Vier Geschichten von Reisenden, die losziehen, um Barrieren zu überwinden – körperliche und geistige. Mit dem Fahrrad, Rollstuhl oder per Anhalter.
Auf Reisen überschreiten Menschen nicht nur physische, sondern auch gedankliche Grenzen. Während sie zu Fuß gehen, mit dem Fahrrad oder einem umgebauten Campingbus fahren, bewegen sie sich vor allem innerlich. Das verändert einen, macht die Menschen offen und gelassener. Das erzählen auf diesen Seiten jene, die besondere Reisen erlebt haben. Und sie berichten, dass Reisen nicht immer angenehm ist, man aber immer etwas erlebt. Zum Beispiel Begegnungen mit Menschen, die einem das kaputte Fahrrad in ihrer Werkstatt reparieren, die zu sich zum Essen einladen, nachdem sie einen im Auto mitgenommen haben. Die den Reisenden bei brütender Hitze ein kühles Getränk reichen.
Es sind aber auch die Momente, in denen man allein ist. Ohne Menschen, mit der Natur. Wenn man bei Regen unter einer Brücke Unterschlupf suchen muss. Dort sein Zelt aufschlägt und morgens einen Bären vorbei spazieren sieht.
Alexandra & Stefan: "Man darf an das Gute im Menschen glauben"
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Es regnet in
Dunedin, einer Stadt auf
Neuseelands Südinsel. Dennoch setzen sich
Alexandra und
Stefan auf ihre vollbepackten Räder und treten los. Nach zwei Monaten Pause ziehen sie weiter. Egal, ob es regnet oder die Sonne scheint. "
Reisen ist nicht immer angenehm, aber dafür erlebt man oft Dinge, die man sonst nie erleben würde", sagt die 30-Jährige. Zum Beispiel, als sie bei 40 Grad durch
Kasachstan radelten und ein Lkw-Fahrer anhielt, um ihnen Eistee zu reichen. "Das Schöne ist, dass man mit dem
Fahrrad die richtige Geschwindigkeit hat, um Land und Leute näher kennenzulernen." Im Mai vergangenen Jahres haben die Niederösterreicherin und der Steirer, beide reise- und radfahrerprobt, eine Auszeit beschlossen. Sie gaben Wohnung und Job in
Wien auf. Keine einfache Entscheidung, aber die einzige Lösung, erzählt
Alexandra: "Wir wussten nicht, wie lange unsere
Reise dauert. Aber wir sind positiv gestimmt, dass wir beides bei unser Rückkehr wieder finden werden."
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Sie haben für ihre
Reise viel aufgegeben, bekamen bisher aber mehr zurück. Ihre Fahrt von
Österreich über die
Slowakei, Polen,
Ukraine,
Weißrussland,
Russland,
Kasachstan,
Kirgistan,
China,
Laos,
Thailand und zuletzt
Neuseeland hat viel verändert: "Wir sind offener, gelassener geworden und haben gelernt, manches nicht so eng zu sehen, wie etwa Wildcampen. Das ist den meisten Menschen egal." Viel eher gingen sie auf die campenden Radfahrer zu, um mit ihnen zu plaudern, Fotos zu machen oder ihnen etwas zu schenken. "Man darf an das Gute im Menschen glauben, das haben wir gelernt". Demnächst geht die
Reise in
Australien weiter.
Radeln für guten Zweck:
2014 war Stefan Jahrmann in an der Kariyangwe Primary School in Simbabwe , die vom steirischen Verein PFAU (Promise Foundation Austria) unterstützt wird. Derzeit soll eine Schulküche gebaut werden. Gemein- sam mit seiner Partnerin Alexandra Zöchner sammelt er als Radreisen- der für den Verein Geld. Ihr Traum: "So viele Spenden wie Kilometer zu sammeln". Infos zum Hilfsprojekt sowie Fotos und Reiseberichte gibt es auf ihrem Blog www.radschlag.at.
Gábor: "Menschen vergessen ihre Möglichkeiten"
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Gábor Tolnai überquerte mit einem Segelboot den Atlantik, filterte mit einem Fischerhut Trinkwasser aus den Everglades, als er zu verdursten drohte, und campierte in einem Park im gefährlichsten Stadtteil von Los Angeles. Jetzt steht der 28-Jährige vor seiner größten Herausforderung: zu Fuß die Darien-Schneise zu überqueren. Ein Dschungel-Abschnitt zwischen Mittel- und Südamerika. Dort leben Rebellen, Drogenschmuggler und Jaguare. Noch sitzt er am Balkon seiner Wohnung in Panama-City. Hier arbeitet der Innsbrucker seit vier Monaten als Deutschlehrer, um Geld zu verdienen. Und um zu recherchieren, wie er bei seinem Dschungel-Projekt Wildtiere fernhält und Banditen nicht auffällt.
