Leben/Gesellschaft

Hager & Happel: Lachen über den Mutter-Kult

Entweder Ablehnung oder volle Zustimmung – Angelika Hager, profil-Redakteurin und KURIER-Kolumnistin (Polly Adler) polarisiert mit ihrem Buch „Schneewittchenfieber“. Darin warnt sie unter anderem junge Frauen, die sich ins häusliche Idyll zurückziehen, davor, ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Gemeinsam mit Schauspielerin Maria Happel liest sie daraus am 12. 10. um 11 Uhr im Rabenhof. Im Kaffeehaus sprechen die zwei über ihre Töchter – und wie sie sich selbst als Berufstätige mit Kind organisiert haben.

KURIER: Frau Hager, ich muss hier sofort an die Latte-Macchiato-Mütter denken, über die Sie sich ärgern.

Hager: Die Art, wie sie Mutter-Kult betreiben, das ist wie ein Kampfauftrag. Das Kind ist eine Lifestyle-Trophäe. Und dann diese Debatten: Mozart vor der Geburt, während der Geburt. Montessori ja, nein. Ausdruckswetttöpfern (beide lachen).

Happel: Die Kinder haben einen Stundenplan, der mit unserem nicht mehr zu vergleichen ist. Ich weiß nicht wie viele Jahre ich Gummi-Twist gehüpft bin und das war mir genug. Jetzt müssen sie zum Geigen-, Flöten-Unterricht, am besten sollten sie auch klettern. Es wird ihnen sehr viel zugemutet.

Diese Mütter widmen ihr ganzes Leben der Familie. Was ist gefährlich daran?

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Hager:Ich finde dieses Lebenskonzept im 21. Jahrhundert problematisch. Mittlerweile wissen wir, wie schnell Partnerschaften ausgetauscht, entsorgt und neu aufgestellt werden. Es gibt ja nicht zwei, sondern Drittfamilien - wenn sich der Mann in die 25-jährige Yogalehrerin – die soll mir jetzt nicht böse sein -, es kann auch die 30-jährige Tai-Chi-Lehrerin oder das ausgeschamte Vorzimmerluder sein, verliebt. Männer tendieren schnell dazu ihre Konstrukte in die Luft zu sprengen. Ich sage nicht, dass das Frauen nicht auch tun, aber wesentlich weniger als Männer. Wenn man dann eine Teilzeitbeschäftigung gewählt hat oder jahrelang in der Karenz war und nicht mehr diese Wettbewerbsfähigkeit hat, kann das für Frauen ein ziemlich grausames Erwachen sein. Deshalb finde ich es gefährlich, wenn man so eine selbstgewählte Abhängigkeit begibt. Dem sind sie sich nicht gewahr, wenn sie stolz geschwängert mit dem Bugaboo(Kinderwagen-Marke, Anm.)und dem Zweitkind Macchiato schlürfend durch den Rochusmarkt touren (lacht herzhaft).

Bei manchen Frauen klappt es aber, die finden darin Erfüllung.

Hager: Wenn sie es gerne wollen, wenn sie es sich leisten können und ein großes Vertrauen in ihren Ehevertrag haben, sollen sie das gerne probieren. Ich will niemandem mein Lebenskonzept aufdrängen.

Happel: Es gibt sicher Frauen, die darin aufgehen und glücklich sind und es funktioniert. Aber es gibt auch eine andere Generation, die sagt: Nee, wir grenzen uns ab.

Frau Hager, Sie schreiben ja, dass vor allem junge Frauen wieder zu Hause bleiben wollen. Liegt es daran, weil sie bei ihren Müttern gesehen haben, wie sie sich abgekämpft haben?

Hager: Das ist ein starkes Phänomen. Ich habe mittlerweile sehr viele Briefe bekommen, eine Mutter schreibt etwa, dass ihre Tochter heiraten und drei Jahre zu Hause bleiben will. Sie fragte, was haben wir nur falsch gemacht?

Sie sind beide Mütter und haben Töchter – wie denken die darüber?

Happel: Bei Paula (17 Jahre, Anm.) ist es undurchsichtig, da weiß ich nicht, was sie für einen Plan hat. Die Kleinere, demnächst Teenager, sagt zum Beispiel, dass sie sicher mit 22 Jahren heiraten will.

Hager: Wirklich? Schneewittchenfieber

Happel: Sie möchte auch drei Kinder haben, nicht zwei.

