Leben/Gesellschaft

Wer das Chanel-Muster erfand

928 Meter Seehöhe, weit über dem Salzkammergut: Hinter dem gemauerten Stolleneingang Christina aus 1719 verbirgt sich ein Uralt-Bergwerk. Zehn Minuten Fußmarsch tiefer im Berg verkündet der Prähistoriker Hans Reschreiter: "Ab hier stehen wir im Revier der prähistorischen Bergleute. Die umgebenden Wände sind voller Funde.“
Rückblick auf 1850: Als Johann Georg Ramsauer die ersten Stoffstücke im prähistorischen Salzbergwerk entdeckte, konnte er es gar nicht glauben: Die Wollstoffe stünden modernen in Verarbeitung und Feinheit in nichts nach. Wären sie nicht seit Jahrtausenden im Salzberg eingeschlossen gewesen, er würde sie glatt für eine Fälschung halten, schrieb der erste Ausgräber von Hallstatt.
Mehr als 150 Jahre später staunen die Forscher nicht weniger und freuen sich über die Einblicke, die sie so in das Leben der Bronzezeit gewinnen können, denn alles, was die Bergleute vor 3000 oder 3500 Jahren liegen gelassen haben, wurde hier konserviert. Dieser Tage sind es die Textilforscher, die neueste Erkenntnisse diskutieren wollen. 215 aus 28 Nationen treffen ab heute zu einem internationalen Kongress in Hallstatt zusammen.
„Wir denken immer, die Kleider unserer Vorfahren seinen derb, dunkel, grob und sackartig gewesen. Dabei stimmt das gar nicht“, sagt Karina Grömer. Die Textilforscherin vom Naturhistorischen Museum Wien (NHM) weiß: „Es waren die Menschen der Bronzezeit, die den Loden erfanden, die das Färben, Spinnen, Weben und Nähen perfektionierten.“ Wie sie das behaupten kann? Die Überbleibsel aus dem Salzbergwerk – Abfall der an manchen Stellen sieben Meter hoch liegt – erzählen viel über das Handwerk von vor 3000 Jahren. Wer zum Beispiel meint, Coco Chanel hätte das Hahnentritt-Muster für ihr gleichnamiges Kostüm erfunden, irrt. Das war irgendeine kreative Hallstätterin. Genauso wie die Art, Jeans zu weben – alles hier praktiziert.

Schönfärberei

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Unsere Vorfahren trieben es bunt: blau, rot, gelb, grün, braun waren ihre edel gearbeiten Flachs und Woll-Stoffe. Es ist nicht selbstverständlich, dass die Wissenschaftler das behaupten können. „Das Salzbergwerk ist auch deshalb so einmalig, weil sich nur hier die Stofffarben erhalten haben“, sagt Grömer. Moorleichen hätten zwar auch samt Kleidung die Zeit überdauert; die habe aber immer einen bräunlichen Ton angenommen. Und so können die Forscher nur dank des weißen Goldes rekonstruieren, dass unsere Vor-Vorfahren Färberkamille, Krapp und Färberwaid kannten. Sogar die kostbar Cochenilleschildlaus (Kermes), bis heute in Biolippenstift gerne eingesetzt, wurde damals verwendet.
Gegen Salz konnte man in alten Zeiten alles eintauschen. Und Hallstatt war damals d i e Salz-Metropole. Im weiten Umfeld – bis nach Polen, Siebenbürgen und die Toskana – gab es keine anderen Anbieter. Die Ur-Oberösterreicher schlugen riesige Hallen aus dem Berg, transportierten das Salz mit Körben und Seilen ins Tal und versorgten halb Europa. Dieser Betrieb im Hochtal über Hallstatt muss also Kontakte in alle Himmelsrichtungen gehabt haben.
„Sie wussten von der großen weiten Welt“, ist Anton Kern, Ausgräber in Hallstatt und Direktor der Prähistorischen Abteilung des NHM in Wien überzeugt. „Salz wurde exportiert, Textilien, Werkzeuge, Töpferwaren, Bronzegefäße, ja sogar Glas, Bernstein und Elfenbein importiert.“

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Kern gräbt seit Jahrzehnten in der zum Bergwerk gehörenden Nekropole und hat gemeinsam mit seinen Vorgängern an die 1300 Gräber frei gelegt. Und festgestellt: Das soziale Gefüge muss hier ganz anders funktioniert haben.
„Es gab zwar so etwas wie Salzbarone, die das Sagen und wunderbare Grabbeilagen wie etwa Schwerter mit Elfenbeingriffen und Bernsteinverzierungen hatten. Doch auch die einfachen Bergleute wurden mit Beigaben bestattet. Das konnten Fibeln, Bronzegeschirr, Haarnadeln oder Bernsteinketten sein“.

