Ich sag’ den Falten lieber hallo
Von Gabriele Kuhn
Also sprach die Dame in der Parfümerie: „Wir hätten da noch ein Gel für Sie. Hilft müden Augen, glättet schlaffe Oberlider.“ Oh!
Es hätte ein netter Vormittag werden sollen. Neues Parfum kaufen, danach Kipferl und Kaffee. Pech. Abends stand ich, wie so oft in den vergangenen Monaten, vor dem Spiegel und spannte mit zwei Fingern müde Augen in Form. Um zu sehen, was wäre, wenn… Zu intensiv gespannt, schaue ich aus wie einer von den „Tri Chinisin if dim Kontribiss“. Ideal gespannt, wirke ich jünger als 58 und ein bissl was. Ich mache das natürlich nur, weil in den Netflix-Serien, die ich konsumiere, kaum eine Frau mit müden Augen vorkommt. Sie alle blicken mit jenem distanzierten Blick, der entsteht, wenn zwischen Oberlid und Braue etwas liegt, das ich vom Skifahren kenne: ein völlig unverspurter Hang. Wie schön.
Das! macht! hässlich!
Ich bin schon lange nicht mehr unverspurt. Ich habe gelacht, geweint, getobt und viel gearbeitet. Ich habe außerdem etwas getan, das Freundinnen stets mit nervösem Aufschrei kommentierten: „Nicht die Stirn runzeln, weil: Das! macht! Falten!“. Ja. Ja. Ja. Alles macht irgendwann einmal Falten. Sogar Sex.
Mir war das lange egal, ich posaunte: Sehet her, ich altere, mir wurscht! Falten sind die Haltestellen der Gesichtszüge, frei nach Heinz Erhardt. Bis eines Tages eine Expertin für ästhetische Medizin zu mir sagte: „Heute müssen Frauen nicht mehr hilflos altern, sondern können proaktiv etwas tun.“ Der Satz ließ mich nicht los. Tatsächlich hatte ich mir zuletzt oft vorgestellt, wie es wäre, würde ich dem Projekt „Verfall“ einen Hauch „proaktiver“ entgegentreten. Was wäre, würde ich mich, wie ein altes Haus, renovieren lassen? Da geht noch was! Doch immer wieder bin ich zu dem Entschluss gekommen: Ich mache das nicht. Fürchte mich davor, Pandoras Büchse zu öffnen. Weil ich zu vielen Frauen begegnet bin, die damit angefangen haben und nicht mehr aufhören konnten. Eingriff kommt, Zweifel bleibt. Also arbeite ich lieber hart daran, mich mit der Zeit zu arrangieren.
Nicht so einfach.
Es war Simone de Beauvoir, die den Prozess des Alterns drastisch beschrieben hat – in ihren Memoiren „Der Lauf der Dinge“. Darin schildert sie, wie sich das einst so vertraute Gesicht im Lauf der Jahre verändert und das junge „Spiegel-Ich“ immer mehr zu etwas wird, das nicht wiederkommt: „Solange ich mein Gesicht ohne Missfallen betrachten konnte, vergaß ich es, es verstand sich von selbst. Jetzt ist alles vorbei. Ich hasse mein Spiegelbild: über den Augen die Mütze, unterhalb der Augen die Säcke, das Gesicht zu voll und um den Mund der traurige Zug, der Falten macht. Die Menschen, die mir begegnen, sehen vielleicht nur eine Fünfzigjährige, die weder gut noch schlecht erhalten ist. Sie hat eben das Alter, das sie hat. Ich aber sehe meinen früheren Kopf, den eine Seuche befallen hat, von der ich nicht mehr genesen werde.“
Ich kann die Wut, den Schmerz nachfühlen. Das Älterwerden hat etwas Hinterhältiges, speziell für Frauen. Männer dürfen das, sie sind selbst mit schlohweißem Haar noch Helden. Nicht die Frauen. Bei denen gilt, trotz fortgeschrittenem Emanzipiertfühlens, immer noch das Prinzip: „Ich verkörpere, also bin ich.“ Der biegsame, glatte Körper und das makellose Gesicht sind Garant für Fruchtbarkeit, Jugend – und: Teilhabe. Wenn sich all das einem Ablaufdatum nähert, beginnt man nicht nur wütend zu werden, sondern zu trauern. Das ist schlimmer denn je, denn „in der Hypermoderne ist der Körper wie niemals zuvor zum Maßstab und Ausdrucksmittel für den weiblichen Platz in der Welt geworden“, heißt es in „Mutprobe. Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden“ von Bascha Mika.
Zwang, zu entsprechen
Dabei haben Frauen in der westlichen Welt mehr Macht, Einfluss und Geld denn je. Auch mehr Freiheit. „Und doch ist ihr körperliches Selbstwertgefühl wahrscheinlich geringer als das ihrer patriarchal gebeutelten Großmütter. Der Zwang, den geltenden Idealen von Attraktivität zu entsprechen, macht einen Teil der gewonnenen Selbstbestimmung wieder zunichte“, schreibt Mika auch. Deshalb ist es so schwierig, am Prinzip „Ich falte, also bin ich – ich!“ mit einem pointierten Witz festzuhalten. Makellosigkeit ist eine harte Währung.
Und so betrachte ich jeden Morgen eine Frau im Spiegel, die sich mit müdem Blick an jene Zeit erinnert, als ein Wimmerl am Hirn ihre einzige Sorge war. Wo sind nur die Stunden geblieben, die Tage, die Jahre?
Manchmal nehme ich das persönlich. Denn so schön die Idee des würdevollen Alterns auch klingen mag und ich Menschen bewundere, die den Fall „Verfall“ für sich lösen können: Ich bin nicht so weit. Noch nicht. Immerhin gelingt es mir zunehmend, nicht völlig zu verfallen, wenn ich im Spiegel neue Schwächen entdecke. Ich stehe da, sage den Falten hallo und lausche, was sie über mich erzählen. Ich sage mir auch: Hey, das bist du, ein Gesamtkunstwerk. Ich versuche einfach, mit mir einverstanden zu sein. Und schau an: Es funktioniert. Von Mal zu Mal ein bisschen mehr.