Wie man Körper und Seele in Einklang bringt
Von Ingrid Teufl
Schule, Beruf, Partner – Entscheidungen prägen das Leben. Und viele Menschen stellen sich gerade in schwierigen Situationen die Frage nach dem "richtigen" Weg: Hat der Verstand oder das Herz recht? Weder noch, betont Georg Fraberger, Psychologe im Wiener AKH: "Man kann etwas anderes denken, als man fühlt." Wie Verstand und Herz mit den Reaktionen des Körpers in Einklang zu bringen sind, beschäftigt den 43-Jährigen, der ohne Arme und Beine geboren wurde, seit Langem. Im Gespräch über sein neues Buch erklärt er, was wir von unangenehmen Gefühlen lernen können, warum für ihn eine Seele existiert und wie man Entscheidungen trifft, die einem guttun.
KURIER: Sie sagen, die harmonische Verbindung von Körper, Verstand und Herz ist wesentlich für ein ausgeglichenes Leben, in dem man mit sich im Reinen ist.
Georg Fraberger: Alles, was wir verstehen können, empfinden wir als richtig. Wenn wir die Kunst, die Musik, die Berufs- oder Partnerwahl betrachten, sollten wir von diesem Verstehen wegkommen. Es sind auch Lebensweisen richtig, die wir nicht verstehen. Ich denke, es ist sehr wichtig, das Gefühl wieder einzuschalten und zu sagen: Wenn der andere das Gefühl hat, es ist richtig, sollte ich es auch richtig finden.
Was ist überhaupt ein Gefühl?
In unserer Gesellschaft flüchtet man ja nur zu gerne.
In der Praxis erlebe ich oft, dass ein Klient ein Gefühl, etwa seine Angst, loswerden will. Aber jedes Gefühl hat eine Aufgabe. Ich thematisiere im Buch, dass man alle Gefühle gleich wichtig nimmt und schaut: Warum habe ich jetzt Angst? Das heißt, nicht über das Gefühl reden, sondern überlegen, warum es gerade jetzt da ist. Wenn man ein Problem an der Wurzel packt, dann geht es eigentlich um die Spannung.
Welche Rolle spielt in diesem Konzept die Seele? Gibt es sie überhaupt?
Meines Erachtens ist die Seele nicht religiös geprägt. Es ist einfach diese Energie, die in jedem Einzelnen von uns steckt. Wenn es sie also tatsächlich geben sollte, steckt diese Energie in jeder einzelnen Zelle. Damit ist sie im Gehirn genauso wie im Körper. Die große Schwierigkeit, der man als Psychologe begegnet, ist: Man kann etwas anderes denken, als man fühlt. Dieser Prozess heißt Abspaltung. Man kann sich tatsächlich nicht mehr spüren, man schafft es, etwas auszuschalten. Deshalb ist es so wichtig, Ich zu werden, wo Denken und Fühlen eine Einheit bilden.
Warum fällt das vielen Menschen so schwer, dass sie in Lebenskrisen schlittern?
Es ist eine Frage der Erziehung, mit welchen Werten man aufgewachsen ist. Wenn wir einen Wert übernehmen, sitzt der auch im Körper. Schuld und Scham sind mit Sicherheit die größten Probleme, die wir immer noch haben. Sie können als Entscheidungsbremse wirken. Wenn ich weiß, ich darf oder soll etwas nicht, tut es mir auch weh im Körper und er reagiert. Es funktioniert genauso in die andere Richtung: Andere sind oft ein Spiegel für uns, deshalb glauben wir ja, sie sind schuld – weil sie uns etwas spiegeln und wir nicht darauf achten, was wir aussenden.
Oft kommt man also in Konflikt mit der Gesellschaft?
Streng genommen kommt das eine Individuum in Konflikt mit dem anderen Individuum. Das heißt: Wie werde ich Ich, wenn ein Mensch Sorge hat, von anderen nicht gemocht zu werden und sich nicht mehr traut, Nein zu sagen. Wenn die Selbstsicherheit so groß ist, trotzdem zu sich zu stehen, dann traut er sich auch, Nein zu sagen. Es geht da viel weniger um den Konflikt mit der Gesellschaft, sondern um den Konflikt mit dem eigenen Selbstwert.
Das Thema "sich selbst ausprobieren" ist Ihnen wichtig.
Ja, damit kommt man in das Leben hinein: Wie schafft man es, Gefühle nicht nur auszudrücken, sondern auch zu erleben. Als Psychologe lerne ich mittlerweile viele Menschen kennen, die viel mit dem Handy unterwegs sind und auch über das Internet kommunizieren. Die sitzen ganz teilnahmslos da und sagen L-O-L (engl. laughing out loud; laut auflachen). Sie sagen, was sie fühlen, ohne den Körper mit einzubeziehen. Man muss schon das Erleben in den Alltag einbringen. Ich glaube, anders geht es nicht. Sonst wissen wir nicht, wer wir sind. Wenn ich immer gleich da sitze, egal ob ich lustig oder traurig bin – das kann nicht mehr stimmen. Da entwickelt man auch kein Mitgefühl.
Nimmt das zu?
Ja, das ist eine Thematik, die stärker wird, weil sie erlaubt, dass man nicht so schnell verletzt wird. Und weil sie erlaubt, den Kränkungen – scheinbar – aus dem Weg zu gehen. Im Internet Freunde zu suchen, die einen akzeptieren, ist eine andere Welt, als mit ihnen zu leben. Denken, fühlen, das Seelische – das kann kein Algorithmus nachvollziehen.
Warum sind so viele Menschen in einer Zeit der Fülle so unglücklich?
Es wird nicht mehr zwischen Glück und Freude getrennt, glaube ich. Jeder muss, unabhängig von der materiellen Fülle, einen Sinn für sich finden.