Leben/Gesellschaft

Bevölkerung wächst: Sattmacher gesucht

In Thailand kostete er Insekten, in Holland filmte er einen Forscher, wie er künstlich hergestelltes Fleisch brät und in Indiens größer Geflügelfabrik verging ihm der Appetit – der deutsche Journalist und Dokumentarfilmer Valentin Thurn ("Taste the Waste") versucht in seinem neuen Kinofilm "10 Milliarden: Wie werden wir alle satt", zu ergründen, wie die wachsende Weltbevölkerung mit den immer knapper werdenden Ressourcen künftig ernährt werden kann. Laut UN werden 2050 ca. 9,6 Milliarden Menschen auf der Welt leben.

KURIER: Sie sind um die halbe Welt gereist, haben Farmer, Forscher und Firmenchefs interviewt. Was hat Sie am meisten überrascht?

Valentin Thurn: Mich haben futuristische Lösungen wie das Labor-Fleisch überrascht, besonders erstaunt war ich aber darüber, dass Kleinbauern mehr aus ihrem Hektar Land herausholen als Großfarmer. Ein Landwirt in einem Hochlohnland muss mechanisiert arbeiten und kann nicht so viel Arbeitskraft einsetzen wie ein afrikanische Kleinbauer, der aus Kostengründen auch keine Pestizide oder künstlichen Dünger einsetzt. Und in Afrika kostet Arbeitskraft fast nichts, der kann an einem Feld drei Pflanzen gleichzeitig anbauen: Straucherbsen, Süßkartoffeln und Hirse – das kann man nur manuell machen, dadurch holen sie aber mehr aus dem Hektar raus.

Das große Problem, das Sie aufzeigen, ist, dass ein Drittel der Getreideernte weltweit an Tiere verfüttert wird.

Wenn man sich die Gesamtfläche anschaut, da ist viel Grasland dabei, das kaum besser genutzt werden, da ist es optimal. Aber wenn von dem was auf dem Acker angebaut wird, noch mehr wegkommt, bleibt weniger für die Menschen. Der Rest wird teurer und ist für die Ärmsten der Armen nicht erschwinglich. Fleischkonsum und Hunger hängen leider eng zusammen.

Mitte des Jahrhunderts soll die weltweite Fleischproduktion von 320 auf 470 Mio. Tonnen ansteigen. Nehmen wir durch unseren Fleischkonsum anderen die Nahrung weg?

Wer für drei Euro ein Huhn im Diskonter kauft denkt nicht daran, dass er damit den Hunger vergrößert. Aber es ist leider so. Die Massentierhaltung wäre nicht möglich, ohne Soja-Importe. Und der ist daran gekoppelt, dass Regenwald abgeholzt wird oder Kleinbauern Land weggenommen wird, um auf diesen Flächen Futtermittel anzubauen. Ich glaube, wenn wir uns darüber klar wären, würde uns das Fleisch nicht mehr so gut schmecken.

Wie oft essen Sie Fleisch?

Wenn ich zu Hause bin zirka ein bis zwei Mal in der Woche. Mein Fleischkonsum hat sich geviertelt, vielleicht sollte man jedem empfehlen, eine Hühnerfabrik zu besuchen. Ich hab’s hinter mir und beschlossen, das will ich nicht mehr essen (lacht). Aber, wir sind in der Lage zu verdrängen: Ein abgepacktes Stück Hühnerbrust verbinden viele nicht mehr mit einem lebenden Tier. Es ist auch schwierig, korrekt erzeugtes Fleisch zu kaufen. Man muss schauen, was in der Region produziert wird. Das kostet mehr, schmeckt mir dann aber besser.

Sie waren in einem Forschungslabor in Maastricht, dort wurde das berühmte synthetische Fleischlaibchen gezüchtet. Kann der steigende Fleischbedarf künftig mit Fleisch aus der Petrischale gedeckt werden?
Ich glaube, dass es technisch möglich ist. Die Frage ist, ob die Forscher das preislich so hinbekommen. Aber wenn das so ist, glaube ich, wird es das im Supermarkt geben, vielleicht in 20 Jahren.

Neben Laborfleisch entwickeln Forscher auch genverändertes Saatgut, das ertragreicher ist und die Welternährung sichern sollen.

Diese Hybridpflanzen sind aber anfällige Hochleistungssorten. Die Bauern werden damit von den Konzernen abhängig gemacht. Sie müssten dieses Saatgut jedes Jahr neu kaufen. Der klassische Kleinbauer hat aber kein Kapital, der hat früher einen Teil der Ernte zur Seite getan, um sie auszusäen. Wenn er das aufgibt, hat er nach einer Missernte nichts, kein Kapital, kein Saatgut und kann nur noch aufhören. Diese Abhängigkeit ist für Entwicklungsländer fatal.

