Leben/Gesellschaft

RunNa: "Vergiss nie, dass du es tust, weil du es liebst"

„Denn im Rennen interessieren die Trainingsstunden, die du angehäuft hast, keinen.“ Der Satz stammt von Jan Frodeno. Ich hatte ihn am Samstag, einen Tag vor dem Frauenlauf, in seinem neuen Buch aufgeschnappt. Ich lese gerne Bücher von Profisportlern. Das Training, ihr Leben interessieren und faszinieren mich. Man kann immer etwas für sich selbst mitnehmen. So auch an diesem Samstag, einen Tag vor dem Tag X. 16 Wochen Training waren vorbei und nun sollte es also soweit sein: Frontalangriff auf eine neue persönliche 10er Bestzeit im Rahmen der 10k Challenge beim Österreichischen Frauenlauf. Egal wie gut das Training auch gelaufen ist, wie sehr ich bei Intervallen gekämpft und die Zähne zusammengebissen habe, schnurzpiepegal. Morgen heißt es abliefern. Punkt.

„Du hast so super trainiert. Du schaffst das. Wir machen das“, sagt Simone. An ihrem Handgelenk ist ein Luftballon befestigt, auf dem groß zu lesen ist: 48:00. Simone war im vergangenen Jahr bei der 10k Challenge dabei, in den vergangenen zwölf Wochen Frauenlauf-Trainerin am Schwedenplatz und ist hier und heute Pacemakerin für eine Zielzeit von unter 48 Minuten. Meine insgeheime Wunschzeit, auf die ich seit vier Monaten hintrainiert hatte. 48:47 habe ich als Bestzeit auf zehn Kilometer stehen. Eine Verbesserung auf 47:30 könnte drin sein, verriet der Feldtest. Doch für eine PB muss eben alles passen. Die Beine und der Kopf, der in den vergangenen Wochen leider andere Sorgen hatte und immer noch hat, als eine neue PB. 

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Aber zurück zum Startblock, in dem ich nicht nur von Simone, sondern auch von den Mädels um mich herum bestärkt wurde. „Wir schaffen das gemeinsam“, lautete das Motto. Bereits zuvor wurde ich immer wieder angesprochen. Ich wurde erkannt und freute mich mit der einen oder anderen Teilnehmerin zu plaudern. 

Ich schaue auf die Uhr. Drei Minuten noch bis zum Start. Mein Blick schweift zur Bühne. Neben der Moderatorin steht Sportmediziner Robert Fritz von der Sportordination, der uns 10k Challenge Mädels gemeinsam mit Trainer Michael Koller die vergangenen Monate begleitet hatte. Er winkt mir zu und zeigt Daumen nach oben. Ich nicke und zeige ebenfalls meinen Daumen nach oben. Eigenartig. Ich bin gar nicht so nervös wie sonst. Mein Vorsatz: Einfach laufen lassen. So lange wie es geht auf PB laufen. Mit 4:52 am Kilometer wäre ich bereits im grünen Bereich. Dennoch will ich versuchen mit Simone mitzugehen. 47:30 ist laut Mike drin. Wie war das: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Was hatte ich denn schon zu verlieren? Nichts. 

Gemeinsam sind wir stark

„Also Mädels. Wir laufen den ersten Kilometer in etwa 5:00. Keine Sorge, das ist zwar langsamer als die Zielpace, hat aber den Vorteil, dass bei euch nicht schon am ersten Kilometer das Laktat voll einschießt.“ Simone gibt letzte Anweisungen. Wir sind ca. zehn Mädels, die dem roten Ballon folgen wollen. Oh cool, denke ich. Sich am ersten nicht schon abschießen, das passt perfekt. Denn richtig hart wird’s für mich, wenn es gegen und vor allem unter 4:45 geht. 

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Und dann geht alles sehr schnell. Der Startschuss fällt und mit ihm fetzen die ersten vorne weg. Es ist sehr dicht am Anfang und schwierig einen Rhythmus zu finden. Unsere Gruppe will zusammenbleiben, keine will den Anschluss verlieren. Da ist sie auch schon, die 500 Meter Tafel. Ich trage zwar wie immer meine Uhr, schaue aber kein einziges Mal drauf. Stattdessen laufe ich einfach dem roten Ballon hinterher. Es läuft, fühlt sich super an. Gemeinsam sind wir stark. Es ist das erste Mal, dass ich mir sozusagen das Tempo machen lasse. Bisher hatte es irgendwie noch nie geklappt – entweder weil ich keine passende Zielzeit für die vorhandenen Pacemaker hatte, oder, weil gar keine Pacer vorhanden waren. Dementsprechend bin ich begeistert wie „einfach“ es sich anfühlt. 