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Vor zwei Jahren brach der Japanologie-Student auf, um von
Europa via
Nordamerika zum
Südpol zu trampen. Er stoppte von
Girona auf die
Kanaren, nach
Dakar und via Boot nach
Barbados. In der 18-tägigen Überfahrt begegnete ihnen nur ein
Schiff. Dafür Quallen mit einem Meter Durchmesser, die nachts "wie 1000 Glühbirnen leuchteten". 2009 stoppte er das erste Mal ein
Auto – zu einem Konzert nach
München. Seither bewegt er sich kaum anders fort: "So lernst du Menschen und ihre Geschichten kennen." Zum Beispiel einen Cowboy, der für Hollywoodfilme Tiere dressiert. Einmal durfte er sogar in
Angela Merkels Panzerlimousine Platz nehmen, die für die
Olympischen Spiele nach
London gebracht wurde. Seine Begegnungen dokumentiert er auf der Facebook-Seite "Hitchhiking through Paradise". Seinen schönsten Platz fand Gábor Tolnai in
Alaska. Die Natur und die einfache Lebensweise in Blockhütten ohne fließendes Wasser und mit Plumpsklo begeisterten ihn. Ebenso die Offenheit der Menschen: "Sie sind sehr hilfsbereit und nehmen einen sofort mit. Es kann passieren, dass stundenlang kein
Auto vorbeifährt, dafür aber ein Bär auftaucht." Solche Gefahren schrecken ihn nicht ab: "Die Menschen denken ständig an Risiken und vergessen ihre Möglichkeiten. In extremeren Situationen lernst du dich selber kennen – und wie du überleben kannst." Extrem ist auch seine Dschungel-Durchquerung, die er gut planen will. Der Abenteurer hat mittlerweile eine Freundin. Sie wird am anderen Ende auf ihn warten.
Andere motivieren:
Bevor Gábor Tolnai loszog, arbeitete er sechs Jahre lang. "Ich hatte eine Wohnung, einen großen Fernseher – vermisse aber nichts davon." Vor der Rückkehr in den Alltag hat er keine Angst: "Ich möchte ein Buch schreiben und andere motivieren, hinauszu- gehen." Allzu lange will er aber nicht in Österreich bleiben. Sein nächstes Reiseprojekt: Asien.
Andreas & Jonathan: "So ein Abenteuer kann jeder erleben"
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Rein ins Flugzeug, wieder raus und ab ins Hotel – diese Art von Reisen hat Andreas Buciuman noch nie gereizt. Auch nicht nach der Matura. Statt mit Schulfreunden im All-inclusive-Club zu feiern, radelte der Oberösterreicher 870 Kilometer nach Rumänien. Ohne viel Vorbereitung und mit dem dreigängigen Damen-Citybike seiner Mutter. In Bratislava schlief er unter einer Brücke und auf dem Weg nach Ungarn hatte er an einem Tag acht platte Reifen. Dennoch erlebte der 23-Jährige dabei ein Gefühl, das ihn heute noch erschaudern lässt: "Man erlebt dabei pure Freiheit. Dieses Gefühl macht einen süchtig. Du kannst hinfahren wohin du willst, und das aus eigener Kraft! Und wenn dir eine Landschaft besonders gut gefällt, dann schlägst du dort einfach dein Zelt auf, genießt die Aussicht und übernachtest. Du erlebst die Schönheit des jeweiligen Landes auf eine andere Art."
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Die Leidenschaft fürs unkonventionelle Reisen teilt er mit einem Freund. Nächstes Jahr will Andreas, der an der Fachhochschule Hagenberg Hardware-Software-Design studiert, gemeinsam mit Jonathan (21) aus Krems losradeln. Ihr ambitioniertes Ziel: Australien. 25.000 Kilometer liegen vor ihnen. Geschlafen wird im Zelt, gekocht wird über Lagerfeuer. Jonathan, der fotografiert und Videos dreht, will alles auf Film festhalten. Immerhin ist die Reise eine Art Selbstversuch: "Wir sind zwei Jugendliche mit normaler schulischer Laufbahn. Aufgewachsen in der Wohlstandsgesellschaft. Es wird interessant sein, wie wir über einen langen Zeitraum unter widrigsten Umständen zurechtkommen", erklärt Andreas. Nachsatz: "Eigentlich will ich mir selber etwas beweisen. Mein Leben bestand bisher nur aus Schule und Job. Das ist die österreichische Mentalität. Das ist an sich überhaupt nichts Schlechtes. Aber das Leben ist mehr als eine endlose Kette von Lern- und Arbeitstagen. Der Mensch ist für weit mehr gemacht. So ein Abenteuer kann jeder erleben."