Genauso wie die schwankenden Weltmarkpreise...
Man hat etwa vielen Bauern in Afrika jahrelang gesagt, produziert für den Weltmarkt, dann habt ihr Geld und könnt euch versorgen. Wir regen uns über TTIP auf, zu Recht, allerdings macht Europa genau das Gleiche mit Afrika. Unsere Handelspolitik zwingt diese Länder ihre Grenzen aufzumachen für unsere hochsubventionierten Agrarprodukte. So nach dem Motto: Wenn ihr Kakao oder Bananen exportieren wollt, gerne, aber dann müsst ihr unseren Weizen, unser Milchpulver reinlassen. Das macht die dortigen Bauern platt. Denn wenn der nächste Preisschock kommt, hängen sie an unserem Tropf und können sich nicht mehr selber versorgen. An den Börsen sind Preissprünge wie Verdoppelungen und Verdreifachungen keine Seltenheit.

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Andere Bauern im Film, etwa in Malawi, versuchen bereits ihre Grundversorgung selbst abzudecken, um von den schwankenden Weltmarktpreisen unabhängig zu sein.

Die Fanny (Farmerin aus dem Film, Anm.) hat eine Hütte mit zwei Kammern: Eine ist zum Schlafen und Wohnen, in der anderen lagert der Jahresvorrat an Getreide, Mais und Straucherbsen. Alles was sie darüber hinaus verkauft, bringt etwas Geld, damit können sie sich andere Dinge leisten. Sie und andere sind durchaus auf dem Markt vertreten, aber bei der Grundversorgung verlassen sie sich nicht auf ihn. Ich glaube, das ist schlau. Das wäre auch etwas, das wir tun sollten. Wir sind immer mehr von Importen abhängig. Es gab schon Situationen wo Exportländer durch Krisen den Markt dicht gemacht haben, weil sie die eigenen Leute versorgen mussten. Momentan denken wir, wir sind unverwundbar.

Und was kann der Einzelne tun?

Das Konsumverhalten ändern. Ich höre aber oft: ‚Das kann ich mir nicht leisten.‘ Für ein Viertel der Bevölkerung mag das stimmen, für die meisten trifft es nicht zu. Es ist eine wohlfeile Ausrede, wir haben noch nie so wenig gezahlt für Lebensmittel.

Urbane Gärten und solidarische Landwirtschaft boomen.

Gärtnern in der Stadt gibt es schon länger, die USA und Japan sind uns da voraus. Bei den solidarischen Landwirtschaftsmodellen habe ich gesehen, dass sozial Schwächere weniger zahlen müssen. Das finde ich schön.

Wann wurden Sie selbst zum Akivist?

Ich glaube, ich war es immer schon. Aber das dies mit dem Beruf des Journalisten einhergeht, war neu für mich. Ich fühle mich nach wie vor als Journalist. Ich lege Wert auf eine saubere und gründliche Recherche. Aber man hat in diesem Berufsbild ein bisschen distanziert zu sein und nicht seine eigene Meinung in den Vordergurnd zu drängen. Das ist im Kino anders: Hier wird Meinung verlangt, das wurde bei mir bei "Taste the Waste" klar. Es ist gut und richtig, wenn ich Stellung beziehe. Es ist so gar für den Zuschauer gut, denn Objektivität gibt es durch die Auswahl der Dinge ohnehin nicht. Ich gebe eine Richtung vor, da ist es für den Zuschauer einfacher, ich zeige ihm wo ich stehe und er kann sich davon abgrenzen. Wichtig ist mir, dass ich fair die beiden Seiten abbilde und sich der Zuschauer eine eigene Meinung bilden kann, die vielleicht auch anders ist als meine.

Zur Person: Valentin Thurn ist Journalist, Autor, Regisseur und Aktivist. Im Zuge seines Films "Taste the Waste" hat er die Plattform foodsharing.de gegründet, auf der überschüssige Lebensmittel verteilt werden. Ab kommenden September startet sein neuestes Projekt: Taste of Heimat, eine Bewegung, die laut Thurn "regionale Lebensmittelkreisläufe stärken will." Auf der Plattform soll man erkennen, wo Lebensmittel aus regionalen Quellen (Markt, Hofladen) im Angebot sind. Zudem planen sie, in den Kommunen die Idee von „Ernährungsräten“ zu verbreiten. Das sind beratende Gremien, die Ernährungspolitik auf eine kommunale Ebene runterholen wollen.