Giorgio Armani über die neuen Trends, Umbrüche und Reue
Giorgio Armani ist 85 Jahre alt, einer der reichsten Menschen der Welt und könnte seinen Ruhestand auf der eignen Luxus-Yacht genießen. Stattdessen arbeitet der legendäre Modedesigner nach wie vor tagtäglich in seinem Mailänder Atelier. Das Medizinstudium hat der Italiener einst für einen Job als Schaufensterdekorateur geschmissen, um danach eines der weltweit größten Modeimperien aufzubauen. Bis heute leitet er den Konzern im Alleingang.
Mit dem KURIER hat Armani über die größten Umbrüche in der Modewelt gesprochen, welche Trends er ausmacht und was er in seinem Leben bereut.
KURIER: Das Jahr 2019 geht zu Ende und damit auch ein Jahrzehnt. Welches Fazit ziehen Sie über die Modewelt der vergangenen Jahre?Giorgio Armani: Diese Dekade brachte den größten Wandel, an den ich mich zeit meines Lebens erinnern kann. Zum einen trat E-Commerce den Siegeszug an und wir mussten überlegen, wie sich Armani online authentisch präsentieren kann – aber auch, was wir in unseren Geschäften bieten, um ein Erlebnis zu schaffen.
Zum anderen wuchs das Problembewusstsein in Bezug auf Nachhaltigkeit. Wir versuchen, so umweltschonend wie möglich zu arbeiten, schauen genau auf unsere Lieferanten und wissen um unseren Part in der Klimakrise.
Und in welche Richtung geht die Fashionindustrie, welche Trends und Themen werden uns in Zukunft beschäftigen?
Konsumenten werden anspruchsvoller, sie wollen bequeme, hochwertige Kleidung – was mir selbst sehr entspricht. Kunden scheinen schnelllebigen Trends nicht mehr so hörig zu sein und Eleganz und Schlichtheit werden an Stellenwert gewinnen. Vor allem die Idee – zumindest im Luxussektor – von zeitlosen Styles ist spürbar. Und das wäre zugleich wirklich nachhaltig, im Gegensatz zur billigeren Fast Fashion, die einfach viel zu schnell neue Mode anbietet. Der zweite Trend geht in Richtung Funktionskleidung. Kleidung muss in Zukunft generell funktionstüchtig sein, und da rede ich nicht nur von Fitness-Outfits.
Sie arbeiten seit 1961 im Modebereich. War früher alles besser, wie viele zu sagen pflegen? Was hat sich verändert?
Essenziell anders sind heute die Zusammenschlüsse von Modemarken unter einem börsennotierten Unternehmen. Das habe ich nicht kommen sehen, als ich Giorgio Armani als Firma gegründet habe (Anm.: Armani ist eines der wenigen eigenständigen Unternehmen im Modebereich). Durch diese Konglomerate ist eine Homogenisierung von Produkten, Händlern und der Kommunikation entstanden, was für die Kunden nicht unbedingt Vorteile bringt. Zum Positiven verändert hat sich aber der Zugang zu innovativen Materialien und Techniken. Ach ja, und der heutige Hype um Modedesigner ist auch neuartig. Ich frage mich manchmal, ob das wirklich nützlich ist. Der Träger sollte der Star sein, nicht die Person, die das Outfit kreiert hat.
Als Sie 1980 die Kostüme für Richard Gere und Lauren Hutton für den Filmhit „American Gigolo“ (dt. „Ein Mann für gewisse Stunden“) entworfen haben, machte das Ihre Mode auf einen Schlag international bekannt. Haben Sie damals realisiert, wie wichtig Schauspieler und Promis sind, um Ihre Produkte zu verkaufen?