Auf dem Weg zum Lusthaus kommen uns bereits wieder die ersten Läuferinnen entgegen. Jubel bricht aus. Wir feuern sie an und beklatschen sie. Darunter ist auch Bianca. Ebenfalls eine ehemalige 10k Challenge Teilnehmerin. Unsere Blicke treffen sich, wir nicken uns zu, zeigen beide den Daumen nach oben. Bereits in der Vorbereitung ist sie mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Jetzt auf der Strecke gibt's durch ihre Bestärkung noch einmal einen ordentlichen Motivationsschub. 

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„Ups, wir sind etwas zu schnell. Aber macht nichts, jetzt pendeln wir uns ein“, sagt Simone. Wir haben gerade den ersten Kilometer erreicht. Ich drücke die Lap-Taste und mein Blick fällt zum ersten Mal auf meine Uhr: 4:35 steht da. Ups. Wie war das mit dem ersten Kilometer? „Oh oh“, denke ich. Das ist zu schnell für mich. „Aber mir geht’s super“, verdränge ich auch gleich Bedenken, die sich breit machen wollen. Es rollt nur so dahin und ich merke die Pace gar nicht. Kilometertafel zwei. Lap-Taste drücken. Schauen. 4:44. „Na bitte, schon besser. Und mir geht’s super“, freue ich mich. Ich bin motiviert bis in die Zehenspitzen. Von Blei vom Laktat weit und breit nichts zu spüren. 

Believe in you

„Los, bitte meine Mädels anfeuern, die machen das super.“ Simone motiviert die Zuschauer am Straßenrand ein bisschen Stimmung zu machen. „Ich macht das wirklich toll. Es wird gegen Ende ein bisschen weh tun. Aber da müssen wir durch, das schaffen wir“, sagt sie. Keine von uns reagiert. „Weh tun... oh no, I know“, denke ich und so schnell kann ich gar nicht schauen, ist es plötzlich da: das Laktat. 

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Nach dem vierten Kilometer habe ich Mühe mit der Gruppe mitzuhalten. Der Ballon entfernt sich immer mehr. Die Sonne knallt unerbittlich auf unsere Köpfe und mir ist mittlerweile so heiß, dass ich am liebsten ins Heustadelwasser neben der Strecke gesprungen wäre. Beine und vor allem Lunge brennen. Ich kämpfe. „Natascha, du schaffst es!“, höre ich jemanden rufen. „Wasser, ich brauche Wasser“, denke ich nur und dann wieder „Conceive. Believe. Achieve. Enjoy.“ So steht‘s auf meiner Hand. Von enjoy war längst keine Rede mehr, aber: Believe in you. „Komm schon, zieh’s durch“, denke ich und versuche weiter die Pace zu halten. „Scheiße, mir ist so heiß“, drehen sich meine Gedanken im Kreis. Doch nicht nur die Gedanken. Ich merke, wie mein Kreislauf zu versagen beginnt, höre die Zuschauer nur noch gedämpft – wie in einer anderen Welt. Mir wird leicht schwarz vor Augen. „Vielleicht ist’s ja gleich wieder weg“, versuche ich positiv zu denken. Aber es wird statt besser, schlimmer. In meinen Ohren summt es und dann ist’s vorbei. 

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Ich sitze am Rand der Strecke im Schatten. Es ging nichts mehr. Ich vertrage Hitze leider überhaupt nicht, bin daher die vergangenen Jahre beim Frauenlauf immer nur die fünf Kilometer gelaufen, weil es danach in der Regel für mich einfach nur noch unerträglich heiß ist. „Nie wieder die zehn“, hatte ich mir einmal geschworen, als ich kurz vorm Ziel beinahe kollabiert bin. Tja. Sag niemals nie. Die 10k Challenge war eine einmalige Chance, die ich nutzen wollte und ich freute mich riesig, als das Mail mit der Zusage in meinen Posteingang flatterte. Und nun? Da sitze ich also. Am Rand der Hauptallee, wo ich in den vergangenen 16 Wochen so fleißig für diesen Lauf trainiert hatte. Die PB ist mir in dem Moment gar nicht mehr wichtig. Stattdessen denke ich an all die Leute, die mich zuletzt bestärkt und motiviert haben und meinen Spendenlauf unterstützen wollten. „Ach wie peinlich“, denke ich und kämpfe mit den Tränen. „Hey, ist es auch nicht dein Tag?“ Ich schaue auf. Eine Läuferin hat sich neben mich gesetzt. Ich erkenne sie, denn sie war ebenfalls in unserer Gruppe dabei. „Nein leider, mir ist viel zu heiß. Mein Kreislauf spinnt total“, sage ich. „Mir geht’s auch nicht gut. Ich musste abreißen lassen. Magst gemeinsam langsam ins Ziel laufen?“, fragt sie. „Gern.“ 