Sogar über Texilien als Grabeigaben spekulieren die Forscher. „Die waren damals etwas ganz Kostbares“, sagt Grömer. Und rechnet vor: „Für einen Quadratmeter feinstes Tuch, wie wir es heute auch kennen, brauchten die Menschen der Bronzezeit neun Kilometer Faden. Es dauerte drei Monate bis diese Fadenmenge gesponnen war. Drei weitere Tage kostete es, den Webstuhl aufzubauen, das Weben selbst war in einer Woche erledigt.“ Wie gesagt: Für einen Quadratmeter Stoff.

Family-Business

Alle, wirklich alle, arbeiteten hart. Der Bergbau war ein Family-Business, wie Wissenschaftler festgestellt haben. Denn sie haben eine Kappe im Bergwerk gefunden: „Sie ist so klein, dass sie nur einen Säugling passen konnte“, sagt der Prähistoriker Hans Reschreiter und schließt: Es müssen also Kleinkinder in den Stollen gewesen sein. Kinder arbeiteten ab fünf mit, Frauen trugen das Salz nach oben. Woher man das weiß? Die Abnutzungsspuren an den Knochen verraten es.

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Heute findet Grömer nur mehr kleine Fetzen im Salz des Berges. Die Forscher vermuten, dass das kostbare Tuch getragen, geflickt und gewendet wurde bis es nur noch dazu taugte, als Lumpen im Bergwerk recycled zu werden. Und aus diesen Stücken gewinnen die Wissenschaftler ihre Erkenntnisse. So erzählt Grömer, dass das älteste Stück, dass sie entdeckt habe, 1600 v. Chr. im Salz verlassen wurde.

Trotzdem kann sie aus den Fundstücken Unglaubliches herauslesen: Ob es sich um Schaf- oder Ziegenwolle handelt beispielsweise. Und: „Sogar die Entwicklung der Schafrassen von der Stein- bis zur Bronzezeit konnten wir anhand der Gewebe rekonstruieren. Erst waren die verwendeten Haare dick und kratzig, später wurden sie weicher, denn man hatte Schafe aus Asien eingeführt und gezielt die gewünschte feine Unterwolle herausgezüchtet. Das Endprodukt dieses Züchtungsprozesses, der in der Bronzezeit begann, ist heute das Merino-Schaf“, erzählt Grömer. Um dann eine weiter kuriose Geschichte anzuschneiden: Sie könne auch nach 3000 Jahren bestimmen, ob ein Stück Stoff als Kleidung diente oder nicht.

„Dann nämlich, wenn ich Kleiderläuse im Saum entdecke.“ Mit Hilfe der Läuse konnten Wissenschaftler sogar errechnen, seit wann der Mensch Kleidung trug: „Seit 72.000 Jahren“, sagt Grömer. „DNA-Analysen haben ergeben, dass sich damals die Kleiderlaus aus der Felllaus entwickelt hat.“
Bei all den Erkenntnissen hoffen die Forscher trotzdem auf einen Mann im Salz – "aber bitte voll bekleidet", scherzt Grömer.

Archäologen graben seit 1960 im Hochtal von Hallstatt. Denn hier liegt das älteste Salzbergwerk der Welt. Seit 7000 Jahren, vermutet man, gibt es hier Salzbergbau, seit etwa 3500 Jahren können die Forscher ihn nachweisen – auf einem Gräberfeld und direkt im Berg.
Um die Dimensionen einzuordnen: Wir reden von einer Ära, in der Echnaton und Tutanchamun in Ägypten regierten. Wie im Sand der Wüste, ist auch im Salz von Hallstatt alles erhalten geblieben, was die Ur-Kumpel in der Grube mithatten: Holz-Balken und -Stiegen, Seile, die ältesten Rucksäcke der Welt sowie, Handschuhe und Schuhe. Und Textilien: Seit 1849 wurden mehr als 600 prähistorische Stofffetzerl entdeckt, die von 1500 bis 300 v. Chr. hergestellt wurden. Sogar das, was die Bergleute gegessen haben, wurde konserviert – Hirse, Gerste und Saubohnen. Nach ihrem Weg durch den Darm. „Ein Archiv der Menschheit, das einen perfekten Einblick in prähistorische Lebenswelten bietet“, sagt Hans Reschreiter.
Nachdem hauptsächlich Prähistoriker des Naturhistorischen Museums hier forschen, wird derzeit an einem neuen Saal zur Hallstattzeit gearbeitet. Anton Kern: „Wir werden sogar unseren Tresor öffnen und die Goldfunde aus den Gräber von Hallstatt zeigen.“ Eröffnung 2015.“