Überhaupt nicht! Ich bin mit „American Gigolo“ in Berührung gekommen, weil ich ein riesiger Filmfan war. Schon als Kind bin ich von Piacenza in die große Stadt Mailand gefahren, nur um mir amerikanische Western anzusehen. Filme sind meine lebenslange Leidenschaft. Und als mir Regisseur Paul Schrader diese Möglichkeit bot, habe ich sofort zugesagt. Ich war äußerst überrascht vom Effekt des Films. Vor allem in Amerika hatte Armani schlagartig Aufmerksamkeit. Man muss bedenken, dass Mode und Film damals noch nicht so verflochten waren wie heute. Zu dem Zeitpunkt wurden Filmkostüme auch noch auf dem roten Teppich bei den Premieren getragen. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort – als sich Schauspieler auch bei offiziellen Anlässen persönlicher kleiden wollten. Ich wurde der Designer für die Filmindustrie, der On-Screen und Off-Screen einkleidet. Diese Stellung habe ich sehr genossen.
Sie haben kürzlich einen Fashion Award für ihr Lebenswerk erhalten und hatten Julia Roberst als Begleitung dabei, die sonst fast nie auf dem Red Carpet zu sehen ist. Ist Sie die ideale Kundin für Sie, Ihre Muse oder nur eine Freundin?
Sie ist das alles in einem. Ich habe sie wie viele andere Schauspielerinnen auch über Jahre eingekleidet, aber sie war jemand, der auch zum Freund wurde. Wir haben 2008 eine Charity Aktion mit T-Shirts gemacht. Mit Vergnügen erinnere ich mich an die Oscars 2004, als ich sie im Stil der legendären Katharine Hepburn ausgestattet habe. Julia ist einer dieser Menschen, die natürliche Star-Qualitäten haben wie eine Hollywood-Lady der alten Schule.
In den Neunzigerjahren war der ungesunde „Heroin Chic“ und eine „Fuck the Future“-Attitüde cool, heute will man möglichst gesund und durchtrainiert aussehen. Bemerken Sie einen Wandel im ästhetischen Empfinden?
Die Ironie ist, dass die ,Heroin’-Periode, die Sie beschreiben, ja selbst nur eine Reaktion auf die ,Body Beautiful’-Idee der Achtzigerjahre war. Damals hat jeder begonnen zu joggen und ist ins Fitnessstudio gerannt. Diese Dinge drehen sich ja oft nur im Kreis, wir sehen das Pendel jetzt wieder in die andere Richtung ausschlagen. Wobei der derzeitige Trend natürlich schon etwas anders ist, als in den Achtzigern – weil wir viel mehr über Ernährung wissen und wie man gesund lebt. Wir wollen heute nicht nur mehr gesund aussehen, wir wollen uns auch besser fühlen und gesund sein.
Sie müssten schon lange nicht mehr arbeiten und könnten es sich auf Ihrer Yacht gemütlich machen. Stattdessen arbeiten sie angeblich noch täglich in ihrem Atelier in Mailand.
Ja, das ist tatsächlich der Fall und war schon immer so. Ich bin Perfektionist und Workaholic. Wenn ich etwas in meinem Leben bereue, dann ist es die Tatsache, dass ich nicht so viel Zeit mit meinen Freunden und meiner Familie verbracht habe, wie ich es hätte tun können. Aber wenn ich ehrlich bin, blase ich darüber nur kurz Trübsal, weil ich eben so bin wie ich bin. Ich habe enorm viel Energie und Leidenschaft für meine Arbeit. Es erfüllt mich und ich brauche die Herausforderung. Urlaube sind schön, aber für mich sind sie einzig dazu da, um für das nächste Projekt Energie zu tanken.
Sein Imperium
Volle Kontrolle: 1975 gründete der Italiener Giorgio Armani mit seinem Lebensgefährten Sergio Galeotti (der 1985 verstarb) eine Modefirma unter seinem Namen. Das erste Jahr brachte einen Umsatz von 14.000 US-Dollar, heute erwirtschaftet Armani mehr als zwei Milliarden Dollar jährlich. Kosmetik, Möbel und auch Hotels gibt es mittlerweile unter der Marke.
Das Imperium gehört dem Designer zu 100 Prozent, er kontrolliert alle Lizenzen und das Markenimage – eine Seltenheit im Modebereich. 2019 wurden zwei „Armani Green Outlets“ eröffnet, in denen nur recycelte Materialien verwendet werden. 2020 soll ein Drittes folgen.