"Eh scho wurscht"

Knapp vier Kilometer sind es noch, die wir gemeinsam laufen. Wir plaudern übers Laufen, das Training, unsere Ziele. Zwei Mal machen wir eine Gehpause, einmal zum Trinken, einmal einfach so. „Weil’s eh scho wurscht ist“, sind wir uns einig und lachen. Es geht beim Frauenlauf eben um mehr, als nur um persönliche Bestzeiten. Gemeinsam sind wir stark. Auch ohne Vollgas zu geben. Die letzten 500 Meter. „Ich möchte nochmal Gas geben. Wir treffen uns im Ziel“, sagt Susi. „Ja klar, mach nur", sage ich und schon flitzt sie davon. Wenig später überquere auch ich die Ziellinie. Statt der angepeilten Sub 48:00 wurden es im Endeffekt 55:05. Klar war ich nicht mega happy darüber. Immerhin hatte ich viel investiert. Aber auch nicht traurig. Ganz und gar nicht. Denn ein echter Wettlauf gegen die Zeit findet eigentlich außerhalb des Praters statt. Von dem her, shit happens. 

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„Du bist aber nicht auf eine 55er Zeit angrennt?“, fragt Robert Fritz und schaut mich ein bisschen verwirrt an. „Nein, natürlich nicht“, sage ich lachend und beginne zu erzählen... In unserem Gespräch verrät er mir, dass ich wohl ein bisschen einzigartig bin. „Wir hatte in all den Jahren, bei all unseren Testungen noch nie so niedrige Laktatverträglichkeitswerte wie bei dir.“ Ah ha. Na super. Dann erklärt er mir, dass das in den Genen liegen würde. Ich durch meine Vorfahren, die allesamt körperlich gearbeitet hatten, geprägt wurde. „Da ging es nicht darum schnell zu sein, sondern lange durchzuhalten. Das haben sie dir mitgegeben.“ Tja, ich liebe eh das Marathonlaufen. Aber sie hätten ja auch im Eiltempo übers Feld flitzen können... 

Dankeschön

„Denn im Rennen interessieren die Trainingsstunden, die du angehäuft hast, keinen.“ Stimmt. Und natürlich könnte ich mir jetzt auch denken, wozu waren die vier Monate Training eigentlich gut, wenn’s am Ende nicht klappt? „Vergiss nie, dass du es tust, weil du es liebst“, um wieder Jan Frodeno zu zitieren. Ja ich liebe das Laufen. Auch ohne bestandener 10k Challenge. Zumindest gab’s anstatt der 10k eine neue inoffizielle 5k PB. Ist ja auch was. Die Richtung stimmt also. Und das nächste Rennen kommt bestimmt. 

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An dieser Stelle ein großes Dankeschön an das Team des Österreichischen Frauenlaufs, allen voran Ilse Dippmann, sowie Robert Fritz und Michael Koller von der Sportordination, die mir diese Chance ermöglicht haben. Es waren tolle vier Monate – danke! Gratulation an meine beiden 10k Challenge Kolleginnen Vicky und Sarah, die das Ding durchgezogen haben und zur neuen PB gelaufen sind.

Und zu guter Letzt ebenfalls ein großes Dankeschön an alle, die meinen Spendenlauf unterstützen wollten bzw. auch tatsächlich, trotz meiner Niederlage, unterstützt haben. Ihr seid großartig, danke, danke danke! Ich selbst habe am Tag nach der Challenge einen Euro pro Sekunde für die Zeit gespendet, die im besten Fall möglich gewesen wäre: für 47:30. Macht 150 Euro für die Krebshilfe.

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Neue Wege

Alles hat einmal ein Ende. Wie die 10k Challenge am 27. Mai zu Ende gegangen ist, geht nun auch meine Tätigkeit hier auf kurier.at als RunNa zu Ende. Das war der letzte Blogbeitrag an dieser Stelle. Wer meine Beiträge gerne gelesen hat, kann dies aber auch weiterhin tun, denn RunNa wird es auch zukünftig jede Woche geben. Nur eben an anderer Stelle. Details dazu gibt es demnächst hier verlinkt bzw. in meinem Profil sowie diversen Social Media Laufgruppen auf Facebook nachzulesen. Also, folgt mir weiterhin - würde mich freuen!

UPDATE: Natascha Marakovits Laufaktivitäten können Sie künftig unter runna.at verfolgen.