Erst das Gesicht, dann das Hirn
Es ist eine Goldgrube für Wissenschaftler" – so bezeichnet der spanische Paläontologe Juan-Luis Arsuaga eine kleine, finstere Erdkammer am Grunde eines 13 Meter tiefen Lochs in der Höhle "Cueva Mayor" in Nordspanien. Dort befindet sich die Ausgrabungsstätte "Sima de los Huesos" – übersetzt: die Knochengrube. Dort entdeckten Wissenschaftler in den vergangenen 30 Jahren mehr als 6500 menschliche Fossilien. Diese konnten sie auf 28 Individuen zuordnen.
Unter den Fundstücken befinden sich auch 17 Schädel, einige davon fast vollständig erhalten. Sie stammen von frühen Verwandten des Neandertalers und wurden von Arsuaga und seinem Team analysiert. Die Ergebnisse – jetzt im angesehenen US-Wissenschaftsmagazin Science publiziert – werfen ein neues Licht auf die Entwicklung des Neandertalers: "Zuerst haben sich sein Gesicht und die Kieferstrukturen entwickelt, das Hirn erst später", sagt Arsuaga, der an der Universität de Complutense in Madrid tätig ist. Somit bestätigen er und seine Kollegen die Hypothese, dass sich die körperlichen Merkmale beim Neandertaler nicht alle auf einmal entwickelt haben, sondern stufenweise – ein bisher strittiger Punkt in der Forschung.
Dritte Hand
Die Veränderungen, die sich vor allem in der Kopfregion zeigten, stehen in Verbindung mit dem Kauvorgang. Die Forscher vermuten, dass der Ursprung des Neandertalers mit der Spezialisierung des Kauapparates zusammenfalle. "Die Schneidezähne zeigen starke Gebrauchsspuren, als seien sie als eine Art dritte Hand verwendet worden – typisch für Neandertaler", sagt Arsuaga.
Schatz
Der Paläontologe ist jedenfalls überzeugt, dass die Funde in der Sima de los Huesos auch die nächste Generation von Forschern mit neuen Erkenntnissen über die Entwicklung der Menschheit versorgen werde. Und zwar in Bezug auf Wachstum, Pathologie, Geschlechtsunterschiede, Demografie sowie viele andere Bereiche. "Diese Anhäufung von hominiden Fossilien ist bislang einzigartig. Es ist, als hätte man einen Schatz gefunden."