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Hager:Sie muss dich übertrumpfen, natürlich (lacht). Natürlich haben unsere Töchter gesehen, dass wir uns ziemlich abgestrudelt haben. Ich glaube, dass meine Tochter, in dem Moment wo sie ins Arbeitsleben einsteigt – sie macht jetzt eine Fachhochschule und Praktika, das findet sie auch toll –, gerne arbeitet. In ihrem Konzept wäre das überhaupt nicht denkbar, dass sie jetzt fünf oder drei Jahre daheim bleibt. Wenn sie es tut, soll sie es machen, aber ich denke mir, es ist schade, weil jeder Mensch ein Talent hat. Die Kinder werden einmal groß. Mutterschaft ist nur ein Teil einer Frauenbiografie. Wenn die Kinder dann ausziehen und der Mann knapp vor der Pension steht, plötzlich viel nachdenken muss und sich eine Wohnung nimmt – was ist dann? Es klingt alles sehr klischeehaft, aber die Klischees sind deshalb Klischees, weil sie sehr oft passieren. Eine 30-Jährige hat unlängst zu mir gesagt – ich muss ja nicht arbeiten. Da habe ich mir gedacht. Dieser Satz: "Ich muss ja nicht arbeiten" hat auch so etwas Verräterisches, das ist so antiquiert. Früher um die Jahrhundertwende, auch in den 1950er Jahren war es quasi eine Bankrotterklärung für die Fähigkeit des Mannes als Versorger, dass er die Familie nicht erhalten konnte. Frauen mussten nicht arbeiten gehen, aber arbeiten kann schön sein. Man kann arbeiten gehen wollen, es ist wichtig um sich abzusichern, seine Pensionsjahre zu kriegen.

Ich habe das Gefühl, dass vielen Frauen eine feministische Gallionsfigur fehlt. Ganz ehrlich, die nachfolgende Generation junger Frauen kann mit einer Alice Schwarzer nicht viel anfangen.

Hager: Das verstehe ich, das ist zu weit weg. Mit der habe ich mich schon anfreunden müssen. Ich konnte lange nichts mit ihr anfangen, bis ich sie getroffen habe und als amüsant und selbstironisch empfunden habe. Es gibt wenige, das ist ja die Tragödie. Es gibt ein paar Plattformen, wie etwa "missy", das ist eine deutsche Online-Sache, es gibt auch diese "Femen", oder eine Katja Kullman, die vor Jahren das Buch "Generation Ally" geschrieben hat. Es war auch der Leidensdruck nicht sehr groß, es ist eh alles so business as usual. Wozu noch kämpfen, die großen Schlachten sind schon geschlagen? In den 1970er, 1980er Jahren ist im Feminismus wirklich viel weitergegangen. Wenn man bedenkt, dass Männer noch Haushaltsvorstände waren. Es ist erst 1972 die große Scheidungsreform gekommen. In den letzten 10, 15 Jahren bewegen wir uns aber erstaunlich wenig. Und, wenn wir uns die Zahlen anschauen sieht man, dass die Schlachten noch nicht geschlagen sind. Die Prozentsätze von Karenzvätern sind niedrig, die Lohnscheren hoch, es gibt wenig Betreuungsplätze.

Frau Happel, Sie und Ihr Mann sind beide Schauspieler. Wie funktionierte bei Ihnen die Betreuung der Kinder?

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Happel:Mein Mann war eine riesengroße Stütze, vor allem wenn man keine Familie hat, die ist in Deutschland. Ich hatte immer eine meiner Nichten, die in Wien studiert und bei uns gewohnt haben. Das hat sich zu so einer Art Großfamilie entwickelte. Damit ging das immer sehr gut. Dann, im Theater, war das Kind mit. Ich habe es kurz vor und sofort nach der Vorstellung gestillt. Die Kostümdame hat überall Klettverschlüsse gemacht, damit das schnell aufging. Ja, man wird halt erfinderisch.

Hager: Die Maria hat einen Luxus, den wirklich wenige Frauen haben. Du hast einen Mann, der sich wirklich fantastisch bei den Kindern einbringt und daraus keine Theaternummer veranstaltet, wie das viele machen. Es gibt auch eine andere Spezies von Männern, die mit dem Kind in die Aufsichtsratssitzung gehen und alle sagen, ach wie toll ist der denn. Die dann so eine Inszenierung aus dieser Vaterschaft machen, die eh zeitlich sehr limitiert ist. Die sehen sich alle so als Brad Pitt (lacht). Das hat etwas Lachhaftes.

Sie waren Alleinerzieherin.

Hager: Ich hab jongliert, Großmütter aktiviert, ein Au-Pair-Mädchen bei mir wohnen gehabt. Ich bin halt immer so wie jetzt durchs Leben gestolpert (lacht). Ich hatte aber auch nur ein Kind. Ab einem gewissen Zeitpunkt wird es auch leichter.

Haben Sie ihren Kindern gegenüber manchmal ein schlechtes Gewissen gehabt?
Hager: Natürlich, das habe ich immer gehabt, du auch Maria? Ständig schlechtes Gewissen, dass man nicht ganz pünktlich bei der kleinen Raupe Nimmersatt im Kindergarten zum Weihnachtsspiel angetanzt ist, während alle Vatis schon mit dem Camcorder dort gestanden sind (lacht).
Happel: Oder alleine wie viele Elternabende ich verpasst habe…Da war meistens Vorstellungszeit.

