Leben/Gesellschaft

Sinnsuche: Wozu das alles?

Die Frage, welchen Zweck unser Dasein in der Welt hat, verfolgt die Menschheit, seit es sie gibt. Denn das Wissen um den "Sinn des Lebens" bestimmt unser Lebensglück.

"Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn des Lebens? Das sind die großen Fragen der Religionen seit jeher. Sie können philosophisch, aber nicht wissenschaftlich befriedigend beantwortet werden. Das ist eine der großen Kränkungen des Menschen", sagt Religionswissenschafter Martin Treml. Heute sind die Menschen immer weniger bereit, Antworten zu akzeptieren, die für alle gelten. Das Bestehen auf Individualität werde oft auf aggressive Weise bestimmt: "Das ist eher ein Grund für Unglück als für Glück."

Ist die Möglichkeit, darüber nachzudenken, ob es uns gut geht, ein "Luxus" der Wohlstandsgesellschaft? Heutzutage muss die Antwort darauf mehr als ein Leben ohne Angst und ohne Not sein. Und im biblischen Sinne geht das "Heil-Sein", wie es Treml nennt, ohnehin über den Tod hinaus. Der andere Aspekt ist die Forderung nach dem Glücklichsein. Tremls ernüchternder Befund: "Das interessiert Religionen überhaupt nicht. Glück ist keine religiöse Kategorie wie Erlösung, Errettung, Gnade oder auch Liebe, Gerechtigkeit, Strafe."

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Mit der Frage nach dem "Wozu und was kommt danach" beschäftigten sich wahrscheinlich schon die Neandertaler. Das beschreibt auch der amerikanische Religionsforscher, TV-Produzent und Moderator Reza Aslan in seinem Buch "Gott. Die Geschichte des Menschen." (Gütersloherverlagshaus. 22,70€.)

Wie schon der Titel suggeriert, macht Aslan darin den Versuch, Wissenschaft, sprich Menschheitsgeschichte, und Religion zu verbinden. Adam und Eva nennt er schlicht homo sapiens. Sein (nicht ganz so wissenschaftliches) Fazit ist der Pantheismus. Gott ist überall. Allerdings sieht er nicht so aus, wie wir immer glauben.

Belege dafür findet Aslan bei unseren Ahnen, die den Verstorbenen kostbare Werkzeuge und Schmuck ins Grab gelegt hätten und daher an ein Leben nach dem Tod glaubten. Ebenso wie ihre Urahnen, die Neandertaler, die bereits rituelle Bestattungen praktizierten, "was vermuten lässt, dass sie die Seele als etwas vom Körper unabhängig Existierendes betrachteten." Diese Seelen würden ohne Körper zu Geistern, mit der Zeit vermenschlicht, als Götter verehrt und angebetet.

Die Neigung, das Göttliche zu vermenschlichen, ist zentrales Charakteristikum fast aller religiösen Traditionen, schreibt Aslan, der auch persönliche Erfahrung damit hat. Als Muslim erzogen, konvertierte er als Erwachsener zum Christentum und wurde später wieder Muslim.

Der Versuch, das Göttliche zu verstehen, in dem man ihm menschliche Züge gibt, ist also einfach menschlich. An Gott zu denken, hieß immer schon, vom Menschen her zu denken. Egal, ob wir an einen Gott, mehrere Götter oder an gar keinen Gott glauben – wir haben Gott nach unserem Ebenbild erschaffen. Unter den frühesten Belegen: 18.000 Jahre alte Höhlenmalereien in Südwest-Frankreich. Sie zeigen Zeichnungen von Mensch-Tier-Wesen, in denen der französische Prähistoriker und katholische Priester Henri Breuil ( 1961), Pionier der Höhlenbild-Forschung, meinte, "das erste jemals entdeckte Bildnis Gottes" zu sehen.

Angst vor der Sinnlosigkeit

Haben sich schon unsere Urahnen mit den Fragen nach dem „Warum“ befasst, so sind sie erst in der Neuzeit zentral geworden. Religionsforscher Treml zitiert den protestantischen Theologen Paul Tillich (1965), dem zufolge der Mensch durch eine grundlegende Angst bestimmt sei, die in verschiedenen Varianten bestimmen Epochen zugeordnet werden könne: die Angst vor dem Schicksal in der Antike, die Angst vor der Sünde im Mittelalter und seither die Angst vor der Sinnlosigkeit. "Vielleicht leben wir heute im vierten Zeitalter der Angst: der Angst vor der Bedrohung unserer Existenz insgesamt, zuerst durch die Atombombe, jetzt durch die Klimakatastrophe", so Treml.

Diesem unerfreulichen Fazit gegenüber steht der "Mut zum Sein", auf den Theologe Tillich setzte: "Einem Sein im Zeichen von Gerechtigkeit und Freiheit, aber nicht nur für mich, sondern für alle."

Auch Reza Aslan kommt zu einem versöhnlichen Schluss: Jeder Mensch habe teil am Göttlichen. Aslan sagt: "Du bist Gott."

"Kein Gott ist auch keine Lösung"

Die Sinnsuche dürfete besonderes unter Medienmenschen verbreitet sein. So hat auch  der ehemalige Bild-Reporter Daniel Böcking zu Gott gefunden. Bei großen Katastrophen habe er immer wieder Christen kennengelernt, die ihn tief beeindruckten, schreibt er. Wie ein frisch Verliebter berichtet Böcking in oft flapsigem, inhaltlich aber sehr überzeugtem Ton in seinem Buch "Warum Glaube großartig ist: Mein Glück mit Jesus" (Gütersloher Verlagshaus, 18 €) von seiner Erweckung und kommt zum Schluss: "Jesus, dir nachzufolgen ist cool, hip, krass."

Inhaltlich differenzierter geht Satiriker Jan-Christof Scheibe die Suche nach Gott an: Er bezeichnet ihn als "alten Freund" aus Kindertagen, den er irgendwie aus den Augen verloren hätte. Jetzt sei er orientierungslos und auf der Suche nach Antworten, schreibt er in seinem Buch "Ogottogott – Wie glaubt man und wenn ja, warum?" (Gütersloher Verlagshaus, 18 €) über seine Beziehungskrise zu Gott. Die Suche nach dem Wesen aller Dinge führt ihn, trotz aller Zweifel, zum Fazit: die Beziehung zum Glauben sei kompliziert, aber besser als gar keine: "Kein Gott ist auch keine Lösung."

Erleuchtung auf Twitter

Die Sehnsucht nach Erleuchtung  ist  auch auf Twitter dokumentiert, wo ein gewisser "God" (@TheTweetOfGod) Auskunft in eigener Sache gibt: "Wenn man mir nicht ständig sagt, wie großartig ich bin, werde ich böse, denn obwohl ich allmächtig und allwissend bin, bin ich emotional sehr unsicher."

Auch weniger unterhaltsame, umso eindringlichere Botschaften übermittelt dieser tatsächlich mit einem Bild eines weißbärtigen Mannes illustrierte "God" seinen 5,81 Millionen Schäfchen vulgo "Followern": "Ihr könnt etwas gegen den Klimawandel unternehmen. Ihr werdet es allerdings nicht."

"Gott" ist allwissend. Und mitunter auch boshaft.