Erschöpfte, aber glückliche Schüler
Von Ute Brühl
Es ist still im Klassenzimmer. Jede Schülerin, jeder Schüler konzentriert sich nur auf seine Aufgaben. Geschwätzt wird nicht. Und wenn geredet wird, dann nur über die Aufgaben und den Lernstoff.
Ein Mal pro Woche gibt es in der HAK Ybbs "COOL"-Stunden: Statt Frontalunterricht steht Offenes Lernen auf dem Stundenplan. Manche Schüler der 1BK und 2AK bleiben in der Klasse, andere gehen in die Bibliothek oder den EDV-Saal.
Die Schüler haben fünf Stunden Zeit, um die Aufgaben zu lösen, die die fünf Fachlehrer vorbereitet haben. In Französisch müssen sie ihren Heimatort beschreiben, in Rechnungswesen Betriebskosten verbuchen.
Französischlehrerin Klaudia Panstingl kennt die Praxis: "Die Vor- und Nachbereitung ist sehr intensiv. Ich muss mir genau überlegen, was die Schüler in einer Stunde schaffen können. Und ich muss die Anweisungen so formulieren, dass die Schüler sie auch verstehen. Am Nachmittag muss ich dann alle Zettel korrigieren."
Der Machatschek
Die meisten Schüler sind begeistert von dieser Art des Lernens - zum Beispiel Johannes: "Ich bin ein Machatschek und lerne lieber allein. Ich lasse mich nicht gerne berieseln." Tischnachbar Maurice nennt einen weiteren Vorteil: "Was man sich selber beigebracht hat, das bleibt viel besser sitzen."
Die Französischlehrerin kann dass nur bestätigen: "Die Schüler mussten einmal alle Zahlen von 1 bis 999 lernen. Am anderen Tag saßen die. Da war ich erstaunt." Wer auf Französisch zählen kann, staunt mit.
Und weil es anstrengend ist, ist nicht jeder bzw. jede glücklich: "Der pure Stress", meint ein Mädchen. "Es fällt mir schwer, Ordnung zu halten. Wenn ein Zettel fehlt, gibt es Punkteabzug."
Lücken erkennen
Die meisten sehen aber die Vorteile: "Du musst mehr mitdenken als im Frontalunterricht und merkst so schneller, was du nicht verstehst", sagt Sandra. Und Sarah hat nach sechs Monaten gelernt, "immer die Angaben genau zu lesen, bevor ich mich an die Arbeit mache." Eine gute Vorbereitung auf die Zentralmatura, wo es darauf ankommt.
Mittlerweile arbeiten zehn Kollegen in Ybbs nach dem Konzept. "Wir mussten unseren eigenen Weg finden. An jeder Schule sieht das offene Lernen anders aus", sagt Maurer. "Wir besuchten andere Schulen und übernahmen die Ideen, die wir für geeignet hielten." Wichtig ist den Pädagogen, den Unterricht stets weiterzuentwickeln: Nach dem "COOL"-Tag treffen sich die Lehrer, um zu rekapitulieren, was gut gelaufen ist und was nicht.
Ein "großes Glück" ist für die motivierten Pädagogen, dass sie mit ihren Ideen beim Direktor und der Administratorin auf offene Ohren stießen: "Der Stundenplan musste umgestellt, Räume zur Verfügung gestellt werden." Ein Aufwand, der sich lohnt: "Kollegen sagen mir, dass die COOL-Klassen selbstständiger arbeiten", sagt Maurer.
Interview mit Georg Neuhauser. Der Psychotherapeut und HAK-Lehrer in Pension hat die Initiative COOL (cooperatives offenes Lernen) mitbegründet. Jetzt könnte das Projekt scheitern, weil die Mittel fehlen.
KURIER: Wie entstand die Idee, COOL einzuführen?
Georg Neuhauser: Das Konzept ist aus der Not heraus entstanden. Wir Lehrer sahen uns mit einer sehr heterogenen und anspruchsvollen Handelsschulklasse konfrontiert. Meine Kollegen und ich hatten die Idee, uns am Daltonplan, einem reformpädagogischen Konzept, zu orientieren.
Wie veränderte sich dadurch der Unterricht?
Wir haben die Schüler ins Zentrum gerückt. Das heißt: Wir haben den Frontalunterricht reduziert und die Schüler zum offenen Lernen angeleitet. Diese haben selbstständiger und selbstverantwortlicher gelernt – jeder nach seinem Tempo. Die disziplinären Probleme, die es zuvor gab, waren weg. Der Vorteil für uns Lehrer: Wir waren nicht mehr Einzelkämpfer, sondern als Team für die Klasse verantwortlich.
Wie viele "coole" Schulen gibt es in Österreich mittlerweile?
Es gibt 75 zertifizierte Schulen – 100 bis 150 arbeiten nach dem Konzept. Jedes Jahr kommen weitere dazu.
Sie beklagen, dass COOL an den Finanzen scheitern könnte.
Ja. Bisher erhielten wir vom Ministerium 30.000 Euro im Jahr sowie 44 Werteinheiten ( zwei Lehrerstellen, Anm.). Diese werden um 30 Prozent gekürzt und das Budget ist nicht gesichert. Wir benötigen das Geld für Projektentwicklung, Netzwerktreffen, Tagungen etc. Die angedrohten Kürzungen stellen unsere Arbeit grundsätzlich infrage.
Das Cooperative Offene Lernen startete 1996 in der HAK Steyr: Schüler arbeiten mit schriftlichen, oft auch fächerübergreifenden Arbeitsaufträgen – bis zu einem Drittel der Unterrichtszeit sind COOL-Stunden. Der Schüler hat dann die Freiheit, die Aufgabe zu erledigen wann, wo und wie er will. Die Lehrer arbeiten in Teams und verstehen sich als Coaches.
Tagung in Wien
Die Jahrestagung des COOL- Impulszentrums findet heuer vom 7. bis 10. April in der AK Wien, Prinz-Eugen-Straße 20-22 statt.
Die Auftaktveranstaltung am Montag wird von ORF- Moderatorin Claudia Stöckl moderiert und ist öffentlich. Teilnehmer werden u.a. Caritaspräsident Michael Landau und Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier sein. Titel: "Der Blick über den Tellerrand".
Weitere Infos und Anmeldung: www.cooltrainers.at