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Bevor es losgeht, wollen sie
Fahrräder und Ausrüstung "warm fahren". Im August radeln sie ans Schwarze Meer. Wobei sie körperliche Fitness für überbewertet halten. Für ihr Vorhaben brauchen sie vor allem Willenskraft, erklärt Jonathan: "Es kommt auf den Kopf und die Einstellung an, nicht auf die Muskeln." Ein bisschen Wahnsinn gehört auch dazu: "Einmal im Leben etwas Verrücktes und Undenkbares tun und beweisen, dass man aus eigener Kraft weit kommen kann", erklärt Jonathan, worum es beim
Reisen auch gehen kann.
Selbstversuch wagen:
Ist die Smartphone-Generation fähig, über längeren Zeitraum unter widrigen Bedingungen zu überleben? Wie werden wir als Fremde wahrgenommen? Das wollen Andreas und Jonathan mit ihrer Reise beantworten und darüber einen Film drehen. Auf ihrem Blog austria2australia.com, auf Facebook (Austria2Australia) und Instagram kann ihre Reise „live“ mitverfolgt werden. Sie werden von ihren Standorten aus berichten und täglich Fotos posten.
Reinfried: "Ich musste meine Grenzen selbst finden"
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Zum Glück braucht man kein iPhone und keine Beine, sagt Reinfried Blaha. Der Grazer ist seit einem Skiunfall vor neun Jahren querschnittgelähmt. 2010 wagte er trotzdem mit seiner damaligen Freundin Victoria Reitter ein Abenteuer. Der heute 36-Jährige ließ sich karenzieren, sie pausierte mit ihrem Kultur- und Sozialanthropologie-Studium, gemeinsam flogen sie nach Kalifornien. Zunächst für sechs Monate. "Wir wollten arbeiten – ich in einem Architekturbüro, Vicki in einer NGO –, um Sprache, Land und Leute kennenzulernen. Und wir wollten dem Winter entfliehen." Letztlich blieben sie ein Jahr.
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Mit einem günstigen 1984er-Volvo 240 GL fuhren die beiden von
Los Angeles über die mexikanische Grenze nach
Baja California und von dort bis
Nicaragua. Mit wenig Budget, aber viel Mut. Sie zelteten an Stränden, schliefen auf Terrassen von verlassenen Ferienhäusern oder in Stundenhotels. Die waren für
Reinfrieds Rollstuhl bestens geeignet, da es keine Stufen gab. Sie konnten mit dem
Auto direkt vorfahren. Dennoch gab es auch immer wieder brenzlige Momente:
Reinfried, der auf Katheter angewiesen ist, bekam Harnwegsinfekte,
Victoria erkrankte am Dengue-Fieber. Zum Schluss ging der
Rollstuhl kaputt. Überlagert werden diese Rückschläge von schönen Erinnerungen. Zum Beispiel, als sie ihn huckepack ins Meer trug und sie beiden mit Haien tauchten. "Da haben wir etwas gefunden, was barrierefrei und gleichberechtigt ist. Unter Wasser muss jeder die Balance halten, es geht nicht darum, wer schneller ist." Rückblickend haben sie viel gelernt, davon ist der Grazer überzeugt: "Die meisten
Barrieren sind in unseren Köpfen verankert. Für mich war es wichtig, zu erkennen, dass mir niemand sagen kann, wo meine Grenzen liegen. Ich musste sie selbst finden." Dem Winter ist
Reinfried Blaha auch heuer entflohen – er genießt bis
Ostern die Sonne
Brasiliens.
Mut machen:
Victoria und Reinfried geben bei ihren Vorträgen Einblick in den Alltag auf Reisen – mit und ohne Behinderung. Sie sprechen Tabus an und wollen für das Thema sensibilisieren. Vor allem aber versuchen sie, andere zu Grenz- gängen zu ermutigen. Zum Beispiel am 14. April 2016, um 19.30 Uhr im kultur.portal Scheibbs in Niederösterreich.
Weitere Termine unter: www.facebook.com/mebeguelhonicopa