo türkischsprachige Mütter Gehör finden

Mit „Merhaba“ begrüßt die Psychologin Sultan Dogan ihre Landsfrauen, die rund um einen großen Tisch Platz genommen haben. „Merhaba“ bedeutet im Türkischen „herzlich willkommen“. Es ist ein Ausdruck, den die anwesenden Frauen in Wien öfters vermissen.

Sie trinken Tee im Erzählcafé. Und sie hören sehr genau zu, was ihnen die Vortragende zu sagen hat. Sultan Dogan ist mehrsprachig in Ottakring aufgewachsen – und selbst Mutter von zwei Kindern. Die 36-jährige Wienerin kennt somit Freud und Leid in der Erziehung. Nicht nur aus den Lehrbüchern, die sie während des Studiums an der Uni Wien gelesen hat.

Fragen über Fragen

Wie kann ich mein Kind bestmöglich fördern? Wie kann ich mit meinem Kind möglichst positiv und möglichst gewaltfrei kommunizieren? Welche Rechte und welche Pflichten habe ich als Mutter in Österreich? Das sind die Themen, die in den „türkischsprachigen Erzählcafés für (werdende) Mütter“ diskutiert werden. Und die Menschen, die kein Kopftuch tragen, keineswegs fremd sind.

Erst im Vorjahr gegründet, haben bis dato knapp hundert Frauen an den Erzählcafés teilgenommen. Ein Turnus besteht aus acht Einheiten zu je zwei Stunden. Organisiert werden diese von der Kinderschutzorganisation „die möwe“, die sich als Anwalt für das Kindeswohl versteht und einsetzt. Für die Finanzierung kommt die Wiener Gebietskrankenkasse auf.

Gestern Abend durften Mitarbeiterinnen der Organisation im Radiokulturhaus einen Ehrenpreis der Unruhe Privatstiftung entgegennehmen (mehr über die Preisträger der SozialMarie 2019 unten).

Die Erzählcafés sind die jüngste Errungenschaft im Programm „Frühe Hilfen“, erzählt „möwe“-Mitarbeiterin Sultan Dogan vor der Preisverleihung. Bereits seit 2014 werden diese für Schwangere und Familien mit sozialen Belastungen in Wien angeboten. Rund um die Geburt eines Kindes: „Denn da sind Familien am ehesten bereit, externe Hilfe anzunehmen.“

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"Mit den Erzählcafés kommen wir daher den Frauen noch einen weiteren Schritt entgegen."

Sultan Dogan

Das Motto lautet „aufsuchende Familienbegleitung“ und bedeutet: „Wir kommen den Familien entgegen. Und wenn sie das wünschen, dann auch zu ihnen nach Hause.“ Irgendwann tauchte die Frage auf, warum dieses Angebot von türkischsprachigen Familien kaum angenommen wird.

Eine Studie brachte bald Klarheit. „Einer der Gründe ist die Skepsis vor den Behörden, speziell vor der Kinder- und Jugendhilfe“, weiß Insiderin Dogan. „Mit den Erzählcafés kommen wir daher den Frauen noch einen weiteren Schritt entgegen. Wir veranstalten sie dort, wo sie sich auf vertrautem Terrain wähnen, zum Beispiel in Kindergärten oder in Kulturvereinen. Überall dort, wo die Mütter unter sich sein können.“

Zur Zufriedenheit aller

Natürlich geht es bei den Zusammenkünften und Diskussionen auch um die Stellung der Frau in der Gesellschaft und in der eigenen Familie, sagt die Psychologin. „Zur Sprache kommen bei uns alle möglichen Themen, unter anderem auch gesunde Ernährung.“ Der Ehemann, der sich mit aller Gewalt den Integrationsversuchen seiner Frau in den Weg stellt, kommt hier so gut wie nicht zur Sprache.

Vom „Merhaba“ zum Mehr-haben: Aus den Feedback-Fragebögen geht hervor, dass sich 96 Prozent der Frauen nach dem Besuch in den Erzählcafés besser informiert und selbstbewusster fühlen. Ein Umstand, der auch ihren Kindern zugutekommen sollte. Sultan Dogan, die in zwei Sprachen zu Hause ist und ihr Know-how leicht verständlich weitergeben kann, hofft nun, dass das Angebot auf ganz Wien ausgeweitet wird.

SozialMarie 2019: Die Top drei

Der Preis wurde heuer bereits zum 15. Mal vergeben.

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1. Preis: Das „Omama Project“ wurde heuer zum Sieger gekürt. Seine Trägerorganisation Cesta von bemüht sich in drei Dörfern der Mittelslowakei um soziale Gerechtigkeit. Ältere Dorfbewohnerinnen, die zuvor speziell geschult werden, betreuen ein Mal pro Woche Kleinkinder in Roma-Familien. Die Kinder profitieren davon, und die Omamas werden fair bezahlt.
www.cestavon.sk

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2. Preis: Die „Genossenschaft für Gemeinwohl“ wurde nach der letzten großen Wirtschaftskrise in Wien gegründet und hat dann für einige Schlagzeilen gesorgt. Neu ist das „Gemeinwohlkonto“: Es verspricht den Kontoinhabern, dass ihr Geld nur in ökologisch und sozial verträgliche Projekte investiert wird.
www.gemeinwohl-genossenschaft.at

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3. Preis: Nicht nur Flüchtlinge, auch Obdachlose haben es im Nachbarland Ungarn schwer. Die in Budapest angesiedelte „Social Rental Agency“ ist ein Rettungsanker für die Menschen auf der Straße. Die Agentur schafft und vermittelt leer stehende Wohnungen, die für ein Drittel der marktüblichen Preise gemietet werden können.
www.utcarollakasba.hu