Leben/Gesellschaft

Öl: Der Goldrausch rund um den Nordpol

In mehr als vier Kilometer Tiefe unter dem Nordpol steht eine Flagge. 2007 gelang russischen Forschern eine Meisterleistung: Sie tauchen zum Meeresgrund der Arktis ab. Hinter der Aktion stand weniger Forscher-Ehrgeiz, als vielmehr eine Machtdemonstration: Aus rostfreiem Titan soll die Fahne dort vom Anspruch Russlands auf den Nordpol künden und den Zugriff auf die in der Arktis vermuteten Bodenschätze sichern.

Öl

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In zwanzig bis 50 Jahren könnte die Arktis zumindest im Sommer eisfrei sein – und damit ihre Rohstoffe erreichbar. Doch der Wettlauf um die profitablen Claims ist bereits jetzt in vollem Gang. Dieser Tage verkündeten die USA, dass sie dem Energie-Konzern Shell die Förderung von Öl und Gas erlauben – unter Auflagen. Im Sommer soll es losgehen. Shell will in der Tschuktschensee – 113 Kilometer vom Dorf Wainwright an der Nordwest-Küste Alaskas entfernt – an bis zu sechs Stellen im flachen Wasser bohren.

Raubbau

Umweltschützer laufen Sturm dagegen. Doch was spricht eigentlich dagegen, in der Arktis nach Öl zu bohren? Wissenschaftler meinen, dass die Ölförderung zur Industrialisierung der Arktis führe, was den Lebensraum nachhaltig schädige. "Wenn man Rohstoffe ausbeuten will, werden Gebiete aufgeschlossen, die noch sehr naturnah sind. Das bedeutet Ölpipelines, Straßen und Wege, Häuser", sagt der Polarforscher Andreas Richter. All das habe gravierende Folgen für die Umwelt. "In arktischen Gebieten muss man –weil es sich um Permafrostböden handelt – viel höhere Trassen aus Schotter und Sand aufschütten. Das durchschneidet riesige Gebiete, behindert die Tiere bei ihren Wanderungen. Außerdem verändert sich der Feuchtigkeitsaustausch. So staut sich das Wasser entlang der Straße, Bäume sterben ab. Jedes Urbarmachen schon kleinster Flächen hat erhebliche Konsequenzen für das Ökosystem – in arktischen Gebieten aber sind die Folgen noch viel gravierender."

Katastrophen

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Ganz zu schweigen von den Katastrophen, die unweigerlich passieren werden. Richter: "Wenn solche Unfälle passieren, sind die Auswirkungen in Arktis-Regionen ebenfalls viel ärger, weil länger anhaltend." Die bakterielle Zersetzung des Öls geht im kalten Wasser sehr viel langsamer voran. Ein Unfall im Herbst, wenn das Meer gerade zufriert, wäre das schlimmste Szenario: Dann würde sich die Verschmutzung unter dem Eis im Winter über die gesamte arktische Region verteilen. Davon wäre die komplette Nahrungskette betroffen, zuallererst das Plankton, dann Fische, Robben bis hin zu den Walen. Viele Tierarten im arktischen Lebensraum stehen durch den Klimawandel ohnehin unter Stress. Für sie könnte eine Ölkatastrophe den Unterschied zwischen Überleben und Aussterben bedeuten.

Verzicht

Der Meereskundler Rick Steiner arbeitet als wissenschaftlicher Berater für Nachhaltigkeit in Alaska und hat die Folgen der Exxon-Valdez-Ölkatastrophe in der Arktis im Jahr 1989 erforscht. Er forderte bereits vor zwei Jahren imMagazin Geo, komplett auf arktische Ölförderung zu verzichten. Die UNO sollten einen Arktisrat einberufen und ein Abkommen zum Schutz der Arktis aufsetzen, ähnlich wie es bei der Antarktis geschehen ist. "Aber im Moment herrscht leider eine Goldrausch-Mentalität, weil das Meereseis zurückgeht und alle versuchen, ihre Claims abzustecken."

"Was das bedeutet, kann jeder ganz leicht überprüfen", sagt Polarexperte Richter. Er hat lange in Nordsibirien geforscht. "Da werden riesige Gebiete bereits jetzt für die Gasförderung genutzt. Man braucht nur bei Google-Earth reinzuklicken und man sieht die Zerstörung."

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