Leben/Gesellschaft

Wenn Luchs, Bär und Wolf den Wald verlassen

Sie holen sich ihren Lebensraum zurück: Bären, Luchse und Wölfe tauchen wieder in Mitteleuropa auf. Gelegentlich betreten sie auch österreichischen Boden – allerdings vermehren sie sich hier kaum. Sie ziehen entweder weiter oder "verschwinden". Letzteres ist der Grund, warum die in den österreichischen Zentralalpen wieder eingesiedelte Bärenpopulation 2011 ausstarb.

"Wir haben auch bei den Wölfen keine Rudelbildung, obwohl Österreich laut Wildbiologen der bestgeeignete Lebensraum ist", stellt Kurt Kotrschal, Verhaltensforscher und Mitbegründer des "Wolf Science Center" Ernstbrunn, fest. Beim "Science Talk" des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft diskutierte er mit Josef Reichholf, Zoologe und Ökologe aus München sowie Unternehmer und Jagdexperte Philipp Harmer über die Rückkehr der Wildtiere. Harmer sieht bei Wölfen und Bären Gefahren für Leib und Leben. Und in Folge gerissene Nutztiere und verängstigte Menschen. Erst kürzlich gab es im Trentino eine Bärenattacke auf einen Jogger.

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Verhaltensforscher Kotrschal bezieht sich auf Studien und ortet positive Zustimmung innerhalb der Bevölkerung gegenüber Wildtieren, weist aber auf die Folgen hin. "Wenn Wölfe und Bären einwandern verursacht dies Kosten. Wenn wir sie wollen, müssen wir akzeptieren, dass etwas passieren kann – das auszuschließen ist Nonsens."

"Dort wo Wildtiere lange weg waren, verursachen sie Ängste." Mythen und Sagen über Wolf und Bär schüren diese. Ebenso die Medien. "Wenn ein Wolf ein Reh reißt, werden blutige Bilder gezeigt. Wenn aber tausende Rehe jährlich durch Autos zerfetzt werden, interessiert das nicht viele", sagt Josef Reichholf. Generell findet die Beziehung zwischen Mensch und Tier nicht auf Augenhöhe statt, kritisiert Kotrschal. Wildtiere werden dorthin gebracht, wo sie nicht schaden oder genutzt werden können. Die Frage, wozu Wolf oder Bär nötig sind, hält er für berechtigt. "Wir wissen, dass Wölfe die Wildpopulation besser in Schach halten, als menschliche Jäger." Warum es in Österreich mit den Wölfen partout nicht klappt, kann laut Kotrschal an der Gesetzgebung liegen, aber auch an der feudalistischen Mentalität einiger Grundbesitzer.

Ethische Frage

Ob Wolf, oder nicht – Kotrschal plädiert generell für eine ethische Sichtweise: "Woher nehmen wir die Chuzpe, zu entscheiden, wer hier noch leben darf? Dass Menschen das Vorrecht auf diesen Lebensraum haben, ist philosophisch nicht zu halten." In Italien und im Osten Deutschlands geht man wesentlich gelassener mit dem Thema um.

Zirka 100 Wölfe leben aktuell in Deutschland. Zoologe Reichholf beobachtet ebenfalls mehr Zustimmung bei den Menschen. "Wildtiere sind willkommen, die Bevölkerung steht hinter einem Comeback." Ein solches feierten auch See- und Fischadler, Kraniche und Biber. Letztere wurden in Deutschland aktiv eingebürgert, die Bevölkerung informiert. Obwohl ausgewachsene Tiere so schwer sind wie Rehe und Schäden verursachen, hat es "erstaunlich wenig Probleme gegeben", berichtet Reichholf. Dass sich diese Wildtiere wieder eingelebt haben wäre in der alten BRD nicht möglich gewesen: "Es liegt an der Einstellung der Menschen im Osten. Sie akzeptieren eher, dass größere Wildtiere etwas zum Leben brauchen und kosten."

Einige Versuche Luchse, die vom Böhmerwald herkommen, im Bayerischen Wald und anderen Regionen anzusiedeln, haben bisher nicht geklappt. "Sie werden nach wie vor illegal getötet oder in Fallen gefangen." Ähnliches passierte im Nationalpark Kalkalpen: Dort verschwanden Luchs-Männchen. Ein totes Tier wurde vor Monaten in der Tiefkühltruhe eines Jägers gefunden. Philipp Harmer verurteilt dies, weist aber daraufhin, dass sich "immer schwarze Schafe finden werden."

Das erhoffen sich Experten in der Debatte um Wildtiere künftig: Josef Reichholf wünscht sich mehr Gelassenheit: "Mit weniger Aufregung wäre mehr gewonnen, aber es fällt Menschen schwer, sich nicht zu entrüsten." Kurt Kotrschal: "Unsere Einstellung zu Wildtieren verrät viel über uns. Gesellschaften, die nett zu Tieren sind und die eine Laissez-Faire-Einstellung haben, gehen gewöhnlich auch mit Menschen nett und pfleglich um."