Kinder, Karriere oder beides. Viele junge Frauen sind verunsichert, wie sich die Familienbetreuung am besten gestalten lässt.

Hager: Ich habe den Eindruck, dass sie das Gefühl haben sich für das eine oder andere entscheiden zu müssen. Ich habe gar nicht drüber nachgedacht, natürlich wollte ich ein Kind haben, gerne auch zwei, das hat sich nicht ergeben. Natürlich wollte ich mein Talent ausleben. Es gibt viele Frauen, die unter prekären Verhältnissen arbeiten. Wie will man mit wenig Geld, wenn man alleinerziehend wäre, eine Miete, ein Kinder finanzieren und lange in Karenz gehen? Das geht ja gar nicht. Für Kinder im Alter von 1-3 Jahren ist es wahnsinnig schwierig einen Betreuungsplatz zu finden, am Land noch viel mehr. Der Staat lässt hier ziemlich aus. Es fehlen in Österreich 80.000 Plätze für 1-3-Jährige. Der Bedarf wäre ein viel größerer.
Happel: Das ist natürlich in Frankreich besser geregelt. Da können die Frauen arbeiten und drei bis vier Kinder bekommen, dort siehst du auch dauernd Kinder. Da ist einfach ein anderer Umgang.

Hager: Und du wirst nicht schief angeschaut, wenn du das Kind mit sechs Monaten in die Kinderkrippe bringst. Während du hier noch mit Argusaugen betrachtet wirst, zum Thema Rabenmutter, die die wichtigsten Jahre verschenkt und vergeudet.

Was ist Ihr Rat an junge Frauen?

Hager: Es wird auf das rauskommen, dass sich die Leute mit Tausch-Aktionen organisieren. Tauschkreise gibt es ja bereits. So wie der Fleischer sagt, okay, du bekommst eine Rinderhälfte, dafür repariert mir der Installateur die Heizung. Im Zuge dieser Wirtschaftskreise gibt es erfinderische Lebensstile. Ich denke mir, es kann sich nicht jeder die tollen Montessori-Ganztagskindergärten leisten, die bei manchen schon ein Drittel des Gehalts verschlingen würden. Da muss man halt eine Truppe gründen und sagen: Passt auf, wir machen das im Radl.

Happel: Oder es gibt eine Tagesmutter, die man sich teilt. Dieses Modell kenne ich von uns im Theater. Von Schauspielerinnen, die zu den Proben gehen und ihr Kinder bei derselben Tagesmutter abgeben. Das sind fünf Kinder, die dort zusammen aufwachsen und nach der Probe wieder abgeholt werden, das ist fantastisch.

Die Themen drehen sich seit den vergangenen Jahrzehnten im Kreis: Lohnschere, mangelnde staatliche Kinderbetreuung, Väter-Monat etc. Nur drei Prozent der Männer gehen in Karenz. Wo stehen wir in dreißig Jahren?
Hager: Gendermäßig werden sie sich noch immer aneinander abarbeiten. 2000 Jahre Patriarchat sind nicht mit 150 Jahren auszumerzen. Es gibt Prognosen, die zeigen das wir erst 2154 davon ausgehen können, dass es eine Gleichberechtigung auf jedem Level geben wird. Das heißt wir sind noch lange nicht dort, wo wir hingehören sollten. Das wird sich noch länger im Kreis drehen. Wenn sich jetzt ein bisschen etwas tut, bin ich froh.

Was muss passieren?

Hager: Es müssten sich in den Fraktionen die Frauensprecherinnen stärker machen. In den Betrieben müssten sich die Frauen auf ein Packl hauen und Betriebskindergärten einfordern. Ganztagsschule sollte kein Thema mehr sein. Wenn dann sollten alle gehen, sonst ist es der Krieg der Kinder. Die einen müssen dort im Hort bleiben, die anderen dürfen schon nach Hause gehen. Die Ferien sollten gestückelter sein, aber nicht in dieser entsetzlichen Länge. Welche Mutter kann drei Monate – außer Lehrerinnen – so viel Urlaub nehmen? Bei meiner Mutter ging das, weil sie eben Lehrerin war. Die langen Ferienmonate kommen noch aus der Bauernzeit, wo die Kinder bei der Heuernte geholfen haben. Für alleinerziehende Mütter ist das heute eine besonders große Herausforderung.

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Buchtipp:Schneewittchenfieber: Warum der Feminismus auf die Schnauze gefallen ist und uns das Retro-Weibchen beschert hat, von Angelika Hager, Kremayr & Scheriau Verlag, 22,90 €